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Spoiler 2001

Die Rätsel des Alls

Wie kein anderer Science-Fiction-Film liegt Stanley Kubricks 2001: A Space Odyssey dank eines aufgelösten Rätsels jenseits aller Spoiler.

Text: Simon Spiegel / 17. Jan. 2017

Denis Villeneuves vielerorts gefeierter Arrival ist Vertreter einer ganz spezifischen Unterart der Science-­Fiction – des philosophischen First-Contact-­Films. In seinem Zentrum steht die Begegnung mit einer ausserirdischen Intelligenz, die im Gegensatz zum gängigen Personal von Star Wars oder Star Trek nicht mehr oder weni­ger menschenähnlich ist, sondern sich unseren Verstandeskategorien weitgehend entzieht.

In Arrival erscheinen sonderbar tropfenförmige Raumschiffe auf der Erde und verharren passiv in der Luft. Was die Ausserirdischen wollen, wo sie herkommen, weiss niemand. Die Prot­agonistin, die von Amy Adams gespielte Linguistin Louise, erhält den Auftrag, die Sprache der Aliens zu entschlüsseln. Eine überaus schwierige Aufgabe, denn wie sich herausstellt, ist diese Ausdruck einer uns Menschen vollkommen fremden Art der Weltwahrnehmung. Der grosse Clou des Films ist, dass die Ausserirdischen Zeit nicht linear, sondern synchron wahrnehmen, folglich kennt ihre Sprache auch keine Sätze mit Anfang und Ende.

Urvater dieses Subgenres ist natürlich Stanley Kubricks epochaler 2001: A Space Odyssey, in dem ein geheimnisvoller schwarzer Monolith als eine Art Evolutionskatalysator fungiert. Zu Beginn des Films leitet er den Übergang vom Menschenaffen zum Homo faber ein, am Ende eine Wiedergeburt als Astralembryo. Kubricks Film, zu Beginn von der amerikanischen Kritik verrissen, hat sich längst seinen Platz im Filmkanon gesichert. Tatsächlich scheint sein Einfluss mit den Jahren stets zuzunehmen. Von Contact über Sunshine und Interstellar bis Arrival – wer in den vergangenen zwanzig Jahren einen Weltraumfilm mit einem gewissen intellektuellen Anspruch drehte, kam um den Vergleich mit 2001 nicht herum.

Was die genannten Filme verbindet, ist die Ehrfurcht vor den Rätseln des Alls, das Bestreben, die Fremdheit dessen, was uns in den Weiten des Kosmos erwarten könnte, zu bewahren. Worin sich 2001 gegenüber seinen zahlreichen Epigonen auszeichnet, ist aber, dass er dieses Ansinnen bis zum Schluss durchhält und die Rätselhaftigkeit bestehen lässt.

Wenn der Astronaut David Bowman am Ende von 2001 in der Umlaufbahn des Jupiters auf einen wei­teren Monolithen trifft und zum Sternenfötus mutiert, weiss das Publikum im Grunde genauso wenig wie zu Beginn. Offensichtlich besteht ein Zusammenhang zwischen dieser Verwandlung und dem Monolithen, und allem Anschein nach ist dieser ausserirdischen Ursprungs. Mehr gibt der Film nicht preis. 2001 ist damit weitgehend unspoilerbar; man kann die Handlung nacherzählen, verrät damit aber erstaunlich wenig über den Film. Der Clou von 2001 ist, dass er keinen Clou besitzt, dass sein Rätsel unaufgelöst bleibt.

2001 08

Dieses offene Ende war keineswegs von Anfang an geplant. Im Drehbuch, das Kubrick gemeinsam mit dem Science-Fiction-Autor Arthur C. Clarke verfasste, wird der Monolith noch als eine Art überdimensionaler Fernseher beschrieben, der den Hominiden den Gebrauch von Werkzeug beibringt. Von Bowmans rätselhaftem Wandel war nirgends die Rede, stattdessen sollte ein Off-Kommentar erklären, dass mit dem Erreichen des Saturns – selbst der Planet war zu diesem Zeitpunkt noch ein anderer – ein uraltes Experiment zu seinem Ende kommt. Dass das eine eher plumpe Auflösung ist, war Kubrick bewusst, und so suchte er während der rund vierjährigen Produktionszeit ständig nach neuen Ideen, um den §first contact effektvoll in Szene zu setzen. Er liess zahlreiche Entwürfe für den Monolithen anfertigen und drehte Testaufnahmen, in denen ein Pantomime als Alien agierte. In diesem langwierigen Prozess wurde etwas immer klarer: Je rudimentärer die Erklärung ausfällt, je weniger der Zuschauer zu sehen kriegt, desto interessanter das Ergebnis. So blieb am Schluss mit dem schwarzen Quader eine der simpelsten geometrischen Formen übrig, und die Ausserirdischen selbst treten überhaupt nie ins Bild. Man mag diese Verrätselungsstrategie prätentiös finden, sie ist aber zweifellos wirkungsvoll. Zu kaum einem Film wurde so viel geschrieben wie zu 2001.

Seine Nachfolger schlagen da einen anderen Kurs ein. Sei es Contact, Interstellar oder eben Arrival – am Ende steht immer ein Twist, der alles erklärt. Villeneuve verwendet in der ersten Hälfte seines Films zwar viel Zeit und Können darauf, die Begegnung mit den Ausserirdischen als überwältigenden Moment zu inszenieren. Die Spannung, die der Film aufbaut, verflüchtigt sich im grossen Showdown aber mit einem Schlag, als nervöse Militärs kurz davor sind, die Raumschiffe anzugreifen. Als es darauf ankommt, können die Ausserirdischen nicht nur problemlos mit Louise kommunizieren, sie erklären auch, warum sie gekommen sind. Dass hier so manches ziemlich widersprüchlich wird, ist dabei weniger gravierend als ein gewisses Gefühl der Ernüchterung. So simpel war das also? Kubrick belässt alles im Ungefähren und erhält sich damit das Rätsel, Ville­neuve erklärt und riskiert damit die grosse Enttäuschung.

Arrival

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 1/2017 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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