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Serious man 14

A Serious Man

Text: Michael Pekler / 13. Jan. 2010

Wer in einer kalten Winternacht einem frierenden Männlein begegnet, öffnet sein Herz und lädt es zu sich ein. Zumal es sich um einen Bekannten handelt, der einem vor vielen Jahren einmal geholfen hat. Obwohl das alte jüdische Ehepaar, das in einer kleinen Hütte im Schtetl dem kargen Leben trotzt, selbst nicht viel hat, bittet der Mann den bärtigen Gast ins Haus. Doch die Frau ist misstrauisch, und das aus gutem Grund: Der hilfreiche Bekannte, da ist sie sich ganz sicher, ist bereits vor einigen Jahren gestorben! Was wiederum nur bedeuten kann, dass hier ein Dibbuk sein böses Spiel mit ihnen treibt.

Die Suche nach der Wahrheit führt – so viel sei verraten – zu einer altertümlichen Lösung. Weil diese sinistre Ouvertüre aus alten Tagen allerdings am Beginn von A Serious Man und damit einem Film von Joel und Ethan Coen steht, lautet die eigentliche Frage: Wann werden Sein und Schein voneinander untrennbar? Ist hier der exemplarische Kampf zwischen Gut und Böse tatsächlich einer zwischen Aberglaube und Aufklärung? Und wenn einem der jüdische Volksglaube in der Gestalt eines vermeintlichen Dibbuk ins Haus kommt: Wird man ihn erst wieder los, wenn man seinen Augen nicht mehr traut?

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Die radikale Methode, mittels derer die Wahrheit irgendwo im alten, verschneiten Osteuropa ans Licht geholt wird, verbietet sich in der kleinen jüdischen Gemeinde im sonnigen Mittleren Westen der USA von selbst. Ausserdem schreibt man mittlerweile das Jahr 1967, und Larry Gopnik, ein fürsorglicher Vater und Ehemann, hat mit dem jüdischen Glauben nicht besonders viel am Hut. Nicht dass er mit seiner Religion und Tradition gebrochen hätte, aber als erfolgreicher Physikprofessor glaubt er eben eher an die Gesetze von Natur und Logik. Doch obwohl ihn – im Gegensatz zu seinen Ahnen – kein böser Wandergeist verfolgt, stellt sich ihm bald dieselbe Frage, denn der Streit zwischen Verstand und Herz ist auch viele Jahre später in dem viel gelobten Land nicht entschieden. «It’s a fool who looks for logic in the chambers of the human heart», meinte bereits der Kettensträfling Ulysses in O brother, where art thou?, und wer ausser ihm, der seit Homer so weit in der Welt herumgekommen ist, kann es besser wissen?

Und so steht Larry Gopnik auf dem Dach seines Hauses und hält eine Fernsehantenne in der Hand. Er macht ein paar Schritte nach rechts, dann nach links, doch das Ergebnis wird nicht besser. Jedenfalls bekommt er das von unten aus dem Wohnzimmer zu hören, von wo aus sein Sohn ihm die nötigen Anweisungen gibt. Larry ist ein Mann, dessen Schritte von anderen bestimmt werden, selbst wenn es nur darum geht, der Familie mit einem störungsfreien Fernsehbild zu dienen – das ist die Stimme des Verstands. Doch wie weit ist er gewillt, den Befehlen anderer zu gehorchen, die vielleicht schon längst – ohne dass er es merkt – über sein Leben bestimmen? Denn genau das geschieht mit Larry, als er von oben, eine Art moderner Fiddler on the roof, plötzlich etwas sieht, was sonst niemand sehen kann – das ist der Ruf der Verführung.

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«I’ve tried to be a serious man», wird er später zur Sekretärin jenes Rabbi sagen, von dem er sich als letzter und höchster Instanz spirituelle Hilfe erwartet. Zu diesem Zeitpunkt sind die weltlichen Dinge für Larry nämlich bereits einigermassen in Schieflage geraten: sein Sohn Danny schwänzt die Schule, seine Tochter Sarah bestiehlt ihn, sein Bruder Arthur wohnt bei ihm auf der Couch, an der Universität trudeln kurz vor seiner Beförderung anonyme Briefe über ihn ein, und als ob das noch nicht genug wäre, verlangt seine Frau Judith die Scheidung. Das Perfide an dieser Situation ist aber, dass Larry in Wahrheit sein Ziel erreicht hat: Er ist ein «serious man», was wiederum den Verdacht nahe legt, dass sein Scheitern mit dem Erreichen dieses Ziels zusammenhängt.

Im Grunde erzählt A Serious Man also die Geschichte eines einfachen Mannes, so wie schon vor knapp zwanzig Jahren der jüdische Bühnenautor Barton Fink im gleichnamigen Film nichts anderes als ein Stück «für den einfachen Mann» schreiben wollte. Und tatsächlich erinnert Larry in mancher Hinsicht an die Figur dieses künstlerischen Fremdgängers, der ebenfalls von der Fassade – allerdings in Form eines Tapetenmusters in einem Hotelzimmer – nahezu erdrückt wird. Es ist das Schicksal des prototypischen Coen-Helden, dass er nach Auswegen suchen muss, weil er im Begriff ist, die Kontrolle über die Situation zu verlieren. Was als Lösung erscheint, ist nur Teil des Problems. Wie in einem klassischen Hollywood-Plot gerät auch Larry Gopnik unverschuldet in einen Strudel der Ereignisse, aus dem herauszufinden es gute Freunde, einen starken Willen oder beides braucht. Und wer wie Larry alleine dasteht, der zählt auf Gott.

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Womit auch der eigentliche Kern dieses Films erreicht ist: das menschliche Scheitern. Die Filme von Joel und Ethan Coen sind schon immer auf besondere Art und Weise dem Rätsel nachgegangen, wie Menschen an bestimmte Orte und in bestimmte Zeiten passen, wie sie sich ihrer Umgebung anpassen und gerade deshalb ihr Ziel verfehlen. «He’s the man for his time and his place», heisst es etwa zu Beginn von The Big Lebowski über Jeff Bridges als «Dude», einem der unzähligen Versager, die sich im filmischen Universum der Coens seit Jahrzehnten tummeln. Würde man einen filmhistorischen Atlas der Vereinigten Staaten anfertigen, in dem die Schauplätze und Jahreszahlen aller Coen-Filme eingezeichnet sind, käme eine bemerkenswerte Topographie des Missgeschicks zustande: der Osten zur Zeit der Prohibition (Miller’s Crossing), der Süden nach der Grossen Depression (O brother, where art thou?), Kalifornien Ende der Vierziger Jahre (The Man Who wasn’t There), Minneapolis im Winter (Fargo) und das mexikanische Grenzgebiet im Sommer (No Country for Old Men), und natürlich nicht zuletzt Los Angeles im Jahr 1941 (Barton Fink) und während des Irakkriegs (The Big Lebowski).

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Von einer grossen gesellschaftlichen Umwälzung ist in Larry Gopniks kleiner Gemeinde 1967 noch nichts zu bemerken, höchstens dass der Nachbar beim Rasenmähen sein Grundstück jedes Mal um ein paar Zentimeter vergrössert. Und doch ahnt man, unterstützt von entlarvenden Einstellungen des Kameramanns Roger Deakins, dass auch hier die Zeit nicht stehen bleiben wird.

Die Erzählung selbst tritt dabei wie immer bei den Coens zunehmend in den Hintergrund, weil das, wonach Larry sucht, auch gar nicht das Ende seiner Probleme sein kann. Die leidlich oft zitierte – und ebenso oft falsche – These, dass der Weg das Ziel sei, stimmt hier ausnahmsweise wirklich: erst durch die Suche nach Gründen, was in seinem Vorstadtleben schief gelaufen ist, erkennt Larry, dass es eben diese Suche an sich ist, die ihm gefehlt hat. Dass es sich dabei vordergründig um eine jüdisch-religiöse handelt und die Coens damit auf ihr eigenes Terrain zurückkehren, ist nur der offensichtlichste Clou in diesem Film.

Der erste Rabbi, den Larry konsultiert, bemerkt dessen müde Augen und meint, sein Klient brauche nur eine neue Perspektive; der zweite erzählt eine wenig hilfreiche, dafür skurrile Anekdote; und der dritte – der steinalte und hochgeschätzte Rabbi von Dannys Bar Mitzwa – verweigert ihm überhaupt die Audienz (was die wahre Hilfe darstellt). So kann Larrys Suche auch dahingehend interpretiert werden, dass nur dem geholfen werden kann, der sich selbst erkennt. Nicht nur in einer stürmischen Winternacht einen bärtigen alten Mann als Dibbuk auszumachen.

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Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 1/2010 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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