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Charlie wilsons war 09

Charlie Wilson's War

Text: Jürgen Kasten / 16. Jan. 2008

Das Debakel der US-Amerikaner im Irak hat eine Vorgeschichte und ist nicht frei von historischer Ironie. Sie selbst waren es, die 1980 im Krieg der Sowjetunion gegen Afghanistan die Mudjahedin aufrüsteten. Man glaubte sich noch immer im Kalten Krieg, sah die latenten Konflikte muslimischer Gotteskrieger mit der westlichen Lebensweise nicht. Wie hätte das dann ausgerechnet der osttexanische Kongressabgeordnete Charlie Wilson erkennen können? Der war bis dato nur durch seine stetige Wiederwahl aufgefallen und durch genau jene westlichen Ausschweifungen eines Lebens zwischen Whirlpool und Spendenwerbeparties, Whisky und Kokain, Blondinen und Brünetten. Allerdings ist der Hinterbänkler immerhin Mitglied in der Ethikkommission und im Verteidigungsausschuss. Tom Hanks, der den Film auch produzierte, ist weder eine überzeugende Verkörperung des raubeinigen Texaners und Womenizers noch die eines schlauen Politikers aus der Provinz. Er steht vor allem für die Aufrichtigkeit der Überzeugungen der Figur, seien es nun die erotischen oder die politischen, mit denen sich der Film zunehmend beschäftigt. Wie Charlie Wilson dazu kommt, auf welcher geistigen oder ökonomischen Grundlage sie stehen, das wird ausgeklammert beziehungsweise als bekannt vorausgesetzt. Wahrscheinlich ist es noch immer die Ideologie der Western: wenn irgendwo etwas schief oder ungerecht läuft, dann muss der wackere Mitläufer ein Held werden und aufräumen.

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Gerade ist Charlie Wilson von einer Orgie in Las Vegas zurückgekommen, da zitiert ihn die sechsreichste texanische Milliardärin zu sich. Die Aussicht auf ein Schäferstündchen mit ihr lässt ihn nach Houston fliegen. Doch beim Après-Sex erwartet sie eine konkrete politische Gegenleistung: die Verdopplung des CIA-Etats für geheime Operationen in Afghanistan. Charlie Wilson konnte bis dahin nicht einmal Afghani- von Pakistan unterscheiden. Doch er tut, was ihm seine Gönnerin aufgetragen. Die wird von Julia Roberts als sphinxhaft ondulierte Weissblondine gespielt. Was sie eigentlich antreibt, grosse internationale Politik zu betreiben, bleibt völlig unklar. Vielleicht Langeweile, vielleicht die mühsam heruntergekühlte Machtgeilheit einer Lady Macbeth im staubig heissen Texas.

Es bedarf nur einiger weniger Szenen, in denen russische Kampfhubschrauber afghanische Zivilisten jagen, um die Notwendigkeit des Eingreifens zu beglaubigen. Nichols zeigt das aus der Perspektive eines Videospiels und der einschlägigen Szene in Apocalypse Now (1979), nachbearbeitet am Computer. Charlie Wilson fliegt schnell nach Islamabad, um mit dem pakistanischen Präsidenten zu konferieren, und besichtigt anschliessend ein Flüchtlingslager, wo das Elend, das die Russen erzeugen, ausgestellt wird. Es ist fast das einzige grosse Kinobild des 75 Millionen Dollar teuren Films, wenn die Kamera langsam zurückfährt und offenbart, dass das gesamte Tal von vertriebenen Afghanen unter Zelten und Plastikplanen bevölkert ist. Eine solch effektvolle Einstellung war schon in Gone With the Wind (1939) zu sehen, dort zeigte sie einen riesigen Lazarettplatz im amerikanischen Bürgerkrieg. Die emotionale Wirkung auf Charlie setzt natürlich sofort ein. Er ist es, der den verdeckten Krieg gegen die Russen in Afghanistan ermöglicht, indem er dafür parlamentarisch eine Milliarde Dollar besorgt (so behauptet es jedenfalls der zugrunde liegende Bestseller von George Crile). Der Erfolg, der sich einstellte, erscheint rückblickend eher als Pyrrhussieg. Bekanntlich ziehen sich die Russen 1987 aus Afghanistan zurück, und es entsteht ein bis heute anhaltender Bürgerkrieg. Zur Hilfe gekommen war Charlie ein etwas durchgeknallter, messerscharf strategisch denkender, alle (Benimm-)Regeln ignorierender CIA-Beamter. Philip Seymour Hoffman spielt ihn mit verbohrtem Schneid, köstlichem Zynismus und umwerfender Macho-Schärfe, so dass die Türen im CIA-Hauptquartier in Langley regelmässig zu Bruch gehen.

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1969 hatte Mike Nichols in Catch 22 den Irrwitz der Kriegsmaschinerie gezeigt, die letztlich nur zur Profitmaximierung angeworfen wird. Zwar findet sich auch in Charlie Wilson’s War Aberwitz und Ironie. Doch die speist sich vor allem aus dem Ergebnis der vorgefundenen historischen Verläufe. Die satirische Schärfe von Catch 22 erreicht der Film trotz der Rasanz scharfzüngiger Dialoge und soap-operahaftem Tempo nicht. Zu viel ist einfach dahingesagt. Die Strukturen, in denen Politik und Kriege stattfinden, bleiben vordergründig, somit ebensowenig kritisch beleuchtet wie die Rüstungsgeschäfte, die Charlie Wilson einfädelt. Die Handlung wird gerahmt von der Verleihung des höchsten militärischen Ordens an den Helden, den dieser vor der überdimensionalen US-Flagge in einem Flugzeughangar tränenbewegt entgegennimmt. Es wird suggeriert, dass er glorreich gehandelt hat, auch wenn das Endspiel einmal mehr versaut wurde. Geld für den Wiederaufbau konnte er nämlich nicht mehr locker machen. An solche Überlegungen verschwendet Charlie Wilson’s War nur einen nachgestellten Schriftsatz vor dem Abspann. Insofern trägt der Film wenig dazu bei, das regelmässige finale Versagen der brachialen US-Aufräumerdoktrin in Frage zu stellen. Das folgsame Einschwenken auf amerikanische Denk- und Lebensweisen wie in Deutschland nach 1945 bleibt wohl doch eher historische Ausnahme. Charlie Wilson erweist sich als Amerikaner durch und durch. Der Bomberpilot Yossarian in Catch 22 war es nicht und formulierte damals schon die Skrupel, die heute angebrachter denn je wären.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 1/2008 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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