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Bird's Nest

Text: Mathias Heybrock / 16. Jan. 2008

Zwei Stadien haben die Basler Stararchitekten Jacques Herzog & Pierre de Meuron bereits gebaut: den St. Jakob-Park in Basel und die Allianz Arena in München. Wird der Auftrag zu einer dritten Arena damit bereits Routine? Nicht, wenn er aus Peking kommt und das Nationalstadion betrifft – die zentrale Spielstätte der Olympischen Sommerspiele im kommenden August. Bauen im Reich der Mitte: Für Herzog & de Meuron wird sich das als ein Abenteuer erweisen. Das zeigt ein sehenswerter Dokumentarfilm von Christoph Schaub (der bereits Filme über Peter Zumthor, Santiago Calatrava und andere Architekten drehte) und von Michael Schindhelm, dem Chinakenner und ehemaligen Intendanten des Theater Basel.

Welche Stolpersteine am Wegesrand liegen können, lässt sich allein schon am Namen des neuen Stadions ablesen. Als der Entwurf der Basler Architekten der chinesischen Öffentlichkeit vorgestellt wurde, tauften die Medien ihn begeistert «Bird’s Nest» – so Li Aiquing, Direktor der staatlichen Bauverwaltung. Das ist ein extrem positiv besetztes Wortbild, das für Behaglichkeit, Grosszügigkeit und Gastfreundlichkeit steht. Ein konkurrierender Entwurf des französischen Architekten Jean Nouvel erinnerte die Chinesen hingegen an einen Schildkrötenpanzer – ein Wortbild, das auch für den gehörnten Ehemann steht. Allein diese Konnotation reichte, um Nouvel völlig chancenlos zu machen.

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Dass kulturelle und mentalitätsgeschichtliche Eigenarten ein noch so gut gemeintes Projekt torpedieren können, hatten Herzog & de Meuron freilich auch schon erfahren – in Moskau und Dubai scheiterten sie aus diesem Grund mit ihren Entwürfen. Das veranlasste sie, für China nach einem «kulturellen Übersetzer» zu suchen. Sie fanden ihn in Uli Sigg, dem langjährigen Botschafter der Schweiz in China, und in Ai Weiwei, dem berühmten chinesischen Künstler und Architekten. Beide kommen hier ausführlich zu Wort und tragen mit ihrem Hintergrundwissen dazu bei, dass man die widersprüchliche, sich rasant wandelnde chinesische Gesellschaft etwas besser begreift; eine Kontextualisierung, die den beiden Filmemachern mit ihren episodisch eingeschobenen Schlaglichtern auf das Alltagsleben auch auf der visuellen Ebene gelingt.

Die Entstehung des «Bird’s Nest» dokumentiert der Film von den ersten Skizzen bis zur Fertigstellung des Rohbaus, inklusive zahlreicher Rückschläge und einer harten, oft undurchschaubaren Verhandlungstaktik der chinesischen Partner. Erst als er gelernt habe, diese Gespräche als «Ping Pong» zu begreifen, bei dem die immer neuen Forderungen einfach pariert werden müssen anstatt ihnen nur zu genügen, hätten sie sich den Respekt der Gegenseite verdient, sagt de Meuron einmal. Ebenfalls vorgestellt werden weitere chinesische Projekte der beiden, so ein Konzept für einen ganzen Stadtteil in der Provinzstadt Jinhua, das trotz überschwänglichen Lobs des Baubürgermeisters bis heute im Planungsstadium verharrt.

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Trotz solcher Rückschläge sind Herzog & de Meuron von China begeistert. «In der Schweiz kann Architektur das Städtebild allenfalls noch modifizieren», schwärmt Jacques Herzog einmal. In China dagegen lasse sich neu gestalten. Und dass man dabei für eine Regierung arbeitet, die Menschenrechte verletzt, fragen Schaub und Schindhelm? Gerade die Arbeit und Anwesenheit westlicher Architekten werde den Öffnungs- und Demokratisierungsprozess vorantreiben, lautet Herzogs Replik. Den Einwand des Architekturkritikers Zhi Yin, renommierte Stararchitekten würden sich in China “austoben”, anstatt Bauten von bleibendem kulturellem Wert zu schaffen, kontert später de Meuron. Sie hätten den grossen Bedarf der Pekinger nach öffentlichen Plätzen genau registriert, ihre Lust, sich noch den kleinsten Grünstreifen etwa für das kollektive Schattenboxen anzueignen. Auch das in einen Park eingebettete Vogelnest mit seiner imposanten, begehbaren Stahlkonstruktion werde später so ein Ort der Begegnung sein, prophezeit de Meuron. Dieser Wunsch wird von den beiden Filmemachern vielleicht etwas gar eilfertig erfüllt: Bilder von der immer noch weiträumig abgesperrten Stadion-Baustelle überblenden sie minutenlang mit Aufnahmen tanzender Menschen, die so das Stadion gleichermassen beleben. Das hätte ein Werbevideo des Basler Architektenbüros auch nicht besser gekonnt.

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Doch spricht das noch nicht gegen den Ernst und die Integrität, mit der Herzog & de Meuron operieren. Keineswegs wollten sie den Chinesen einfach etwas aufoktroyieren. Sie haben sich intensiv mit Gesellschaft und Geschichte und auch den Bautraditionen des Landes auseinandergesetzt und sie in ihre Entwürfe zu integrieren versucht. Diese «Chineseness» (Sigg) wird von dem staatlichen Bauherrn Li Aiquing auch ganz offensiv eingeklagt, wenn er mit dem maliziösen Lächeln eines Potentaten die beiden Stararchitekten als bessere Dienstleister beschreibt, die sich gefällig nach den Bedürfnisse ihrer Auftraggeber zu richten hätten. Wenn es nur einfacher wäre, sie herauszufinden. Manchmal soll Architektur wie ein Branding, ein weltweit akzeptiertes Markenzeichen sein; dann wieder möglichst funktional, billig und ohne sperrige Charakteristik. Wer solche widersprüchlichen Anforderungen hört, ist beinahe erstaunt, dass die Architekten ihr Vogelnest, das sie für ihren bislang wichtigsten Bau halten, tatsächlich in dieser eigenwilligen Form verwirklichen konnten. Ob die Chinesen es später als öffentlichen Ort akzeptieren werden, muss sich erst weisen. Dass es Architektur von internationaler Strahlkraft darstellt, ist bereits jetzt unbestreitbar.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 1/2008 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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