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Breath

Auf den ersten Blick ist Breath der befremdlichste Film, den Kim Ki-duk bisher gedreht hat. Wenn man jedoch sein bisheriges Œuvre in Betracht zieht, zeigt sich die erstaunliche Konsequenz, mit der dieser Regisseur seinen Stil immer weiter verfeinert.

Text: Herbert Spaich / 05. Mär. 2008

Jang Jin ist Insasse einer Todeszelle. Er hat Frau und Kind umgebracht – wahrscheinlich im Affekt. Ohne sich um seine Mitgefangenen zu kümmern, feilt er das Ende feiner Zahnbürste zu einer scharfen Kante. Damit versucht Jang Jin, sich die Halsschlagader aufzuschneiden. Der Suizidversuch misslingt. Es war nicht das erste Mal, dass der Häftling versuchte, sich umzubringen. Der Vorfall kommt sogar in den Nachrichten. Die schöne Yeon, eine unglücklich verheiratete Künstlerin, hört davon. Spontan besucht sie Jang Jin im Gefängnis. Sie sei eine alte Freundin des Häftlings und um seinen Gesundheitszustand besorgt, gibt sie als Besuchsgrund an. So die Ausgangslage von Kim Ki-duks neuem Film Breath, der beim letztjährigen Festival von Cannes für reichlich Verwirrung sorgte. Ohne dass der Regisseur dem Zuschauer auch nur die kleinsten Orientierungshilfen mit auf den Weg gibt, lässt er zwischen Jang Jin und Yeon eine seltsame amour fou entstehen. Zu ihren regelmässigen Besuchen bringt sie nicht nur zu den einzelnen Jahreszeiten passende Fototapeten und Accessoires mit, sondern kleidet sich auch dementsprechend.

Der Mann nimmt es stumm zur Kenntnis, rückt ihr aber von Mal zu Mal näher – bis ein Gongschlag (vom Regisseur selbst betätigt) das Treffen beendet. Unbewegt geht Yeon durch ein winterliches Seoul nach Hause – in eine kühle Designer-Villa am Stadtrand. Schliesslich entdeckt Yeons Mann das Doppelleben seiner Frau. Er wird nichts unversucht lassen, die Liaison zu beenden.

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Auf den ersten Blick ist Breath der befremdlichste Film, den Kim Ki-duk bisher gedreht hat. Wenn man jedoch sein bisheriges Œuvre in Betracht zieht, zeigt sich die erstaunliche Konsequenz, mit der dieser Regisseur seinen Stil immer weiter verfeinert. Hier ist er bei der reinen Form angekommen, er verzichtet gänzlich auf traditionelle narrative Strukturen. Kim Ki-duk begann mit brachialen Gewaltorgien, mit denen er seine Traumata als Soldat einer Elite-Einheit der koreanischen Armee aufgearbeitet hat. Im Mittelpunkt standen Männer mit durchtrainierten Körpern und deformierten Seelen (Bad Guy), die sich, verkappt homosexuell, Frauen nur in sadomasochistischer Weise nähern konnten (The Isle). Dann die Zeit des Übergangs: der Mann (gespielt von Kim Ki-duk) schleppt zwecks Selbstfindung einen Mühlstein auf einen Berg: Spring, Summer, Fall, Winter … and Spring. Danach wird es für ihn auch nicht leichter, weder mit der Frau als heiliger Hure (Samaria) noch als unerreichbarem Objekt der Begierde (The Bow).

In Breath hat die Frau die Führung übernommen. Der Mann ist vollends in seiner Zelle verschwunden. Gefühle kommen nur auf, wenn sie ihn dazu geduldig ermuntert oder wenn ein Rivale auftaucht. Parallel zur inhaltlichen Fokussierung auf männlich-weibliche Beziehungen näherte sich Kim Ki-duk einer Minimalisierung in der Dramaturgie und im formalen Ausdruck. Gesprochen wurde noch nie viel in seinen Filmen, auch die Verortung der Handlung blieb überschaubar. In seinen letzten beiden Filmen hat er sie noch weiter eingeschränkt. In Breath besetzte er die Hauptrolle des Jang Jin mit dem taiwanesischen Schauspieler Chang Chen, der kein Koreanisch spricht. Es gab am Set auch keinen Dolmetscher. Kim Ki-duk sagte dazu, damit habe er der Fremdheit zwischen den Protagonisten eine besondere Dimension geben wollen.

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The Bow spielt auf einem kleinen Segelboot, Breath vor allem in einer Gefängniszelle. Aus ihr wird freilich eine Welt für sich: Yeon verwandelt sie von einem Besuch zum anderen. Wobei es der Regisseur provokativ offen lässt, für wen sie die Ausstattung besorgt. Für den hilflosen fremden Mann oder für sich selbst. Yeon leidet an den Verhältnissen, ebenso wie Jang Jin.

Sie hat mit Mann und Kind ebenfalls abgeschlossen. Ohne dass sie sie in der Realität umgebracht hätte, sind die Angehörigen für sie ebenso tot wie für den Mörder, mit dem sie eine magische Seelenverwandtschaft verbindet. Bei Breath handelt es sich um ein glasklares Vexierbild: wenn der Alltag unaufhaltsam entgleitet, dem kurzen Moment zwischen dem letzten Atemholen und dem Ersticken. In dieser formalen Kühnheit hat dem schon lange kein Filmemacher mehr beizukommen versucht. Selten wird man derart irritiert aus dem Kino entlassen wie bei Breath – aber kein anderer Film der letzten Zeit wirkt so lange nach und lässt einen nicht los.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 2/2008 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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