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Prater

Bereits in dieser ersten Einstellung von Ulrike Ottingers Dokumentarfilm Prater klingen Grundmotive an, welche den visuellen Streifzug durch Wiens Erlebnispark – den ältesten der Welt – fortan dominieren: Vergnügen, Stilisierung, Imitation und Überraschung.

Text: Thomas Basgier / 05. Mär. 2008

Es beginnt mit einem Augenzwinkern. Allerdings ist es eine Marionette, die uns hier zublinzelt. Bereits in dieser ersten Einstellung von Ulrike Ottingers Dokumentarfilm Prater klingen Grundmotive an, welche den visuellen Streifzug durch Wiens Erlebnispark – den ältesten der Welt – fortan dominieren: Vergnügen, Stilisierung, Imitation und Überraschung.

Vielleicht erscheint die Behauptung abwegig, in jenem kurzen vertikalen Eröffnungsschwenk von den Füssen der Puppe zu ihrem Kopf sei schon der gesamte Film präsent. Andererseits würde dies genau der Intention der Regisseurin entsprechen: Für sie ist das Objekt ihrer optisch-narrativen Begehrlichkeit, der Prater also, nämlich ebenfalls ein Modell en miniature, der menschliche Kosmos gebannt in einer Nussschale. Dass Ottinger sich von solchen Orten magisch angezogen fühlt, hat sie 1997 mit Exil Shanghai bewiesen, in dem sie die chinesische Metropole zu Zeiten des Zweiten Weltkriegs als Schmelztiegel sämtlicher geopolitischer Interessen porträtiert. Die Stellvertreterfunktion des Praters, sein exterritorialer Charakter, bedingt eine Annäherung, die sich zwangsläufig auf mehreren Ebenen abspielen muss. Folglich kombiniert Ulrike Ottinger wie in früheren Arbeiten Literarisches mit Kulturhistorischem, Fiktionales mit Dokumentarischem und Ethnologischem. Wie meist lässt sie dabei zusammenwachsen, was selbst auf den zweiten Blick nicht unbedingt zusammengehört, getreu dem Credo, dass alles mit allem in Verbindung steht, dass aber keiner dieser unendlichen Verknüpfungsvarianten ein Anspruch auf Wahrhaftigkeit zugebilligt werden kann. Denn: «Die Realität ist eine Konstruktion, manchmal eine Illusion.»

Derart subtil und zugleich so wohldosiert wie in Prater hat die gebürtige Konstanzerin ihren künstlerischen Ansatz freilich noch in keinem ihrer Filme vertreten. In einer Schlüsselszene erklimmt Veruschka von Lehndorff, die schon in Dorian Gray im Spiegel der Boulevardpresse (1984) in der Hauptrolle agierte, die Fassade einer Geisterbahn. Auf ihrem Kopf prangt die opulenteste blonde Perücke aller Zeiten, sie trägt ein eng anliegendes Barbarella-Kostüm, über ihr thront ein mechanisch etwas eingerostet wirkender, grimmig-grummelnder Riesenaffe. Während sich bezüglich der Frauenfigur Assoziationen aufdrängen zu den Amazonen aus Madame X (1977), wird gleichzeitig klar: kürzer und bündiger kann ein Trivialmythos à la die Schöne und das Biest nicht demontiert werden. Wenig später folgt diese Sequenz: Veruschka, ein Plüschäffchen im Arm, gerät in ein Spiegelkabinett und verliert sich völlig in den verzerrten und verschrobenen Abbildern ihrer selbst – im Handumdrehen ist aus der Demonteurin eine Demontierte geworden. Der Verweis auf King Kong taucht mehrmals auf und gipfelt in einer Einstellung von vollendeter Ironie. Auf einer grossformatigen Darstellung des Gorillas und der weissen Frau befindet sich an Stelle des Konterfeis der holden Maid ein Loch. In jene Aussparung zwängt sich das Gesicht der Elfriede Jelinek hinein, die einen Text über eigene frühe Erinnerungen an den Prater beigesteuert hat: «Der Prater (…) ist mir, als ich Kind war, von meiner Mutter weggenommen worden (…). Das Ziel war: Ich sollte gemeistert werden. Ich sollte nicht Maschinen mit mir bestücken und damit eine Art Herrschaft über sie erlangen. Da hätte ich ja etwas über Herrschaft lernen können, und das war nicht erlaubt.»

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Das Ausüben von Herrschaft gehörte immer wieder zu den unrühmlichen Kapiteln des Parks. Und auch innerhalb dieses Kontextes macht der Bezug auf King Kong Sinn. Ottinger dokumentiert das sogenannte «Aschantifieber», das 1896 in Wien grassierte. So wie der Riesenaffe als Verkörperung animalischen Triebs von seiner Insel verschleppt wurde, um in New York zur Schau gestellt zu werden (mit den hinlänglich bekannten Folgen), so verpflanzte man in besagtem Jahr ein komplettes afrikanisches Dorf mit über einhundert Personen in die Grünanlage der Kaiserstadt – Zutritt für das honorige k&k-Publikum rund um die Uhr. Kein Einzelfall: In der Kolonialzeit wurden neben den Aschanti auch Fidschi-Insulaner, Kabylen, Hottentotten oder sogenannte Zulukaffer auf den Alten Kontinent expediert, damit sich die Europäer in einer Mischung aus Lust und Schrecken am Reiz des Exotischen “ergötzen” konnten.

Mit Produktionen wie China. Die Künste – Der Alltag (1985), Johanna D’arc of Mongolia (1989) und Taiga (1992) hat Ulrike Ottinger jahrelang gegen die eurozentrische Verrohung des Blicks angefilmt und dabei nahezu monolithische Bildergebirge aufgetürmt – allein in Taiga dauert die Attacke auf die vom Mainstream verseuchten Sehnerven achteinhalb Stunden. Dennoch erscheint manche Gegenüberstellung in Prater zunächst gewagt. Etwa wenn im dramaturgischen Vorfeld der Aschanti-Episode eine indische Grossfamilie der Gegenwart auftritt, die lässig zum Fotografen schlendert, um sich in Pseudo-Klamotten aus der amerikanischen Bürgerkriegszeit ablichten zu lassen. Gerade solche Momente vermitteln jedoch die Könnerschaft der Wahl-Berlinerin: Trotz der Absurdität der Situation schleicht sich nie auch nur der Hauch eines Zweifels ein an dem Respekt, den sie den Menschen vor dem Objektiv entgegenbringt. Überhaupt, die Kameraarbeit: Ihr verdankt der Film – bei aller Wertschätzung des intellektuellen Über- und Unterbaus – seinen speziellen Reiz. Ottinger schreckt nicht zurück vor all dem Kitsch, den Nippes, den Pappmachéfiguren, Aufziehpüppchen sowie den bunten Lichterkaskaden und schon gar nicht vor den Attraktionen. Nein, sie verleibt sie sich visuell ein. Neben einigen Schwenks mit der Handkamera existiert nur eine einzige Form der Kamerabewegung: Resultat des Hineinbegebens in die Vergnügungsmaschinen selbst. Die Mitfahrten in der Geister- und Achterbahn oder im Riesenrad nehmen sich aber harmlos aus im Vergleich zu einem Spektakel, das sich Ejection Seat nennt. Eine Art runde Käfigkonstruktion, konzipiert für zwei Personen, wird mit extremer Beschleunigung in die Höhe katapultiert, um dann zwischen zwei Bungee-Seilen hin- und herzuwirbeln wie ein Tischtennisball im Luftkanal. In dem Höllenapparat ist eine Kamera fix installiert, über einen Monitor können die am Boden Verbliebenen den Kampf der Insassen gegen den Brechreiz beobachten – Found Footage at it’s best.

Auch davon handelt Prater: Das Gelände ist eben nicht nur ein gigantischer Maschinenpark, es ist von aussen betrachtet eine teils gefrässige, teils betörende Wunscherfüllungs-, Entertainment- und Zeitmaschine, innerhalb derer permanent an der Mensch-Maschine-Synthese gewerkelt wird. Nicht zuletzt um das zu gewährleisten, was man als Reisen im Kopf bezeichnet. Schon im neunzehnten Jahrhundert war das Areal bestens bestückt mit diversen Panoramen, Fahrdioramen sowie einer verkleinerten Rekonstruktion Venedigs. All diese angedeutete Themenfülle hat Ottinger in eine fast klassische, ökonomisch durchkomponierte Erzählform gegossen. Bemerkenswert für eine Regisseurin, die ansonsten eher einen non-linearen Duktus favorisiert. Aber mehr noch: Mit Prater kehrt die Fünfundsechzigährige, wie indirekt schon in Freak Orlando (1981), an die Geburtsstätte des Kinos zurück – zum Jahrmarkt. Bereits 1905 (nach anderen Quellen 1903) eröffnete die einstige Karussellbesitzerfamilie Kern im Park das erste Lichtspieltheater. «Für Ulrike Ottingers Kinokonzeption ist entscheidend, dass Film alle Vorstellungen, alle Wünsche, Ängste, Träume mit der Aura des Realen ausstatten kann. Man kann mit dem Kino beweisen, um es bildlich auszudrücken, dass der Mythos eine Dame ohne Unterleib ist.» Dies schrieb einst Frieda Grafe, und es gilt für Prater erneut.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 2/2008 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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