Filmbulletin Print Logo
My blueberry nights 01

My Blueberry Nights

Text: Johannes Binotto / 16. Jan. 2008

«Bis auf den heutigen Tag haben wir die Kamera vergewaltigt und sie gezwungen, die Arbeit unseres Auges zu kopieren. Und je besser die Kopie war, desto höher wurde die Aufnahme bewertet. Von heute an werden wir die Kamera befreien und werden sie in entgegengesetzter Richtung, weit entfernt vom Kopieren, arbeiten lassen.» So schreibt Dziga Vertov 1923 in seinem Manifest «Kinoki».

My blueberry nights 04

Die Abkehr vom Kopistenkino mag zwar bis heute eher Versprechen als Norm sein, doch mitunter gelingt sie. Besonders schön etwa in Wong Kar-wais jüngstem Film My Blueberry Nights. Wenn sich in einem kleinen New Yorker Café die beiden Protagonisten erstmals nahe kommen, bleibt die Kamera auf Distanz. Sie filmt das Geschehen von aussen durch die beschrifteten Fenster und fotografiert damit immer auch etwas, was das Bild trübt. Der Blick eines vorbeigehenden Passanten würde dieses optische Rauschen herausfiltern, der Kamera hingegen gelingt dies nicht. Gerade dadurch macht sie Aufnahmen, über die man noch staunen kann. Der Triumph der Kamera übers menschliche Auge, von dem Vertov sprach, zeigt sich somit bei Wong Kar-wai und seinem Kameramann Darius Khondji gerade in einer Schwäche. Vorder-, Mittel- und Hintergrund fliessen ineinander, wie das Vanilleeis auf dem Blaubeerkuchen, von dem der Titel spricht. Spiegelungen, Reflexe, Verzerrungen, Schlieren von Schmutz und Farbe vernebeln die Sicht und verdunkeln damit auch die Eindeutigkeiten der Handlung. Dass der einsame Cafébesitzer hinter und die unglücklich verliebte Frau vor dem Tresen, die sich hier bei Kuchen und Eis treffen, zueinander gehören, scheint ganz unausweichlich. Doch die Bildgestaltung zeigt an, dass der direkte Weg zwischen den Menschen immer verstellt ist. Verstellt von den Zeichen und Dingen, die sie umgeben, die als Flecken das Bild der Idylle stören. Freilich sind gerade sie es, die Verbindungen zwar behindern, aber doch überhaupt erst ermöglichen, als Störung und Kitt der Beziehung zugleich. Am besten kristallisiert sich diese Ambivalenz der Gegenstände in jenen Schlüsseln, welche der Cafébesitzer in einer Glasschale aufbewahrt: Gäste geben Schlüssel ab für andere Gäste, manche Schlüssel werden abgeholt, andere bleiben jahrelang liegen; Schlüssel zu verlassenen Wohnungen, fremden Leben; Schlüssel zu einer gescheiterten Liebesgeschichte oder einer, die erst anfängt; Schlüssel, mit denen man auf- und ebenso gut abschliessen kann. Auch die beiden Protagonisten haben je einen Schlüssel in dieser Schale.

My blueberry nights 03

Doch wo der direkte Weg blockiert ist, muss man sich auf Umwegen finden: Während der Mann in seinem Café ausharrt, reist die Frau durch Amerika und beobachtet andere Beziehungen und deren zugleich verhindernde und ermöglichende Gegenstände. In einer Bar in Memphis ist es die Rechnung eines Trinkers, die zugleich für das steht, was ihn und seine Frau auseinandergetrieben hat, wie auch für das, was sie nicht voneinander loskommen lässt. Und wenn schliesslich die Frau die Zeche ihres Mannes begleicht, ist das zwar ein Liebesbeweis, aber einer, der das Ende ihrer Liebe besiegelt. Ein anderes Mal ist der Gegenstand ein Auto, das eine verschlagene Pokerspielerin mit ihrem Vater verbindet und von ihm trennt. Der Wagen bringt die Tochter zwar zum sterbenden Vater – aber man kommt trotzdem zu spät an.

Diese Dreieckskonstellation von zwei Menschen und dem zwischen ihnen liegenden Gegenstand, welche Wong Kar-wai in den Episoden seines Films immer wieder neu aufstellt, ist gleichsam der Gegenentwurf zu seinem Film Happy Together von 1997. Dort war es die unbedingte Nähe zwischen den beiden Hauptfiguren, welche deren Liebesgeschichte so quälend machte. Immer darauf bedacht, dass nichts zwischen sie treten möge, blieb den beiden schliesslich nichts anderes, als sich gegenseitig zu zerstören. Die Verschmelzung, die so gerne als Ideal der Liebe angesehen wird, entpuppte sich dabei als zerstörende Gewalt und das im Filmtitel versprochene «Glückliche Zusammensein» als Abgrund der Melancholie.

My blueberry nights 08

In My Blueberry Nights werden solch fatale Dyaden überwunden dank der Gegenstände, die sich trennend und verbindend zwischen die Figuren schieben. So lässt sich denn auch zeigen, dass es mit der formalen Extravaganz von Wong Kar-wais Filmen mehr auf sich hat als blosse Verspieltheit. Die Farbflecken zu Beginn, welche die Aufnahmen verdunkeln, die Sequenzen in Zeitlupe, welche die Kontinuität des Bildstroms unterbrechen – sie sind, worum es in diesem Film auch inhaltlich geht: Markierungen von Bruchstellen, Spuren von Differenz, lauter Verhinderungen, damit die Beziehung zwischen den Menschen nicht allzu ideal und damit allzu unerträglich wird. So verwundert es denn auch nicht, dass dieser Film in ein für Wong Kar-wai so seltenes Happy-End mündet. Ein Fortschritt indes, der manchen, die sich von der schwelgerischen Melancholie und dem Pathos idealer Liebe aus den Vorgänger-Filmen so sehr einlullen liessen, als Rückschritt erscheinen dürfte.

Entsprechende Vorwürfe sind denn auch nicht ausgeblieben. Eine Kopie des Früheren, eine weitere hoffnungslose amour fou hätte man gewiss besser goutiert als das kleine Glück im noch kleineren Café. Das perfekt Hermetische scheint dem ersten Blick kunstvoller als das lückenhaft Versplitterte. Wer indes genau auf die Leinwand schaut, wird eines Besseren belehrt.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 1/2008 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

Weitere Empfehlungen

Kino

02. Mär. 2012

The Iron Lady

In diesem Film sind bereits nach wenigen Minuten die psychologischen Koordinaten festgelegt: Auf der einen Seite eine willensstarke Frau, die sogar am Frühstückstisch das Kommando vorgibt, auf der anderen Seite eine altersdemente Aussenseiterin, die sich mit ihrem verstorbenen Mann unterhält und zunehmend von Erinnerungen überwältigt wird.

Kino

27. Sep. 2018

Dogman

Matteo Garrone verlässt sich ganz auf die visuelle Kraft seiner Bilder, die derart deutungsoffen oszillieren, dass sie nie zu Klischees erstarren. Das Kino also, es lebt noch.