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Hidden Heart

Text: Veronika Rall / 10. Mai 2008

Parallelmontagen sieht man im Kino immer gerne: Zu beobachten, was eine Person tut, Schnitt, einer anderen zu folgen, die an einem anderen Ort weilt, einen zweiten Handlungsstrang zu beobachten – das hat viel mit einer Lust zu tun, die im Kopf des Publikums entsteht, wo beide Handlungen zusammengeschmiedet werden. Die Parallelmontage kokettiert nicht selten mit unserem Wissensvorsprung (wir wissen, was auf beiden Handlungsebenen geschieht, während die Heldinnen und Helden auf der Leinwand auf ihren Gesichtskreis eingeschränkt sind), kann aber auch das Material dramatisieren, beschleunigen, zuspitzen. Im Dokumentarfilm ist die Parallelmontage deshalb meist mit Vorsicht zu geniessen, zu wenig entspricht sie dem Gebot der Sachlichkeit, der Abbildung der Wirklichkeit.

Was aber, wenn Geschichte tatsächlich parallel verläuft? Wenn zwei Geschichten, die unterschiedlicher nicht sein könnten, sich in einer Parallelgesellschaft ereignen und plötzlich sogar einen Berührungspunkt finden? Eine solche Parallelgeschichte ist die des weltweit berühmten Herzchirurgen Dr. Christiaan Barnard und die des weniger berühmten Herzchirurgen Hamilton Naki. Der eine weiss, der andere schwarz, das musste in der von Apartheid geprägten Gesellschaft Südafrikas der sechziger Jahre den ganzen Unterschied machen. Barnard, 1922 als Sohn eines Pfarrers geboren, kann in den vierziger Jahren Medizin studieren, er erwirbt in den USA weitere Qualifikationen als Chirurg und eine Herz-Lungen-Maschine, die sich von unschätzbarem Wert erweisen wird: Dank ihr wird Barnard in der Lage sein, Herztransplantationen zunächst an Tieren zu üben und am 3. Dezember 1967 die erste Herztransplantation am Menschen durchzuführen. Der gut aussehende Mittvierziger wird zum Medienstar, zum Aushängeschild eines Landes, das weltweit wegen seiner Apartheid politisch geächtet und ökonomisch isoliert ist.

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Anders Hamilton Naki: Nur vier Jahre nach Barnard in armen, ländlichen Verhältnissen geboren, findet er Anfang der vierziger Jahre an der University of Cape Town Medical School eine Anstellung: als Gärtner. Ein Studium kommt für den Mann ohne Schulabschluss und mit der falschen Hautfarbe nicht in Frage, bald aber darf er im Tierlabor assistieren und beweist chirurgisches Geschick. Nun ist das Labor sein Arbeitsplatz, doch der Operationssaal für die Menschen bleibt ihm weiterhin verschlossen. Das ist die offizielle Version im von Rassentrennung geprägten Südafrika. Doch das Ende der Apartheid 1994 lässt die Umschreibung der Parallelgeschichte zu und der Berührungspunkt zwischen dem Weissen und dem Schwarzen kristallisiert sich heraus: Naki hat ebenfalls Menschen operiert oder zumindest bei den Operationen assistiert. Ganz lässt sich die Geschichte nicht rekonstruieren, die Aussagen der (meist weissen) Zeitzeugen bleiben widersprüchlich: Während einige Nakis Mithilfe auch an der ersten Transplantation eines menschlichen Herzens bezeugen, meinen andere, er sei nicht zugegen gewesen. Sicher ist: Im Tierlabor wie im Operationssaal des Groote Schuur Krankenhauses begegnen sich Barnard und Naki, Naki ist auf den Fotos nach der ersten gelungenen Transplantation im Hintergrund zu sehen (auf Nachfrage wird er als Putzhilfe vorgestellt), Naki unterrichtet später junge Ärzte in der Transplantationstechnik.

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Diese Lebensläufe erzählt Hidden Heart mit einem Interesse für die Konstruktion von Geschichte als einer Fabrikation von Fiktionen und Interpretation von Fakten. Cristina Karrer ist Fernsehjournalistin und arbeitet als Afrika-Korrespondentin für SF DRS, Werner Schweizer ist Mitinhaber der Zürcher Filmtalentschmiede Dschoint Ventschr, zuletzt hat man im Kino höllentour gesehen, seine Zusammenarbeit mit dem deutschen Dokumentarfilmer Pepe Dankquart, die die Tour de France aus nächster Nähe und bis in den Muskelschmerz fühlbar schilderte. In Hidden Heart kann man diese Mischung aus konsumierbarer Fernsehreportage und komplexem Dokumentarfilm spüren: Wo jene die Zuspitzung der Parallelmontage forciert – wo war Naki in dem entscheidenden Augenblick der humanen Herztransplantation? –, interessiert sich der komplexe Dokumentarfilm eher für die medialen Auswirkungen der medizinischen Leistung.

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Wie wird Barnard dargestellt? Wie wird dieser Mediziner zum Star und zum Aushängeschild des Apartheidstaats, wie zum internationalen Playboy? Wenig bekannt ist beispielsweise, dass Barnard an einer Arthritis litt: Er konnte schlicht nicht mehr als Chirurg arbeiten und musste deshalb vielleicht auf der Bühne mit den Reichen und Schönen kompensieren, was er im Operationssaal nicht mehr leisten konnte. Über Naki liegt weit weniger Material vor als über Barnard, das gleicht der Film durch einige gestellte Szenen von der Kindheit aus. Erst die Rehabilitation des Mannes nach 1994 produziert auch Fernsehbilder, so die Verleihung der Ehrendoktorwürde der University of Cape Town und eines Verdienstordens der Republik Südafrika durch Nelson Mandela.

Die Parallelmontage funktioniert so bis ans Ende des Films, das die Protagonisten wieder in verschiedene Realitäten entlässt: Naki, der all seiner Leistungen zum Trotz nie mehr als den Lohn eines Gärtners bekommt, Barnard, der sein kostspieliges Leben nicht zuletzt mit Promotionsgagen aus der Staatskasse bestreitet. Dieser Unterschied setzt sich auch in der nächsten Generation noch fort: Traurig zu hören, wie Nakis Tochter Yanda, heute Krankenschwester im berühmten Groote Schuur Spital, die Auszeichnung ihres Vaters nur am Fernseher verfolgen konnte und dass sie bis heute in der ehemaligen Township lebt. Barnards dritte Frau hingegen, etwa die gleiche Generation wie Nakis Tochter, wohnt in einem Villenviertel von Kapstadt.

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Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 4/2008 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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