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Der grosse Kater

Text: Irene Genhart / 13. Jan. 2010

Tannöd (Bettina Oberli), Lila, lila (Alain Gsponer), Der Fürsorger (Lutz Konermann) und auch Hunkeler und der Fall Livius (Stefan Jaeger): jüngst scheint es en vogue zu sein, Schweizer Filme nach (Schweizer) Romanen zu drehen. Obenauf unter den Stoff liefernden Literaten schwingt derzeit der auch als Drehbuchautor arbeitende Martin Suter. Aus seiner Feder stammen nicht nur Romanvorlage zu Lila, lila und Un ami parfait (Francis Girod), sondern auch das Drehbuch zu giulias verschwinden, am Entstehen ist eine Adaption von «Small World» durch Bruno Chiche. An zweiter Stelle dürfte der Basler Hansjörg Schneider figurieren: Seine Hunkeler-Krimis werden regelmässig fürs Schweizer Fernsehen verfilmt, und die Praesens Film hat eben zu Weihnachten eine DVD-Box mit den bisherigen Hunkeler-Filmen herausgegeben. Und nun hat es «Der grosse Kater» von Thomas Hürlimann erwischt. Hürlimann hatte bisher – abgesehen davon, dass die Aufführungen einiger seiner Stücke fürs Fernsehen aufgezeichnet wurden und er 1990 Story und Drehbuch zu Markus Imhoofs der berg schrieb – wenig Kontakte zur Siebten Kunst; auch in den Credits von Der grosse Kater taucht er bloss als Verfasser des Romans auf. Umso gespannter ist man auf die schweizerisch-deutsch co-produzierte Verfilmung seines 1998 erschienenen ersten Romans.

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Verantwortlich für die Regie zeichnet Wolfgang Panzer. Der 1947 in München geborene Wahlschweizer ist einer der ganz Fleissigen unter den alpenländischen Filmschaffenden. Seit er 1978 mit Elfride seinen ersten TV-Spielfilm vorstellte, hat Panzer Filme produziert, Drehbücher geschrieben, vor allem aber Regie geführt: Über zwanzig TV-Filme und -Krimis, darunter fünf Tatorte, gehen auf sein Konto. Ab und zu hat Panzer auch Kinofilme gedreht: 1995 Broken Silence, 1999 Bill Diamond – Geschichte eines Augenblicks und letztes Jahr Baba‘s Song. Sind seine Fernsehfilme durchs Band süffig, so zeichnet seine Kinofilme gerne eine seltsame Eigenwilligkeit, welche deren Rezeption nicht immer nur einfach macht. So litt zum Beispiel der dank seiner hübschen Story um zwei afrikanische Strassenbuben und einen einheimischen Musiker durchaus sympathische Baba’s Song unter einer höchst unglücklichen Besetzung: Was hätte der Film gewonnen, wenn anstelle der bekannten, aber durch ihre Karrieren festgeschriebenen Schauspieler wie Gilles Tschudi, Sabina Schneebeli und Franka Potente drei unbekannte Darsteller die wenigen darin vorkommenden Europäer gespielt hätten!

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Doch lassen wir das. Denn nun hat Panzer Der grosse Kater gedreht – und da stimmt einfach alles: Das Timing, die Stimmung, der Rhythmus, die Montage. Und ja, auch das «typisch Schweizerische», von dem sich nie feststellen lässt, was es eigentlich ausmacht, das man aber etwa in Fredi M. Murers Höhenfeuer und Vitus, Daniel Schmids Beresina – oder die letzten Tage der Schweiz sowie in Mike Eschmanns Achtung, fertig, Charlie! beobachten kann, ist hier schön getroffen. Das grösste Plus liegt aber in der Besetzung: Der Titelheld, dieser dem von 1973 bis 1982 im schweizerischen Bundesrat einsitzenden Hürlimannschen Vater nachempfundene «Kater», wird nämlich von Bruno Ganz gespielt. Einen wirklichen Namen trägt die Figur in Panzers Film wie in Hürlimanns Buch nicht; sie wird seit Studienzeiten von Gattin Marie und seinen Freunden immer bloss «Kater» genannt und nennt sich, als Ich-Erzähler figurierend, gar selber so. «Ich, der Kater. Ich bin der Kater, der grosse Kater», führt er tief nachts sturzbesoffen vor einem Spiegel im Klo eines Berner Nachtlokals seltsame Selbstgespräche. Gross, ganz gross ist Ganz in der Rolle des von tiefer Einsamkeit umhauchten Schweizer Politikers. Ein lone-some Zorro, dem es in der Bundeshauptstadt am Vorabend des Staatsbesuches des spanischen Königspaares eiskalt um die Nase weht, ist er: Nicht nur Ganz’ Hitler in Oliver Hirschbiegels Der Untergang schimmert da durch, sondern auch der verwitwete Grossvater aus Vitus, ebenso der sein Leben lang um die Liebe betrogene Jacob aus Theo Angelopoulos The Dust of Time wie auch der charmante Kellner aus Silvio Soldinis Pane e tulipani. Es sind dies Rollen, die Ganz viel Raum lassen, ihn gross werden lassen im Alleinsein mit seiner Figur.

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Allein ist nun auch Kater, dieses phänomenale «animal politique», das in Panzers Film tief in der Krise steckt. Denn seit sein und Maries gemeinsamer Sohn todkrank im Spital liegt, versteht der Kater, der seit Abschluss des Studiums die Polit-Karriereleiter stetig nach oben stieg und nun im eigentlichen Zenith seines Lebens steht, die Welt nicht mehr. Seine Popularität ist nach neusten Umfragen im Keller. In der Partei rumort es. Seinen treuen Freund und Parteikollegen, Fraktionschef Pfiff, gelüstet es nach dem Sitz im Bundesrat, auf dem er derzeit hockt. Und seine geliebte Marie, die ihm früher stets eine solide Stütze war, ist ihm fremd und fern wie noch nie. Noch einmal zieht der Kater zwischen Staatsempfang und Galadiner die Fäden und fällt schliesslich eine Entscheidung, die so keiner, am wenigsten wohl Marie, erwartet hat.

Schweizerdeutsch kommt Der grosse Kater daher, das macht den Film – vor allem an den Voice-over-Stellen – etwas gewöhnungsbedürftig. Doch wie gesagt: Bruno Ganz ist gross, die andern Rollen sind glänzend besetzt. Bundesbern zeigt sich hübsch intrigenhaft, die Story ist spannend und überrascht mit einem verblüffend emotionalen Schlussbouquet. Kino, das gefällt, ist das: eine durchaus gelungene Literaturverfilmung, zudem ein guter Schweizerfilm mit internationalem Potential, was will man mehr?

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Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 1/2010 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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