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3:10 To Yuma

Text: Thomas Basgier / 16. Jan. 2008

Nach John Fords The Man Who Shot Lberty Valance (1962) war das Westerngenre nicht mehr dasselbe. Hier wurde es sozusagen seiner ideologischen Grundfesten beraubt, verlor die Stabilität seiner Stereotypen, büsste den Zauber der von ihm reproduzierten Mythen ein. Was in der Folge noch von Männern handelte, die in Stiefeln sterben, musste sich unter den Begriff Spätwestern subsumieren lassen. Regisseure wie Sam Peckinpah, Robert Altman, Arthur Penn, Burt Kennedy, Michael Cimino, Michael Winterbottom, aber auch Leone und Corbucci haben in ihren einschlägigen Werken den von Ford vollzogenen filmhistorisch wie gesellschaftlich relevanten Bruch stets mitinszeniert: Denn Glaubwürdigkeit konnte der Spätwestern nur erlangen, indem er konsequent den klassischen Western dekonstruierte und somit das gängige Selbstverständnis der Vereinigten Staaten bezüglich der eigenen Vergangenheit in weiten Teilen als Zerrbild entlarvte.

James Mangold zeigt sich von dieser Entwicklung völlig unbeeindruckt. Der hauptsächlich durch Walk the Line, der filmischen Adaption der Biografie Johnny Cashs, bekannt gewordene Schüler von Alexander Mackendrick und Milos Forman erweckt mit 3:10 to Yuma nämlich den Eindruck, als seien die letzten vierzig Jahre Kinogeschichte spurlos an ihm vorübergezogen. Dies hat nur bedingt mit dem Umstand zu tun, dass es sich um ein Remake handelt. Bereits 1957 setzte Delmer Daves unter dem gleichen Titel eine Kurzgeschichte von Elmore Leonard in Szene. Das Original besticht weniger durch einen anspruchsvollen Plot als vielmehr durch eine rasante Exposition sowie die vorzügliche Schwarzweissfotografie des Kameramanns Charles Lawton jr. Und es zieht seine Spannung daraus, dass hier zwei unterschiedliche Charaktere aufeinanderprallen, die nicht einfach in ein good guy / bad guy-Schema passen, sondern die mittels elaborierter Dialoge ein Musterstück in psychologischer Kriegsführung abliefern. Zweihundert Dollar werden dem in Existenznot geratenen Rancher Dan Evans geboten, damit er den charismatischen Bandenchef Ben Wade zu einer drei Tagesritte entfernten Bahnstation bringt, von wo aus der Zug nach Yuma, ins dortige Staatsgefängnis fährt. Abfahrtszeit ist 3:10 Uhr – das Vorrücken des Zeigers auf dem Ziffernblatt ist von ähnlicher Dramatik wie in Fred Zinnemanns High Noon (1952), denn die Clique des Oberkriminellen will den Gefangenentransport um jeden Preis verhindern.

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Bei Daves sind es Van Heflin (Evans) und Glenn Ford (Wade), die sich auf hohem Schauspielniveau mental und auch physisch aneinander abarbeiten. Mangold schickt Christian Bale als Evans und Russel Crowe als Wade in die Arena, und da fängt das Problem schon an. Einerseits erweist sich Crowe seinem Gegenüber als darstellerisch weit überlegen, andererseits ziert über lange Strecken des Films ein spöttisches Feixen sein Gesicht, als sei dies der einzige mimische Ausdruck zur Demonstration von Egomanie. Im Vergleich zum Original weist das Remake einige Veränderungen auf: die Figur eines Kopfgeldjägers im staatlichen Auftrag wird eingeführt (verkörpert von Peter Fonda), und der vierzehnjährige Sprössling des Viehzüchters rückt unversehens in den Mittelpunkt des Geschehens. Aus der Zweierkonstellation wird somit eine Dreierkonstellation: Der Heranwachsende sieht sich plötzlich mit zwei extrem divergierenden Vaterbildern konfrontiert, und da 3:10 to Yuma eben kein Spätwestern, sondern der Abklatsch eines Traditionswestern ist, endet es, wie es enden muss: mit einem überzeichnet-verkitschten Sühneopfer des Erzeugers, der seinen bisherigen Mangel an Heldentum bewusst im Beisein des Sohnes heroisch kompensiert.

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Überhaupt der Schluss: der war schon in der Fünfziger-Jahre-Fassung ausgesprochen fragwürdig. In der Neuverfilmung gerät er zur Posse eines Showdowns, als selbst eine Legion von Schiesswütigen nicht verhindern kann, dass Evans mit Wade auch die letzten 800 Meter zum Zielbahnhof zurücklegt. Nun war der Western schon immer ein reichlich irreales Genre, in dem eine Übermacht von Zwanzig gegen Einen noch gar nichts besagt und in dem harte Kerle Stunden durch die staubige Prärie reiten, um sich anschliessend im erstbesten Saloon Hochprozentiges hinter die Binde zu kippen. Aber exakt von der Sorte sind die Klischees, die Mangold dem Zuschauer unreflektiert zumutet und die dafür sorgen, dass man den Film bereits während des Zuschauens wieder zu vergessen beginnt.

Am ehesten bleibt wahrscheinlich der Schauspieler Ben Foster in der Rolle des Vize-Bosses der Wade-Bande im Gedächtnis haften: ein diabolischer Killer mit derart melancholisch dreinblickenden, wässrig-blauen Augen wütete lange nicht mehr über die Leinwand. Und allenfalls kann der Regie und dem verantwortlichen Drehbuchteam Michael Brandt / Derek Haas (letztere haben schon das Script zu 2 Fast 2 Furious verbrochen) zugute gehalten werden, dass sie wenigstens ansatzweise bemüht waren, so etwas wie einen Subtext in die Handlung einzuflechten. Die Ausgestaltung der amerikanischen Gesellschaft vollzieht sich nämlich quasi wie ein dialektischer Prozess, wird eben nicht nur von der individuellen Loyalität zu den Werten des Landes geprägt, sondern auch von Korruption, Geldgier, Ausbeutung, Folter und Feigheit bestimmt. Freilich sind die entsprechenden Motive hier viel zu beliebig gestreut, um überzeugen zu können. 3:10 to Yuma ist also keineswegs die Wiedergeburt eines dahinvegetierenden Genres, es ist vielmehr ein neuerlicher Beleg für dessen Siechtum.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 1/2008 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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