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The Men Who Stare At Goats

Text: Michael Pekler / 03. Mär. 2010

In der Urszene dieses Films bilden Angst und Erlösung eine sonderbare Allianz. Während des Vietnamkriegs gerät eine Einheit von US-Marines in den Hinterhalt eines Scharfschützen. Doch als die Amerikaner endlich selbst zum Schiessen kommen, geschieht etwas Sonderbares: die Männer feuern über ihr Ziel hinweg. Für den getroffenen Kommandanten Bill Django ist das der Moment der Erleuchtung: das Gesicht einer jungen Vietnamesin taucht am Himmel auf, und eine neue Einheit namens New Earth Army erlebt ihre Geburtsstunde. Denn ab nun lautet Djangos Credo: Soldaten sollen nicht töten, sondern Kriege verhindern.

Eines der interessantesten politwissenschaftlichen Bücher der vergangenen Jahre ist Niall Fergusons «Colossus: The Rise and Fall of the American Empire», dessen These von der deutschen Übersetzung als «Das verleugnete Imperium» beinahe noch besser in den Titel überführt wird. Die Vereinigten Staaten von Amerika, so der Historiker, unterliegen einer permanenten Selbstverleugnung der Macht: Denn dem ökonomisch, militärisch und kulturell potentesten Staat der Welt ist es nahezu unmöglich, sich als Imperium zu begreifen und entsprechend globale Verantwortung zu übernehmen. Die USA wollen nicht sein, was sie sein könnten.

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«Be all you can be», lautet wie zur Bestätigung von Fergusons These die Parole, die Bill Django an seine neue New Earth Army ausgibt. Gezeichnet vom verlorenen Krieg und getragen vom neuen Zeitgeist, erforscht sie alternative Techniken der Kriegsführung, die eines Tages einer Friedenssicherung weichen soll. Und so laufen die Männer nicht mit voller Ausrüstung durchs Gelände, sondern lernen im Rhythmus der Musik zu tanzen; reinigen nicht stundenlang ihr Gewehr, sondern beten ausdauernd zu Mutter Erde. Die selbsternannten Jedi-Ritter laufen barfuss über Kohlen, damit sie nicht zwanzig Jahre später im Hindukusch und Zweistromland einmarschieren müssen.

The Men Who Stare At Goats ist also ein Film über das Scheitern, und dies nicht nur, weil US-amerikanische Verbände heute sehr wohl in Afghanistan und im Irak Krieg führen. Denn wenngleich scheinbar der innere Feind – hier in der Person des ehrgeizigen Rekruten Larry Hooper als «dunkle Seite» der Macht – ihren Zerfall heraufbeschwört, scheitern die Friedensritter in Wahrheit an einem der grössten Defizite des amerikanischen Imperiums: am notwendigen Glauben an sich selbst.

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Mit der Frage nach dem Glauben eröffnet also auch der Film: «More of this is true than you would believe», verkündet eine Texttafel am Beginn, und auch wenn die folgende Geschichte nicht wahr ist, so ist sie immerhin gut gelogen. Basierend auf der Buchvorlage des Journalisten Jon Ronson, erzählt Regisseur Grant Heslov – bisher vor allem als Autor von Good Night, and Good Luck in Erscheinung getreten – in mehreren Rückblenden Aufstieg und Niedergang der New Earth Army. Doch weil gerade die unglaubwürdigsten Geschichten gut erzählt werden müssen, braucht es einen glaubwürdigen Vermittler, wie etwa den von seiner Frau verlassenen Reporter Bob Wilton, der es nicht als «embedded journalist» in den Irak geschafft hat und nun in Kuwait festsitzt. Die Story seines Lebens wird die unsrige für zwei Stunden, als der schnauzbärtige Lyn Cassady, seinerzeit der Beste unter den New-Age-Kriegern, im Hotel auftaucht und sich auf den Weg in den Irak macht. Cassadys Mission ist, wenngleich kein Gesicht am vietnamesischen Himmel, so doch eine Vision: für ein besseres, ein anderes Amerika.

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Natürlich ist The Men Who Stare At Goats vordergründig eine Komödie, doch wenn Cassady auf seinem Weg durch die Wüste kraft seines Blicks Wolken verschiebt oder – sein damaliges Meisterstück – eine Ziege tot umfallen lässt, geschieht dies mit einer Ernsthaftigkeit, die der Skurrilität beinahe den Rang abläuft. Während nämlich vor allem die einzelnen Rückblenden über die Ausbildung der Jedi-Ritter wie Burlesken erscheinen, wird die Erzählung als Ganzes immer wieder von einer eigentümlichen Tragik überschattet: Zu introspektiv und verwundet wirkt Cassady trotz seiner lächerlichen Kostümierung, zu enttäuscht Bill Django nach Hoopers Intrige und seiner unehrenhaften Entlassung; und zu sehr spürt man, wie dieser Film an seinen humanistischen Appell selbst nicht glauben kann.

Die Reise des New-Age-Veteranen und seines ungläubigen Begleiters durch den Irak gerät also bald zu einem Stationendrama für den modernen Soldaten, der, ohne es zu bemerken, gleichzeitig an mehreren – militärischen, politischen und sozialen – Fronten zu kämpfen hat. Aber hilft das Magische Auge auf der Brust (Cassady) und auf dem Notizblock (Wilton) tatsächlich nicht nur gegen den plötzlich wieder auftauchenden alten Feind, sondern auch gegen die Unübersichtlichkeit der sogenannten neuen Kriege? Und wie verhält sich der Soldat dreissig Jahre nach Vietnam in einem völlig veränderten Szenario der Auseinandersetzung, in dem das Böse und die Folter in den eigenen Reihen wohnen?

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An diesem Punkt angelangt, muss auch The Men Who Stare At Goats buchstäblich sein Ende finden. Als Cassady seinerzeit die New Earth Army verliess, geschah dies nicht aufgrund ethnischer oder sozialer Spannungen innerhalb der Truppe, sondern aufgrund von Neid und Geltungsdrang eines Einzelnen. Und hier ergibt sich auch das Dilemma, das dieser Film nicht lösen kann: Die grösste Schwäche des amerikanischen Imperiums, so suggeriert The Men Who Stare At Goats, ist ein verblendeter Individualismus, der nur an sich selbst glaubt. Das «Be all you can be» muss jedoch für alle gelten, und das wiederum ist ein unauflösbarer Widerspruch.

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Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 2/2010 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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