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Picnic 04

Picnic / Pescuit Sportiv

Text: Doris Senn / 03. Juni 2009

Ein Wohnquartier in Bukarest. Ein Parkplatz. Eine Frau und ein Mann, die sich für den Ausflug aufs Land rüsten: mit Kühlbox, Decke, Angelrute und was es sonst noch so braucht für das Picknick im Grünen. Ein angespanntes Hin und Her begleitet ihre Fahrt aus der Grossstadt hinaus, durch die heruntergekommenen Strassenkulissen der rumänischen Hauptstadt. Und man erfährt: Mihai ist Lehrer, hat soeben seinen Job so gut wie geschmissen, weil er sich bei der Notenvergabe nicht korrumpieren lassen wollte. Lubi ist verheiratet und hat es noch immer nicht geschafft, ihrem Mann von ihrer Affäre mit Mihai und ihren Scheidungsplänen zu erzählen.

Dies die Ausgangslage für Picnic, den ersten abendfüllenden Spielfilm des 38-jährigen Adrian Sitaru. Mit einem minimalen Budget, einer Handvoll Schauspieler und in nur zehn Drehtagen realisierte der rumänische Filmemacher dieses Drama um ein Paar, das durch eine Reihe unvorhergesehener Ereignisse durch ein Wechselbad der Gefühle geführt wird. Als Auslöser wirkt Ana-Violeta – ein «leichtes Mädchen», das den Ausflüglern auf dem Schotterweg vors Auto läuft und sie auf ihrem Weg zum Schäferstündchen zuerst einmal gehörig ins Schwitzen kommen lässt – müssen sie doch das Schlimmste annehmen, als Ana leblos liegen bleibt. Nachdem sich der erste Schrecken gelegt hat, stellt sich die Frage, woran genau Ana sich erinnert, ob sie daraus Profit ziehen will und wie das gestresste Paar damit umgehen soll. Vom schlechten Gewissen geplagt, lassen sich sowohl Mihai als auch Lubi auf ein Spiel voller Doppeldeutigkeiten ein.

Picnic 02

Picnic ist geprägt durch eine Reihe formaler Wagnisse, die vielleicht nicht nur geglückt sind, aber doch das konventionelle Regie-Instrumentarium etwas aufmischen – so der Einsatz von subjektiver (Hand-)Kamera, der durch die wechselnden Standpunkte der verschiedenen Figuren zwar “aufgeweicht”, des öfteren aber beengend und mitunter verwirrlich wirkt. Das verwundert nicht, wenn man an das – gescheiterte – Paradebeispiel des sogenannten Point-of-View-Shots, The Lady in The Lake von Robert Montgomery aus dem Jahr 1947, denkt, in dem die Geschehnisse allein mit den Augen der Hauptfigur wahrgenommen wurden, und das als beklemmendes Kino-Erlebnis in die Filmgeschichte einging.

Picnic überrascht aber auch mit dem frei flottierenden Genre-Mix zwischen Beziehungsdrama, Gesellschaftskomödie und Thriller, der viel Dokumentarisches über den Alltag in Rumänien enthält: etwa die Kinder, die sich als Scheibenputzer zwischen den Autokolonnen oder als Prostituierte verdingen, die Geldbriefchen, für die sich der Aufseher im Staatswald empfänglich zeigt, oder die mit Abfall durchsetzte Landschaft. Dies alles erzählt picnic in einer eher “ärmlichen” Ästhetik mit durchgehend überbelichteten, farbentsättigten Bildern.

Picnic 03

Zu überzeugen vermag Adrian Sitaru aber nicht zuletzt mit seinen immer wieder überraschenden Kehrtwenden, amüsanten Einsprengseln und dem gelungenen Dialogduktus, die picnic in schwebender Spannung halten bis zum Schluss. Der Regisseur reiht sich damit ein in die neue Filmemachergeneration aus Rumänien, die mit formaler Originalität und relevanten Storys in enger Anbindung an Rumäniens Gegenwart und Geschichte internationale Erfolge feiert. Dazu gehören unter anderen Cristi Puiu (The Death of Mister Lazarescu), Corneliu Porumboiu (A fost sau na fost) oder der 2007 in Cannes preisgekrönte Cristian Mungiu (4 Months, 3 Weeks and 2 Days). Die Idee für Picnic stammt übrigens von Radu Jude, einem weiteren Talent des neuen rumänischen Films, der mit The Happiest Girl in The World sein Spielfilmdebüt an der jüngsten Berlinale präsentierte.

Picnic 01

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 4/2009 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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