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Chéri

Text: Marli Feldvoss / 03. Juni 2009

Als Colette 1920 ihren erfolgreichsten Roman «Chéri» herausbrachte, war die Belle Epoque, die darin ihre zweite Blüte erlebt, unter dem Donnerschlag des Ersten Weltkriegs längst für immer untergegangen. Geradezu märchenhaften Reichtum hatten die legendären Pariser Kurtisanen, die mit Prinzen und Bankiers durch die weite Welt reisten, mit ihrem horizontalen Gewerbe angehäuft und einen Lebensstil etabliert, der von dem des wohlhabenden Bürgertums kaum zu unterscheiden war. Trotzdem wurden sie den Makel des schmutzigen Geldes nicht los und blieben wie eine geächtete Kaste unter sich. In dieser geschlossenen Gesellschaft mit ihren ganz speziellen Umgangsformen und Sprachregelungen spielt sich auch die Liebesgeschichte zwischen Chéri und Léa de Lonval ab. Léa will eigentlich nur ihrer alten Freundin Madame Peloux einen Gefallen tun und ihrem verzogenen Sprössling Fred, genannt Chéri, gute Manieren beibringen. Aus der geplanten éducation senti-mentale werden sechs sorglose Jahre, bis die geschäftstüchtige Mutter für ihren Chéri auch noch eine Hochzeit arrangiert. Erst dann scheint es Léa zu dämmern, dass dieser Chéri vielleicht die einzige Liebe ihres Lebens war. Dennoch leistet sie mit grossherziger Geste Verzicht, obwohl es ihr schier das Herz zerreisst.

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Das erst am Schneidetisch hinzugefügte Voiceover (Frears Stimme), das sich für Erklärungshilfen als unumgänglich erwiesen haben soll, verkündet zuletzt – in Übereinstimmung mit dem 1926 erschienenen Fortsetzungsroman «La fin de Chéri» – das unrühmliche Ende des Müssiggängers: Kriegsheimkehrer Chéri begeht Selbstmord, als er erkennt, dass Léa die einzige Frau war, die er je hätte lieben können. Auf ihre leichtlebige hedonistische Art sind Chéri und Léa aber auch ein perfektes, sehr modernes Paar, das sich auf coole Art nur eines nicht einzugestehen wagt: dass da wahre Liebe im Spiel ist.

Genau zwanzig Jahre nach Dangerous Liaisons hat sich Stephen Frears erneut aufs schwierige Terrain eines Ausstattungsfilms begeben, wie damals in Begleitung des brillanten Drehbuchautors Christopher Hampton, der ihm, wie bei Frears gang und gäbe, auch während der Dreharbeiten zur Seite stand. Und das Wiedersehen mit Michelle Pfeiffer (damals als die unvergessliche tugendhafte Madame de Tourvel) sollte man auch nicht vergessen. Zum zweiten Mal hatte der Regisseur um seine Originalschauplätze zu kämpfen, die im ehemaligen Ostblock nach wie vor billiger zu haben sind, aber Örtlichkeiten wie das Hôtel du Palais in Biarritz oder das Pariser Maxim erwiesen sich als unersetzbar. Das gilt auch für Léas Villa, die früher dem bekannten Pariser Architekten Hector Guimard gehörte, der sie auch entworfen hatte. Überwältigend also das Dekor: eine heute versunkene künstliche Welt zwischen exotischen Wintergärten und Zimmerfluchten, opulenten Möbeln, kunstvollen Draperien, Chinoiserien, Goldgeschirren, orientalischen Samt- und Seidenstoffen, in der die Protagonisten ihre Rolle spazieren führen dürfen. Vom Kunststück, die ganze Pracht wieder hinter der Handlung zurücktreten zu lassen wie damals, kann bei Chéri jedenfalls nicht die Rede sein. Hier wird Dekor zum Handlungsträger, legt sich unmerklich auf die Gemüter, die nie wirklich zu sich selbst zu finden scheinen.

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Der handlungsarme Film plätschert mit einer gewissen Beschaulichkeit vor sich hin, wird vor allem von Michelle Pfeiffers sensibler und reifer Frauenstudie unter fiebrige Spannung gesetzt. Sie spielt ihren jugendlichen Liebhaber, Rupert Friend, als hingeräkelten blassen, auch gefühlsarmen Dandy, ein Schönling ohne Rückgrat, glatt an die Wand. Der schöne Chéri – gut genug für einen Titel – ein ironischer Schlenker für sich. Das eigentliche Gegensatzpaar heisst Madame Peloux (bissig, hinterhältig, ordinär) und Léa (gebildet, geschmackvoll, empfindsam) – notgedrungen Freundinnen, weil in diesem geschlossenen Zirkel wenig Auswahl bleibt, von früher her Konkurrentinnen bis aufs Blut. Das lodernde Temperament der üppigen Kathy Bates wird von gebauschten Ärmeln, raschelnden Unterröcken, dem kitschigen Ambiente ihres mit Tand und Firlefanz vollgestopften schlossartigen Anwesens noch angefacht. Dagegen darf sich die überlegen lächelnde und anscheinend zeitlos schöne Michelle Pfeiffer mit betont schmaler Körpersilhouette vor dezenten Pastellfarben und zarten Jugendstil-Ornamenten ihrer Stadtvilla als eine elegante moderne Frau von heute präsentieren. Das türkisblaue Seidenkostüm zu rotgoldenen Locken, zarter schwarzer Spitze und kühn geschwungener Hutkrempe, das als Visitenkarte für den Film im Umlauf ist, trägt sie wie eine Königin.

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«Es ist ein Rückschlag!» Das lapidare Geständnis des sonst dem Understatement zugeneigten Stephen Frears spielt auf den emanzipierten Frauentyp der starken, auch älteren, erfahrenen Frau an, dem hier gehuldigt wird, der in den dreissiger und vierziger Jahren mit Stars wie Bette Davis, Joan Crawford, Barbara Stanwyk schon einmal in Mode war. Die ausgesprochene Vorliebe von Frears für diesen Frauentyp lässt sich entlang seiner Karriere haargenau verfolgen: von Frances Barber als Rosie, Glenn Close als Marquise de Merteuil, Judi Dench als Mrs. Henderson bis zu Helen Mirren als “The Queen”. Ironischerweise konterkariert die Rolle der Léa auch das Comeback Michelle Pfeiffers, die in den letzten zehn Jahren die Ausgrenzungspolitik Hollywoods am eigenen Leib zu spüren bekam. Dass Pfeiffer nie nach “schönen” Einstellungen verlangt habe, ihr wahres Alter vor der Kamera nicht zu verbergen suchte, muss man Frears wohl abnehmen, doch aus ihrem makellosen, jugendlich frischen und modelhaft dünnen Erscheinungsbild spricht vor allem die Sprache eiserner Disziplin.

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Stephen Frears fühlte sich von dem Altmodischen, Frivolen, Melancholischen, von der Tragik des ungleichen Paars angezogen, so der im Interview reichlich mundfaule Regisseur, der nie den gleichen Film gedreht hat, mit diesem Exkurs ins halbseidene Milieu jedoch einmal mehr seiner Vorliebe für Aussenseiter – vor allem den «subversiven Frauen» – treu geblieben ist. Dazu zählt – ihrer Einzigartigkeit wegen – übrigens auch die “Queen”. Frears wie Hampton schwärmen unisono von der Autorin Colette, teilen ihren bissigen Humor, der wohl auch seinen Teil zu den Dialogen beigetragen hat. «Jetzt, da die Haut etwas weniger straff ist, trägt sich das Parfüm so viel besser», giftet Chéris Mutter. Bösartig und treffsicher fliegen die abgeschossenen Pfeile wie Kontrapunkte durch den höhepunktarmen Film und nehmen mit Mutterwitz und Selbstironie die Hackordnung des uralten Gewerbes und seiner Buchhalterinnen kräftig aufs Korn. Zum andern fanden Regisseur wie Autor den Stoff jedoch besonders schwierig, weil Colette – eine Meisterin des psychologischen Romans – eine weniger dialogische, sondern stimmungsvoll impressionistische Schreibweise pflegte. Aber auch, weil die ständig präsente Zweideutigkeit des Textes erhalten bleiben sollte. So liegt die Stärke (und Schwäche) des Films letztlich in seiner impressionistischen Leichtigkeit, die, noch von der lichten Farbgebung der Kamera von Darius Khondjis unterstützt, mehr der Komödie als der Tragödie Vorschub leistet.

Schade, dass der Schönheit (und dem Boxoffice) zuliebe, Niedergang und Verfall der Kokotte letztlich doch ausgeblendet blieben. Colette nimmt jedenfalls kein Blatt vor den Mund, wenn sie ihrer Heldin einen letzten Besuch abstattet und «eine dicke geschlechtslose Frau mit Hängebacken, Doppelkinn und roten Gesichtsadern» vorfindet, die «beim Lachen einen Mund voller Gold» vorzuzeigen hat. Die schöne Léa ist für sie nur noch ein «alter Mann». Hier wird die Komödie erst richtig zur Tragödie. Aber so weit wäre auch Michelle Pfeiffer sicher nicht gegangen.

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Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 4/2009 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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