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Mad men

«Mad Men»

Angefangen hat es mit dem visuellen Stil. Die akribische Rekonstruktion einer Madison-Avenue-Werbefirma Ende der fünfziger Jahre war wie für mich gemacht, gehört doch das Kino jener Zeit zu meinen grossen Leidenschaften

Text: Elisabeth Bronfen / 28. Sep. 2011

Angefangen hat es mit dem visuellen Stil. Die akribische Rekonstruktion einer Madison-Avenue-Werbefirma Ende der fünfziger Jahre war wie für mich gemacht, gehört doch das Kino jener Zeit zu meinen grossen Leidenschaften. Ein Freund hat mir die erste Staffel auf mein iPhone kopiert, damit ich im Urlaub endlich geniessen sollte, was damals noch ein Geheimtip war. Und tatsächlich zog mich allein schon der Vorspann in seinen Bann: Die Silhouette eines Mannes, der entlang der Aussenwand eines Wolkenkratzers viele Stockwerke nach unten fällt, am Ende seines Sturzes jedoch souverän in seinem Bürosessel sitzt. Ominös und zugleich perfekt gezeichnet, verdichtet sich in diesem Bild das Leitmotiv von «Mad Men». Die vertraute Welt kann sich jederzeit auflösen, dennoch landet Don Draper immer wieder auf seinen Füssen. Ein Wissen darum, wie prekär die Stabilität eines auf geglückter Spekulation errichteten Erfolgs ist, hält der eleganten Selbstsicherheit, mit der er sich durch seine Welt bewegt, stets die Waage. Bestrickt war ich zugleich vom langsamen Zerfall der Ehe zwischen unserem Helden und seiner wohlgeborenen Betty, weil die beiden mich unweigerlich an meine eigenen Eltern erinnerten. Deshalb musste ich meiner Schwester, die mit mir gereist war, unentwegt davon erzählen. Bis die Geschichten, die auf meinem winzigen Bildschirm aufflackerten, auch sie nicht mehr loslassen wollten.

Schnell reichte meine Faszination über die grossartige Ausstattung hinaus, verweilte zuerst bei dem intelligenten Selbstverweis, von dem «Mad Men» ebenfalls zehrt. Das Tauschgeschäft der Träume, für das Don Draper besonders begnadet ist, erklärt zugleich den Charme der Serie. Wie dieser inspirierte Creative Director, dessen Werbekampagnen auf Wunschvorstellungen vertrauen, setzt auch Matthew Weiner, der kreative Kopf hinter der Serie, darauf, dass wir uns mit seinen Phantasiefiguren identifizieren: weil sie mehr Eleganz und Glamour haben als wir, schlagfertig ihren Ambitionen und haltlos ihrem Begehren nachgehen. Es ist jedoch nicht reiner Eskapismus, der einen so nachhaltig fesselt. Als ich mich fragte, warum die Serie im Jahr 1960 einsteigt, wurde mir klar: An diesem Umbruch wird die Frage einer kulturellen Heimsuchung Amerikas verhandelt.

Noch trifft man auf der Chefetage fast nur Sekretärinnen, ganz vereinzelt eine Psychologin. Die Juden sind, wenn sie nicht als reiche Auftraggeber in Erscheinung treten, eher mit dem Sortieren der Post beschäftigt, die Schwarzen vornehmlich als Putzpersonal an den Rand der Arbeitswelt gedrängt. Doch rückblickend wissen wir, die Bürgerrechtsbewegung hat längst begonnen. Die Frauenwitze und der Rassismus drohen bereits ein Anachronismus zu sein. Wir wissen auch: Am Vorabend von Vietnam tragen die mad men der Madison Avenue die Spuren vergangener Kriege. Der harte Wettkampf um Klienten, den Drapers Werbefirma unermüdlich führt, erweist sich nicht nur als Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln. Unser Held hat selber geschickt den Zufall eines Gefechts in Korea genutzt, um sich eine neue Identität zuzulegen. Vor allem dann, wenn japanische Kunden mit ihren schicken kleinen Autos in Aussicht stehen, reissen die Wunden der Schlachten im Pazifik des Zweiten Weltkrieges wieder auf.

Doch wie das klassische Hollywood jenes Hitchcock, an den Weiner nicht nur mit seinem Vorspann erinnert, ist diese Serie vor allem gut erzähltes Kino. Der Reiz des Drehbuchs liegt in der Vielschichtigkeit der Figuren. Diese entfalten ein schillerndes Innenleben. Sie sind weder so gutmütig und gefügig, wie sie sich geben, noch so gerissen, selbstsüchtig oder machthungrig. Jeder zeigt Stärken und Schwächen, Ehrgeiz und Selbstzweifel. Es sind Menschen, für die man sich interessiert, auch wenn man sie nicht mag. Sie werden einem vertraut, weil man so viel Zeit mit ihnen verbringt. Vor allem wird ihr Zusammenleben immer dichter gestrickt. Und eben darin ähneln sie uns. Überhaupt stellte ich bald fest, dass im gleichen Mass, in dem Don Draper und sein Team mit Wünschen handeln, um den Verkauf von Konsumgütern zu fördern, Weiner eine vertraute Welt schafft, über die sich seine Fans verständigen. Schnell kommt man über diese Serie miteinander ins Gespräch, tauscht Vorlieben für die eine, Kritik an der anderen Figur aus. Das fragile Bündnis zwischen den Frauen, die diesen besessenen Männern am Arbeitsplatz zur Seite stehen, kann ebenso zu heftigen Auseinandersetzungen führen wie Drapers unersättliche Liebeslust. Er ist einfach zu dumm, hat mir jüngst ein Freund erklärt, als würden wir über einen gemeinsamen Kollegen und nicht eine Fernsehfigur sprechen.

Ich dachte dabei an eine Zeichnung von Charles Dickens, auf der er, umgeben von seinen literarischen Figuren, in seinem Lehnstuhl sitzt und träumt. Und an die Anekdote, wie seine begeisterte Leserschaft am Hafen von New York wartet, um von den Passagieren eines Schiffes aus Europa zu erfahren, ob Little Nell, die fragile Heldin aus «Old Curiosity Shop», noch am Leben sei. «Mad Men» erschliesst einen gemeinsamen kulturellen Nenner, über den man schnell ins Gespräch kommt, weil die Serie das Erbe jener moral imagination antritt, für die der viktorianische Roman so berühmt war. Es sind Figuren, an deren Entscheidungen man den eigenen moralischen Kompass orientiert. Was ist mir wichtig? Wie soll ich mich verhalten? Welche Wahl soll ich treffen?

Stand am Anfang meine Freude am visuellen Stil, hält nun die Frage, wie fiktionale Charaktere, die mir vertraut geworden sind, sich in neuralgischen Situationen entscheiden werden, mein Interesse wach. Im Leben Don Drapers gibt es neben allen Exzessen immer wieder Situationen, in denen er innehält und sein Leben kritisch betrachtet. Es geht in diesen kurzen Augenblicken der Selbstbesinnung um das Erproben von Menschlichkeit, und dieses teilt er eher mit Frauen. Das Begreifen bricht nur selten die glatte Oberfläche eines gnadenlosen Kapitalismus, gewinnt jedoch eben dadurch seine Brisanz. Kürzlich hat meine Schwester mich angerufen. Sie hat Season Four zu Ende gesehen und will jetzt von mir die nächste Staffel von «Mad Men» bekommen. Ich musste sie auf den Frühling 2012 vertrösten. Im Warten, versicherte ich ihr, liegt ein Reiz. Die eigenen Erwartungen bleiben offen.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 6/2011 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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