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Teza 07

Teza

Haile Gerima baut, eine nur nach und nach weichende Teilamnesie der Hauptfigur vorschützend, sein ganzes ambitioniertes Panorama nicht in der Chronologie auf, sondern erzählt sprunghaft in immer neuen, tiefer bohrenden, schmerzhafteren Rückblenden. Diese Struktur erlaubt es ihm, durch die Montage subtile Querbezüge zu schaffen und Kausalitäten zu suggerieren.

Text: Martin Girod / 07. Nov. 2009

Haile Gerima, geboren 1946, gilt als wichtigster äthiopischer Filmemacher seiner Generation. Er lebt vorwiegend in den USA, wo er seine Filmausbildung erhielt und seit 1975 als Honorarprofessor für Film an der Howard University in Washington wirkt. Seine Filme kreisen schwerpunktmässig um Gegenwart und Geschichte Äthiopiens (Ernte: 3000 Jahre, Adwa – An African Victory), um das afrikanische Trauma der Sklaverei (Sankofa) und um die Situation der Schwarzen in den USA (Bush Mama, Ashes and Embers). In seiner äthiopischen Heimat mag und kann er offenbar nicht leben und arbeiten, sein Denken und sein Werk aber bleiben wesentlich in ihr verankert. Es ist ein Spannungsfeld, das er mit einer Vielzahl afrikanischer Berufskollegen teilt.

In seinem neuesten Werk, Teza (Tau), stellt er nun das Thema des im Ausland ausgebildeten Intellektuellen und die Problematik der Rückkehr oder Nichtrückkehr ins Zentrum. Die Hauptfigur des Arztes Anberber ist so gewählt, dass die starken Gründe für das eine wie das andere sichtbar werden beziehungsweise der hohe Preis beider Wege, dass das Hin- und Hergerissensein ebenso einfühlbar wird wie die Lähmung, die den schliesslich Heimgekehrten im Dorf erfasst. Anberber ist nicht unsympathisch, ist aber – selbst wenn die Handlung weitgehend aus seiner Perspektive erzählt wird – auch keine positive Heldenfigur.

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Gerima versucht nicht weniger, als dieses keineswegs nur individuelle Schicksal einzubetten in die politische Entwicklung Äthiopiens und der Welt von den Nachachtundsechziger bis zu den Neunzigerjahren; in der Erwähnung von Anberbers Vater, der im Kampf gegen die Italiener durch Giftgas umgekommen ist, wird sogar die Vorgeschichte einbezogen. Gerima schildert das Engagement linker Studentenzirkel im bundesdeutschen Gastland, die Begeisterung über den Sturz des jahrzehntelangen Autokraten Haile Selassie 1974, die Bereitschaft, sich und das im Ausland erworbene Wissen einzusetzen für die afrikanische Heimat unter dem neuen, sich sozialistisch nennenden Mengistu-Regime, das Erschrecken über die neualten Realitäten, den mit brutalen Schlägertrupps ausgetragenen Machtkampf und die Arroganz der neuen Herrschenden, den sich formierenden Widerstand von sich ebenfalls auf den Marxismus berufenden Guerillas und die Rücksichtslosigkeit, mit der beide Seiten die Jugendlichen und sogar Kinder aus den Dörfern zum blutigen Dienst in ihren Reihen zwingen.

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Von einem ehemaligen Studienkollegen als Arzt für ein städtisches Krankenhaus angeworben, sieht Anberber sich rasch mit antiintellektuellem und antiwestlichem Misstrauen konfrontiert und gerät unter Druck, zum Komplizen des Regimes zu werden und dessen Gewalttaten zu decken. Der Versuch einer Flucht in die als Idylle erinnerte Kindheit in der Gegend des Tanasees muss scheitern; im Dorf bleibt er ebenfalls ein argwöhnisch beäugter und funktionsloser Aussenseiter. Eine Rückübersiedlung nach Europa aber kommt noch weniger in Frage. Nicht nur ist Anberber, kurz vor der «Wende» nach Ostberlin entsandt, nach dem Mauerfall ein Opfer der nun ausbrechenden Fremdenfeindlichkeit geworden, schockierend fiel auch die Wiederbegegnung mit den alten afrikanischen Gefährten aus, die im deutschen Exil geblieben sind und noch immer besserwisserisch in den Cafés herumdebattieren.

Sein ganzes ambitioniertes Panorama baut Gerima, eine nur nach und nach weichende Teilamnesie der Hauptfigur vorschützend, nicht in der Chronologie auf, sondern erzählt sprunghaft in immer neuen, tiefer bohrenden, schmerzhafteren Rückblenden. Diese Struktur erlaubt es ihm, durch die Montage subtile Querbezüge zu schaffen und Kausalitäten zu suggerieren. Eindrücklich etwa, wie er zwischen zwei afrikanische Szenen, die Vertreibung einer Fremden aus dem Dorf und die Zusammenkunft des Ältestenrats, der Anberber zum Heiraten nötigen will, eine Erinnerung an die Kölner Studienzeit schneidet: eine ideologisch aufgeheizte Diskussion zwischen den Genossen, die in der Aufforderung zur Selbstkritik gipfelt. Die Einbettung in eine Gemeinschaft, die autoritären Tendenzen des Kollektivs und die daraus resultierende Einengung des Individuums erscheinen durch die überraschende Parallelisierung in frappanter Fragwürdigkeit.

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Nicht durchgehend erweist sich die komplexe Struktur des Films gleichermassen als zwingend. Damit wir als Zuschauende uns nicht zwischen den Zeitebenen verlieren und um des Autors Absichten zu verdeutlichen, wird der Off-Kommentar in der ersten Person ab und zu etwas sehr didaktisch. Andere Momente bleiben eher schematisch, wie etwa die Figur des analphabetischen Schlägers, was der Grundhaltung skeptischer Selbstbefragung – des Ich-Kommentars und damit des Autors – in keiner Weise entspricht.

Überwiegend jedoch lebt der Film von starken Bildern, jenen der traumhaft schönen Landschaft wie jenen der Albträume der Hauptfigur. Diese bringen uns die Verzweiflung nahe, trotz aller integrer Absichten unfähig zu sein «die Krankheiten zu bekämpfen, die mein Volk bedrohen». Gerima lässt Anberber am Ende den Platz des geflohenen Dorflehrers einnehmen und schliesst damit symbolisch den Kreis: Hat Teza mit verklärten Bildern der Kindheit begonnen, diese Erinnerungen dann als Fluchtversuch Anberbers enthüllt und uns später in den Szenen der gewaltsamen Rekrutierungen das Los heutiger Kinder vor Augen geführt, so endet der Film mit der Geburt eines Kindes. Anberbers Hinwendung zum Lehrerberuf erscheint als Trotz-alledem-Entscheid, sich für die Zukunft der Kinder zu engagieren, selbst wenn er nicht verhindern kann, dass die meisten von ihnen Opfer neuer Gewaltausbrüche werden dürften.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 7/2009 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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