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Traductrice 01

La traductrice

Text: Michèle Wannaz / 10. Mai 2008

Es muss Liebe auf den ersten Blick gewesen sein. Elena Hazanov wusste sofort: Dieser Mann ist es. Und damit ist nicht etwa die Liebe ihres Lebens gemeint, sondern der Stoff. Der Stoff für ihren ersten Langspielfilm.

Vor ein paar Jahren wurde ihr ein Job angeboten. Nichts Aufregendes eigentlich. Sie sollte bloss übersetzen, vom Französischen ins Russische und umgekehrt. Für sie, die mit zwölf von Moskau nach Genf gekommen war, kein Problem. Dennoch war die ganze Familie dagegen. Denn der Mann, für den sie übersetzen sollte, war Serguei Mikhailov, soeben verhaftet unter dem schweren Verdacht, ein nicht ganz kleiner Fisch der russischen Mafia zu sein. Mit klopfendem Herzen begab sich Hazanov zur Arbeit. Und entgegen ihren Erwartungen fand sie einen Mann vor, der sie vollkommen in seinen Bann zog. «Intelligent, stark, beeindruckend, ruhig», so beschreibt sie Mikhailov im Nachhinein.

Die Schöne und der Pate – eine verlockende Ausgangsidee. Und doch sollte es beinahe zehn Jahre dauern, bis Hazanov – einen TV und ein paar Kurzspielfilme später – den Stoff tatsächlich auf die Leinwand brachte, als eine Art Coming-of-Age-Thriller, angesiedelt zwischen Moskau und dem Matterhorn.

Erzählt wird konsequent aus der Perspektive Iras, dem Alter ego der Regisseurin. Bis vor kurzem noch Übersetzerin unbedeutender Zeitungsartikel, wird sie von einem alten Liebhaber der Mutter plötzlich für -einen hoch dotierten Job angeheuert. Sie soll dem Schweizer Anwalt Mayard dienen – bei seinen Unterhaltungen mit dem Mafia-Boss Ivan Tashkov, der soeben in Genf festgenommen worden ist. Der Vorwurf: illegaler Medikamentenhandel im grossen Stil.

Traductrice 04

Schon beim ersten Zusammentreffen ist Ira beeindruckt von dem charismatischen Mann, seiner stoischen Miene und den kaltblauen Augen zum Trotz. Umso mehr noch, als dieser Tashkov imstande ist, ihre Gedanken zu lesen: dass ihr ihre Heimat fehlt, dass sie ohne Vater aufgewachsen ist, dass sie heute noch darunter leidet. Zunächst zündet Ira in der Kirche bloss eine Kerze für ihn an – vielleicht hilft das ja, denkt sie. Doch schon bald will sie auf seine Bitte hin in ihr altes Heimatland reisen, um ein entlastendes Beweismittel zu besorgen. Erst viel zu spät merkt sie, dass sie Opfer einer Intrige wurde, eiskalt und raffiniert benutzt.

Bei ihrer eigenen Erfahrung mit der russischen Unterwelt hatte Hazanov das unbehagliche Gefühl, als Übersetzerin alles andere als ein neutraler Bestandteil der Konversation zu sein. Ein einziges Wort nicht ganz richtig verstanden, es ungenau übertragen – und die Unschuld ist dahin. Diesen Gedanken entwickelte sie in ihrem Drehbuch konsequent weiter, bis hin zu Iras bewusster Tat. Um diese ausreichend zu motivieren, brauchte sie natürlich einen starken psychologischen Antrieb. Und sie entschied sich für den Klassiker: den fehlenden Vater. Ira wird als junge Frau gezeichnet, die auf der Suche nach Identität all ihre Zweifel, ihre Orientierungslosigkeit und emotionale Rastlosigkeit der Abwesenheit des Vaters und der kulturellen Heimat zuschreibt. Zwischen Zerbrechlichkeit und jugendlichem Wagemut schwankend will sie diese Lücke füllen. Da wird das eigentliche Ziel – Tashkov einen Gefallen zu tun – bald schon zum blossen Vorwand.

Traductrice 05

Das ist an sich geschickt gebaut. Ein Glücksfall auch die Hauptdarstellerin Julia Batinova in ihrer erst zweiten Kinorolle. Sie spielt erfrischend direkt. Dennoch fällt es zuweilen schwer, sich mit der jungen Frau zu identifizieren. Mit solch kindlicher Freude stürzt sie sich ins Abenteuer, ohne sich je zu fragen, ob man sie wohl instrumentalisieren könnte. Das ist der Empathie und somit letztlich der Spannung genauso abträglich wie der Umstand, dass die Dringlichkeit der Selbstfindung über weite Strecken bloss behauptet wirkt.

Das fiele weiter kaum ins Gewicht, wenn das Gefühlsdrama bloss Vorwand wäre, um eine packende Mafiageschichte in der Schweiz zu erzählen. Doch gerade in ihrem Haupthandlungsstrang driftet Hazanov immer wieder ins Plakative ab. Beinahe alle Szenen, in denen die Mafia ins Bild gerückt wird – sei es durch eine an Kinderspiele mahnende Verfolgungsjagd, sei es durch einen düsteren Paten, der (sein Hobby!) maliziös lächelnd Skarabäen aufspiesst – wirken reichlich unbeholfen inszeniert. So ist der an sich reizvolle Genre-Mix letztlich weder Fisch noch Fleisch. Oder besser: Fisch und Fleisch, aber eben beides halbgar.

Trotz all dieser Schönheitsfehler: Für einen Kinoerstling ist Hazanovs Leistung dennoch beachtlich. Die Schauspielführung ist souverän, der Spannungsbogen raffiniert gebaut. Und die leicht unterkühlte Stimmung, die dem Ganzen unterliegt, evoziert in ihren besten Momenten einen richtig harten russischen Winter.

Traductrice 03

In die Reihe der aufregenden jungen Autorenfilmer rund um Lionel Baier, Ursula Meier, Vincent Pluss oder auch Jeanne Waltz lässt Hazanov sich zwar schwer einreihen. Zu undeutlich ist eine eigene Handschrift erkennbar, und zu offensichtlich ihr Anspruch, trotz semi-autobiografischem Ansatz primär zu unterhalten. Sehr wohl kann sie aber als weitere Hoffnung der neuen Schweizer Frauengeneration gelten. La traductrice feierte vor zwei Jahren in Locarno Première, zeitgleich mit Andrea Stakas Das Fräulein und Bettina Oberlis Die Herbstzeitlosen. Und auch wenn Hazanovs Film etwas länger brauchte, um auch in der Deutschschweiz in ein Verleihprogramm aufgenommen zu werden, so heisst das noch lange nicht, dass die Regisseurin inzwischen untätig war. Wir dürfen also gespannt sein.

Traductrice 02

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 4/2008 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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