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Funny Games U.S.

Text: Herbert Spaich / 10. Mai 2008

Ein Ehepaar, wohlhabend und gebildet – Ann und George. Sie sind mit Kind Georgie und Hund auf der Fahrt in die Ferien ins schicke Domizil am See. Man vertreibt sich die Fahrzeit mit artifiziellem Opernraten. Dann erste Irritation durch die merkwürdig distanzierte Begrüssung durch die Nachbarn, mit denen das Ehepaar nicht nur Golf spielt, sondern eng befreundet zu sein scheint. Kaum angekommen, steht ein junger Mann, adrett im makellos weissen Tennisdress, vor der Hintertür und möchte Eier für die Nachbarn ausborgen. Wenig später ist er wieder da – zusammen mit einem Altersgenossen, ebenfalls in weiss. Leider habe er die Eier zerbrochen und benötige deshalb noch einmal welche. Der impertinente Tonfall missfällt Ann. Vergeblich fordert sie die beiden jungen Männer auf zu gehen. Vergebens. Die Lage eskaliert, als George hinzukommt. Einer von beiden zertrümmert ihm mit einem Golfschläger die Kniescheibe. Wehrlos sind Vater, Mutter, Kind dem weiteren Terror der Eindringlinge ausgeliefert, die ein sadistisches Spiel mit ihnen treiben und sie schliesslich nacheinander umbringen …

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Wir kennen das – seit Michael Haneke mit Funny Games 1997 zuerst die Premierengäste der Filmfestspiele von Cannes, dann die europäischen Feuilletonisten schockierte. Sie sorgten zusammen mit Medienwissenschaftlern dafür, dass das provokante Werk zu den am meisten beschriebenen Filmen des letzten Jahrzehnts gehört. Ein Film, der ohne explizite Gewaltdarstellung auskommt und trotzdem schwer zu verkraften ist.

Einstellung für Einstellung

Jetzt hat Michael Haneke Funny Games noch einmal gedreht und zwar shot-by-shot. Also keine Variation desselben Stoffes, wie man es aus der Filmgeschichte zum Beispiel von Alfred Hitchcock und The Man Who Knew Too Much her kennt. Wort für Wort, Einstellung für Einstellung entspricht Funny Games U.S. dem Ur-Funny Games – zumindest theoretisch. Praktisch spielt der Film nicht im österreichischen Burgenland, sondern in den Hamptons auf Long Island in Amerika. Anstelle von Susanne Lothar und Ulrich Mühe als Anna und Georg spielen diesmal Naomi Watts und Tim Roth Ann und George; Arno Frisch und Frank Giering als Serienkiller wurden durch Michael Pitt und Brady Corbet ersetzt. Gedreht wurde in Englisch.

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War §Funny Games bereits ein aufregendes wirkungspsychologisches Experiment über die Gewalt im Kino, das zutiefst betroffen machte, so wird diese Erfahrung mit Funny Games U.S. durch eine weitere Dimension ergänzt. Haneke zeigt hier – als einer der ersten Filmemacher überhaupt –, wie sich dasselbe Drehbuch durch eine andere Sprache, andere Darsteller und Nuancen der Bildinhalte wesentlich verändert. So wird funny games u.s. nebenbei zu einem denkwürdigen Traktat im Hinblick auf die in der Bundesrepublik besonders intensiv betriebene Praxis der Synchronisation fremdsprachiger Filme.

Versank das Grauen im ersten Film dank der Lichtsetzung durch Jürgen Jürges in einem diffusen Halbdunkel, leuchtete Darius Khondji – er hat zuletzt [art:my-blueberry-nights:My Blue Berry Nights] von Wong Kar-wai fotografiert – Funny Games U.S. wie eine amerikanische Familienserie bis in alle Ecken aus. Das gibt besonders der Foltersequenz nach der Ermordung von Georgie (Schorschi) eine noch erbarmungslosere Dimension. Obwohl auch hier das Grauen allein auf der Tonebene stattfindet, ruft Haneke heute die entsprechenden Sequenzen aus den amerikanischen Splatterfilmen der letzten Zeit ab – von Saw bis Hostel –, die keine Hemmungen mehr kennen und deren Hyperrealismus 1997 unvorstellbar war. Die funny games werden nicht im off, sondern im on gespielt.

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Der Moralist Haneke ist in den letzten elf Jahren vom medialen Umgang mit der Gewalt überrollt worden. Er schrieb 1998 anlässlich der deutschen Erstaufführung von Funny Games in einem Artikel für die «Frankfurter Allgemeine Zeitung»: «Ich habe es immer als obszön empfunden, einem mit darstellerischem Furor gestalteten Leiden oder Sterben zuzusehen – es stahl den tatsächlich Leidenden und Sterbenden ihr letztes Gut: die Wahrheit. Und es stahl den Betrachtenden dieser professionellen Reproduktionen ihr kostbarstes Gut als Betrachter: ihre Phantasie. Sie wurden in die beschämende Schlüssellochperspektive des Voyeurs gedrängt, dem nichts übrig blieb, als Vorgefühltes nachzufühlen, Vorgedachtes nachzudenken.»

Teil der Barbarei

Der Regisseur ist der Obszönität des Herzeigens auch diesmal nicht erlegen. Im helleren Licht von Funny Games U.S. ist der Zuschauer nicht Voyeur, sondern ebenfalls Opfer, das gezwungen ist, dem unheilvollen Gang der Dinge in erzwungener Tatenlosigkeit zuzusehen. Dabei funktioniert auch diesmal die Koketterie der Täter-Darsteller, die uns zwischendurch zuzwinkern oder sich direkt aus der Szene an uns wenden («Sie wollen doch wissen, wie es ausgeht?»). Das heisst: Wir sind Teil der Barbarei, des Terrors.

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Zumal wir heute noch ganz andere Bilder im Kopf haben als damals, als Funny Games Nummer Eins in die Kinos kam. Obwohl man die Geschichte kennt, halten erneut Betroffenheit und das schwer zu beschreibende Gefühl der Verlorenheit am Ende an. Das gibt es so bei keinem anderen Film. Deshalb fällt die Entscheidung schwer, welche der beiden Fassungen die bessere ist.

Mediale Gewalt

In manchen Momenten scheint es, dass die Handlung in Amerika eher verortet ist als in Österreich. Das hängt vor allem mit Michael Pitt und Brady Corbet zusammen, die jene bösen Buben verkörpern, die man aus dem amerikanischen Action-Kino kennt. Dann rückt wieder der morbide spezifisch österreichische Umgang mit den Abgründen der menschlichen Seele ins Blickfeld: Der blasierte Paul und der ungerührt über Cyberspace philosophierende Peter der deutschen Version sind nach wie vor Unikate.

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Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 4/2008 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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