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Michael Clayton

Text: Simon Spiegel / 16. Jan. 2008

Der Anwalt Michael Clayton, Spezialist für «juristische Aufräumarbeiten», ist gerade auf der Heimfahrt, als er relativ unvermittelt anhält und aussteigt, um Pferde neben der Strasse zu betrachten – da fliegt sein Auto in die Luft. Ein Zwischentitel später: Ein Flashback blendet vier Tage zurück und rollt die Ereignisse auf, die zu dem Anschlag geführt haben. Der Kunstgriff, mit einem Höhepunkt zu beginnen, der im Ablauf der Geschichte eigentlich erst gegen Ende kommt, um dann anschliessend die Erzählung vom Anfang an chronologisch abzuspulen, hat man mittlerweile etwas oft gesehen. Wenn wir die Szene gegen Ende des Films dann noch einmal sehen, wird sie eine ganz andere Bedeutung haben. Das ist durchaus reizvoll, dieser narrative Trick, der vor allem dazu dient, den Film gleich mit einem Knaller zu beginnen, wirkt aber nicht mehr ganz so smart wie einst.

«Smart» ist überhaupt ein Adjektiv, das zu Michael Clayton sehr gut passt, und das ist durchaus nicht negativ gemeint, denn Tony Gilroy erzählt seine Geschichte äusserst souverän und kontrolliert. Der Plot ist zwar erst einmal ziemlich konventionell: Eine Anwaltskanzlei vertritt einen Chemiekonzern in einer Sammelklage. U/North wird beschuldigt, ein giftiges Pflanzenschutzmittel verkauft zu haben. Als Arthur Edens, der federführende Anwalt, erfährt, dass sein Klient stets von den Nebenwirkungen wusste, erleidet er einen Nervenzusammenbruch, zieht sich während einer Zeugeneinvernahme nackt aus und überhäuft die Zeugin der Gegenseite mit Liebesbezeugungen. Der ganze Prozess steht auf dem Spiel und mit ihm die geplante Fusion der Anwaltskanzlei. Clayton wird beauftragt, sich um seinen Freund Arthur zu kümmern und den Schaden zu beheben, doch er hat selbst Probleme genug: Schulden, einen Bruder mit einem Suchtproblem und eine unsichere Zukunft in der Kanzlei.

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Dass heutzutage das Böse ein Anwaltspatent hat, weiss Gilroy, der mit Michael Clayton sein Regiedebüt gibt, schon länger, stammt von ihm doch auch das Drehbuch zu The Devil’s Advocate, in dem Keanu Reeves einen faustischen Handel eingeht. Seither sind zehn Jahre vergangen, und Gilroy ist mittlerweile offensichtlich zur Einsicht gelangt, dass die moderne Geschäftswelt so oder so die Hölle ist – auch ohne übersinnliches Personal. Das wahrhaft Diabolische an Michael Clayton ist, dass es hier keinen richtigen Bösewicht mehr gibt. Alle sind nur Handlanger, stehen im Dienst übergeordneter Mächte. Clayton bezeichnet sich selbst als Abwart, der gerufen wird, um die Schweinerei aufzuputzen, doch im Grunde versehen seine Kollegen und selbst die von U/North angeheuerten Killer die gleiche Aufgabe. Sogar Karen Crowder, die eigentliche Gegenspielerin Claytons, erscheint letztlich als hilflose Marionette, die ihre scheinbar so souveränen Medienauftritte vor dem Spiegel einstudieren muss.

Jeder ist hier nur ein Zahnrad im System, respektive sorgt mit reichlich Schmiere dafür, dass dieses weiterläuft. Diese Form der Kapitalismuskritik mag weder sonderlich neu noch subtil sein, doch sie erhebt den Film über den Thriller-Durchschnitt. In Michael Clayton geht es nie wirklich darum herauszufinden, wer die Bösewichte sind und welche finsteren Machenschaften sie verheimlichen; anders als in Filmen Grishamscher Prägung, gibt es kaum Schiessereien und wilde Verfolgungsjagden. Der Giftskandal rückt nie ins Zentrum, er wirkt nur als Hintergrund, vor dem die Figuren agieren. Denn ihnen und ihrer Interaktion gilt das Interesse des Films.

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Gilroy lässt sich viel Zeit, was umso erstaunlicher ist, wenn man bedenkt, dass von ihm auch die Drehbücher zur «Bourne»-Trilogie stammen, deren letzten beiden Teile an Hektik kaum zu überbieten waren. Doch durch die bedächtige Regie wird Michael Clayton etwas überraschend zum Schauspielerfilm. George Clooney stellt seinen patentierten Nespresso-Charme – dieses Mal in der etwas depressiven Variante – gewohnt gekonnt zur Schau, und auch das übrige Ensemble weiss zu gefallen. Tilda Swinton in der Rolle der Wirtschaftsanwältin, die sich in der Männerwelt hochgekämpft hat und immer darauf bedacht ist, die Fassung zu wahren, ist schlicht grossartig. Ebenso sehenswert ist Tom Wilkinson; selbst diese reichlich klischierte Figur weiss der Film zu erden. Arthur Edens ist nicht einfach ein reuiger Sünder, der plötzlich erkennt, dass er seine Seele verkauft hat, und nun fortan auf sein Gewissen hört. Vielmehr erscheint die offizielle Version seines Arbeitgebers, wonach er manisch-depressiv sei und seinen jüngsten Anfall einfach zu einem besonders ungünstigen Zeitpunkt erlitten habe, ziemlich glaubhaft. Der Film gibt sich für Hollywood-Verhältnisse diesbezüglich ungewohnt uneindeutig: Dass dieser Mann Hilfe benötigt, ist klar. Ebenso klar ist aber auch, dass der geläuterte Rechtsverdreher, der nun den Kampf gegen den Chemiekonzern aufnimmt, den er ursprünglich vor Gericht vertreten sollte, unmöglich aufhören kann.

Ambivalent auch die Figur von Claytons Chef: Sydney Pollack spielt hier eine ganz ähnliche Rolle wie in Eyes Wide Shut. Er ist der Strippenzieher, der stets ein bisschen mehr weiss als er vorgibt, der in seiner Mischung aus Schlitzohrigkeit und Bodenständigkeit aber dennoch immer sympathisch bleibt. Pollacks Beteiligung an dem Film – er fungiert auch als Produzent – entbehrt nicht einer gewissen Ironie, stand seine eher laue Verfilmung von Grishams «The Firm» doch am Anfang einer ganzen Reihe von Anwalt-Thrillern. Mittlerweile ist das Genre wohl etwas reifer geworden.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 1/2008 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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