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Das Trauma des Krieges bleibt stumm

Wie filmt man das Schweigen? Das fragt sich die syrische Regisseurin Soudade Kaadan in ihrem Dokfilm Obscure. Sie folgt darin einem stummen syrischen Jungen und landet bei existenziellen Fragen zur Erinnerung an den Krieg.

Text: Timo Posselt / 05. Apr. 2017

Wie das Schweigen filmen? Vor dieser Frage steht die syrische Dokumentarfilmerin Soudade Kaadan in ihrem Film Obscure (Otmah). Sie nähert sich darin dem syrischen Jungen Ahmad, der auf ihre Fragen aber jeweils mit Schweigen antwortet. Ahmad möchte sich nicht daran erinnern, dass er aus Syrien kommt. Die Regisseurin ordnet sich dem Schweigen des Kindes unter und folgt ihm zu den Therapiestunden mit der Psychologin, auf den Streifzügen durchs Quartier in seiner neuen Heimat, dem Libanon, und bei den Begegnungen mit Gleichaltrigen. Die Kamera bleibt stets auf der Augenhöhe des Kindes. Doch Ahmad bleibt weiterhin stumm. In den Erinnerungen anderer Kinder an den Krieg können wir die Schrecken, die aus Ahmads Schweigen sprechen, nur erahnen. Das wiederholte Nachfragen der Regisseurin zeigt uns, dass es auf diese Fragen für traumatisierte Kinder wie Ahmad keine Antworten gibt.

Mit einem starken Gefühl für Rhythmus stellt Soudade Kaadan den Begegnungen mit Ahmad und anderen Kindern Gespräche mit Syrerinnen und Syrer aus ihrer Generation gegenüber: Fadi, der sich beim Betrachten des Videos vom Massaker an seinem Vater fragt, warum er nichts fühlt. Die junge Demonstrantin, die von den ersten friedlichen Protesten gegen das Regime im Jahr 2011 erzählt. Auffällig oft zeigt der Film Bilder des Krieges auf Handydisplays und Computerbildschirmen. Ohne ihn zu adaptieren, zeigt Kadaan damit, wie uns der tägliche Strom an Kriegsbildern erreicht. In den Mobilgeräten der ProtagonistInnen lagern nicht nur Videos ihrer toten Familienmitglieder, sondern auch die guten Erinnerungen an ein Vorkriegssyrien. Aus dem Off fragt die Regisseurin an einer Stelle: «Werden wir Bilder je wieder gleich betrachten können wie vor dem Krieg?» Diese Frage bleibt, während die Leinwand weiss und leer ist, genauso unbeantwortet wie viele ihrer Fragen an Ahmad.

Obscure 1

Dies seien die Fragen, die sich ihre Generation stellt, erklärte Soudade Kaadan gestern Nachmittag im Publikumsgespräch am Festival International de Film de Fribourg. «In Zeiten, wo von uns verlangt wird, die rohen Bilder des Krieges zu zeigen, ist das Schweigen im Film eine Form des künstlerischen Widerstands gegen die gängigen Narrative den Krieg darzustellen.» In der Gegenüberstellung von Ahmad und den Fragen ihrer Generation, scheint das kollektive Gedächtnis Syriens ineinanderzufallen. Soudade Kaadan hat einen erschütternden Film über das Trauma des Krieges geschaffen und eine Form gefunden, sich der Stille eines Kindes anzunehmen, die mehr über das Trauma des andauernden Bürgerkriegs in Syrien sagt als der tägliche Strom an Bildern. Obscure war bis anhin einer der stärksten Filme im Wettbewerb in Fribourg.

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