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No more Smoke Signals

Text: Irene Genhart / 15. Apr. 2009

… und dann reiten sie, die Lakotas, in No more Smoke Signals. Jugendliche, Männer, Frauen. Hoch zu Pferde. Schmale Kreten entlang, über staubige Ebenen, durch Flussfurten, über Hügel und unter Felsen durch. Zwei Wochen lang, 200 Meilen weit. Von Nord nach Süd durch South Dakota. Den Fährten der Vorfahren nach: vom Grand River nach Wounded Knee. Sie reiten in Erinnerung an Chief Big Foot und das Massaker vom 29. Dezember 1890, als über dreihundert ihrer Vorfahren im Kampf um die Freiheit ihr Leben liessen. Sie reiten auch in Erinnerung an die Ereignisse von 1973, als die Aktivisten des American Indian Movement (AIM) in Wounded Knee gegen zweihundert Jahre Unterdrückung, gebrochene Verträge und die haltlosen Lebensbedingungen in den Reservaten demonstrierten und die US-Regierung erneut zu den Waffen griff.

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Prächtig und weit wie ein klassischer Western wird Fanny Bräunings Dokumentarfilm im Moment des «Big Foot Memorial Ride» und strebt mäandrierend seinem Höhepunkt entgegen. Fünf Mal im Kino gesessen. Fünf Mal zugesehen, wie Roxanne Two Bull, Anpo White Plume, Ron His Horse Is Thunder und alle andern ihre Pferde besteigen und losreiten. Fünf Mal gespürt, wie die Emotionen im Kinosaal ins Fiebrige steigen. Mit leichter Hand verwebt Bräuning die Ereignisse: den Erinnerungsritt mit dem Spatenstich für die neue Kirche von Pine Ridge; die Auftritte von Rappern und Traditionalisten an der Native X-Factor Talent Show mit historischen Aufnahmen von 1973; Roxanne Two Bulls Erzählung von ihrer Rückbesinnung auf ihre Herkunft mit ihren Erklärungen der Bedeutung von Kili Radio. Die erste, 1983 von Indianern gegründete, geführte und moderierte Radio Station dient nicht nur der Unterhaltung, sondern auch der Kommunikation. Zwischen zwei Musikstücken werden schon mal Vermisstmeldungen für entlaufene Pferde ausgestrahlt oder der Gaslieferant Robert Running Bear zur Eile angetrieben. Derweil eine eifrige weisse Missionarin in einem symbolischen Akt vor einem Lakota-Mädchen ein Schwert niederlegt, spricht AIM-Aktivist, Sänger und Poet John Trudell bei Kili Radio über «Cry Your Tears», seinen in Reaktion auf die Ereignisse vom 11. September 2001 geschriebenen Song. «Nun wollt ihr, dass wir um euch weinen. Doch wir haben für euch schon unser Blut vergossen, waren für euch so gut wie tot. Und nun wollt ihr also, dass wir um euch weinen. Ein weiteres Kapitel in der Geschichte der Demokratie: Wir, die Nachkommen eines Völkermordes, die wir vor hundert Jahren von der Mehrheit zur kleinsten Minderheit wurden, sollten nun um euch weinen …» Spätestens dann, wenn sich die Klänge von Trudells melancholischer Ballade über die Bilder der reitenden Lakotas legt, fliessen im Kinosaal die Tränen – ein emotional grosser Moment in diesem kleinen Film von Fanny Bräuning.

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Wer, ausser dieser jungen Filmemacherin aus der Schweiz darf sich schon rühmen, mit den Lakotas geritten zu sein? Was Bräunings Film kennzeichnet ist die Feinfühligkeit seiner Regisseurin, ihre unerschrockene Neugierde, ihre Unvoreingenommenheit, ihre Geduld, ihr Durchhaltewille. Während sechs langer Jahre hat Bräuning an No more Smoke Signals gearbeitet. Sieben Mal ist sie nach South Dakota gereist. Während fünfzehn statt sechs Wochen, wie ursprünglich geplant, hat sie gedreht; zwei Jahre später als vorgesehen ist ihr Film schliesslich fertig geworden. Doch das Ausharren und Durchhalten, das gelassene Verweilen in der nicht im Takt gewöhnlicher Uhren tickenden «Indian Time» haben Fanny Bräuning Tür und Tor – sie selber würde sagen: Herzen –geöffnet.

So erzählt No more Smoke Signals denn, wie man mit den Wunden der Vergangenheit lebt. Wie man sich zurechtfindet in einem Staat, der Menschen in Reservate steckt. Wie man sich verhält, wenn einem Gesetze die Bewirtschaftung von Grund und Boden verunmöglichen. Und wie man es verkraftet, in unmittelbarer Nähe der Black Hills – seit Hunderten von Jahren heiliger Grund für die Indianer – zu leben, aber hier keine Kulte feiern oder Gebete sprechen zu dürfen. Es sind himmelschreiende Zustände, die Bräuning im ärmsten Indianer-Reservat der USA angetroffen hat, und sie hätte eine triste Ballade anstimmen oder ein flammendes Pamphlet verfassen können.

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Doch sie hat, zusammen mit ihren Protagonisten, einen anderen Weg gewählt: den Weg der weisen Einsicht, der wachen Sinne, des erwachenden Stolzes und einer immer wieder aufblitzenden, humorvollen Lebenslust. Man begeht diesen Pfad im Wissen um die Unveränderbarkeit der Vergangenheit, im Bewusstsein um die Unzulänglichkeit der Gegenwart und im Hoffen auf die Zukunft. Es ist der Weg des 1986 initiierten Erinnerungsrittes. John Trudell nennt ihn den «Kampf des Geistes». Andere von Bräunings Protagonisten finden dafür andere Worte: Ramona White Plume, zum Beispiel, spricht von der Erleichterung, welche der Memorial Ritt ihrer an den Wunden von früher leidenden Grossmutter bringt. Und Derek Janis, der von Kopf bis Fuss tätowierte junge DJ, der mit seinen Kollegen von Kili Radio im Zentrum des Films steht, meint: «Once we were warriors. I like to think about that. Back in the days I’d been a warrior on a horse. But today we got this world we’re living in now and I’m a DJ on a hill.» Unter die Haut und ins Herz geht No more Smoke Signals und erzählt mit faszinierender Leichtigkeit – und tiefem Respekt vor seinen Protagonisten –,was es bedeutet, heute Lakota zu sein.

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Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 3/2009 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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