Josef Dabernig ist ein ordentlicher Künstler. Betritt man die Ausstellung, die das Museum moderner Kunst (mumok) in Wien derzeit unter dem Titel «Rock the Void» ausrichtet, fällt zunächst auf, dass es auf den ersten Blick kaum etwas zu sehen gibt. Leere weisse Wände in drei Etagen dominieren den Eindruck, erst hinter mancher Ecke verstecken sich diverse architektonische Elemente sowie ein paar Vitrinen mit Ausstellungsgegenständen. Alles ist buchstäblich aufgeräumt, scheinbar frei von Bedeutungen. In einer der Vitrinen liegen zahlreiche mit enger Handschrift beschriebene Zettel, und man muss schon die Nasenspitze an die Glasscheibe pressen, um die wie aus einem Guss geschriebenen Worte lesen zu können: Es ist die handschriftliche Kopie eines Diätbuchs, die Dabernig penibel, Zeile für Zeile, übertragen hat. In einem anderen Schaukasten sieht man akribisch geordnete Eintrittskarten zu besuchten Fussballspielen. Dabernigs Sinn für Ordnung schlägt sich offensichtlich in Sammlungen, Tabellen und Listen nieder. Auch deshalb kommt man sich in der Weite der weissen Gänge und Hallen bald ein wenig verloren vor.
Doch plötzlich wird man kleiner dunkler Räume gewahr, jeweils hinter mehreren Ecken beinahe versteckt und schwarzen Höhlen gleich. Hier erfährt die Ordnung der Dinge noch einmal eine andere Bedeutung, findet sich in kaum länger als halbstündigen Filmen wieder. Es sind irritierende Arbeiten, fast immer gedreht auf Schwarzweissmaterial, was diesen Filmen zu ihrer formalen Strenge eine gewisse Rohheit verleiht. Und bald wird mit Arbeiten wie Lancia Thema (2005), Hypercrisis (2011) und Dabernigs jüngstem Werk River Plate (2013) ersichtlich, warum der klassisch ausgebildete Bildhauer mittlerweile auch zu den innovativsten österreichischen Filmemachern gezählt werden muss.
«Ich bin der Trauernde, der Leidtragende», hört man in einem der kleinen Kinos eine Stimme aus dem Off. Rosa coeli (2003), ein Frühwerk Dabernigs, ist einer der wenigen Filme mit Kommentar (die Stimme gehört dem Schauspieler Branko Samarovski) und nimmt bereits einige Positionen der späteren Arbeiten vorweg. Dabernig erzählt von der Fahrt eines Mannes zum Begräbnis des Vaters in ein mährisches Dorf, und diese Rückkehr ist zugleich eine in ein fest reglementiertes System, in ein soziales Gefüge, das seiner eigenen Ordnung folgt und seine eigenen Regeln befolgt. Die Bewohner würden ihn jedenfalls trotz langer Abwesenheit sofort wiedererkennen, meint der Heimkehrer. Man müsse eben nur hineinschlüpfen in die Rolle, die einem zugedacht sei, dann werde man schon sehen, ob sie einem passe. Dabernig legt mittels starrer, insistierender Kameraeinstellungen und einer bis in die Kindheit des Mannes zurückführenden Erzählung eine “unsichtbare” Ordnung bloss, aus der ein Ausbruch kaum möglich scheint. In der im selben Jahr entstandenen sechsminütigen 16-mm-Arbeit Parking bleiben zwei Männer mit ihrem Wagen auf einer Landstrasse stehen, ehe sie sich sorgsam entkleiden, ihre Hemden und Hosen ordentlich gefaltet auf der Rückbank deponieren und nur in Unterwäsche bekleidet zu einem sadomasochistischen Intermezzo in den Wald aufbrechen.
Die Filme Josef Dabernigs, geboren 1956 in Kärnten, fordern ihre Zuschauer heraus. In fast allen Arbeiten treten Dabernig selbst sowie eine kleine Gruppe von Freunden und Verwandten auf, bilden ein streng choreografiertes Ensemble in einer Art von Wartezustand. Ob Urlauber im Hotel Roccalba (2010), Turnende in Excursus on Fitness (2010), Ärzte in einem Erholungsheim in Hypercrisis oder Badende in River Plate: Stets baut die Spannung darauf auf, wie die menschlichen Körper unterschiedliche Innen- und Aussenräume besetzen.
Zugleich sind diese Menschen, selbst wenn sie sich in Bewegung befinden – so wie Dabernig in Lancia Thema als ein nach Italien reisender Fotograf, der ständig sein eigenes Auto ablichtet, in einem Wartezustand gefangen. Diese Form der Starre mag Dabernigs Affinität zur Bildhauerei geschuldet sein, in jedem Fall aber ist dieses Warten kein Zustand der Kontemplation, sondern trägt eine Unruhe in sich. In Hypercrisis schleppt sich Dabernig gar als krisengeschüttelter Dichter rastlos und zur psychedelischen Rockmusik von Can durchs Unterholz, während seine Ärzte sich kulinarischen Genüssen hingeben.
Durch das Warten auf eine mögliche Veränderung und durch wiederholte Grossaufnahmen von Körperteilen – von Halbglatzen bis behaarten Waden – entstehen dabei nicht nur surreale und komische Momente, sondern auch Augenblicke von Flucht und Befreiung. Und sei es, dass wie in River Plate ein Gewitterschauer die Badenden unter eine hässliche Autobahnbrücke treibt.
Josef Dabernig: Rock the Void. Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig, Wien, bis 14. September 2014; zur Ausstellung ist der zweite Band des Werkkatalogs als Begleitpublikation erschienen.