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Jaffa 8

Jaffa

Die Liebe von Toufik und Mali kann nur im Schatten ausgeübt werden und droht von Anfang an zu ersticken – Keren Yedaya erzählt einfühlsam und realistisch zugleich von Leben der ärmeren Schichten in Israel.

Text: Bettina Spoerri / 26. Mai 2010

Seit einigen Jahren thematisieren jüngere Filmemacher in Israel ungeschönt die harten Lebensbedingungen der ärmeren Leute im Land, und sie demontieren damit den zionistischen Mythos von sozialer Gerechtigkeit, wie sie der eingewanderten jüdi-schen Bevölkerung, die hier ihr neues Heim begründet hat, ihrer Ideologie zufolge zustehen soll. In Broken Wings (2002) etwa, dem Erstling von Nir Bergman, schlägt sich eine Familie in einer trostlosen urbanen Landschaft am Rande des Existenzminimums durch. Bergmans Kollegin Keren Yedaya, Jahrgang 1972, konzentriert sich insbesondere auf die schwierige Situation von Frauen aus unterprivilegierten Milieus. In ihrem ersten Langspielfilm or (Mon trésor 2004) erzählte sie die aufwühlende Geschichte einer alleinerziehenden Mutter, deren Teenagertochter sich nach erfolglosen Versuchen, anders zu Geld zu kommen, schliesslich prostituiert. Der Film, der kompromisslos eine beinahe unerträgliche Ausweglosigkeit schildert, wurde am Filmfestival von Cannes mit der Caméra d’Or ausgezeichnet.

Das starke Frauenduo Ronit Elkabetz/ Dana Ivgy aus or ist auch in Yedayas zweitem Kinospielfilm zu erleben. Jaffa, so der internationale Verleihtitel, ist verglichen mit or verhältnismässig versöhnlich, hier darf trotz aller widrigen Umstände am Ende Hoffnung aufkeimen – allerdings sind damit einige psychologisch nicht ganz stimmige Situationen im letzten Drittel des Drehbuchs (wie dasjenige zu or von der Regisseurin selbst mitverfasst) verbunden. Symbolischer Schauplatz ist das alte Hafenstädtchen Jaffa («die Schöne») beziehungsweise Yafo am südlichen Rand von Tel Aviv, das lange vor der Gründung der späteren Metropole existierte und wo die arabische und die jüdische Bevölkerung seit vielen Jahrzehnten in unmittelbarer Nachbarschaft zueinander leben. Keren Yedaya demaskiert die oft beschworene Idylle einer friedlichen Koexistenz in diesem Ort, indem sie den nur unter einer dünnen Schicht verborgenen Rassismus hervorbrechen lässt.

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In der Autogarage von Reuven (gespielt vom bekannten israelischen Schauspieler Moni Moshonov) arbeiten neben zwei arabischen Israeli, Hassan und Sohn Toufik, sein eigener Sohn Meir und seine Tochter Mali. Das ist seit Jahren so, und die Angehörigen der beiden Familien scheint das Interesse an einem guten Garage-Service für die Kunden zu einen. Nun jedoch, da die beiden Söhne erwachsen werden, drängen schwelende Konflikte an die Oberfläche und entladen sich in Gewalt. In der Abwesenheit seines Vaters spielt sich der frustrierte Meir als schikanierender Arbeitgeber auf, bis es zum Kampf zwischen ihm und Toufik kommt, in dessen Verlauf Meir tödlich verunglückt. Was dabei niemand in der Familie ahnt: Toufik und Mali sind schon seit Jahren ein Liebespaar, sie erwartet sein Kind, und die beiden haben heimlich bereits alle Vorbereitungen für eine nicht-religiöse Heirat auf Zypern getroffen (in Israel ist eine solche nicht möglich). Was wie das klassische «Romeo und Julia»-Drama inklusive tragischem Brudertod aussieht, wird von Yedaya aber auf mehreren Ebenen gebrochen. Der Film schildert die Vorgänge mehrheitlich aus Malis Perspektive, wobei sich die Regisseurin zwar durchaus für die Verwicklungen einer transkulturellen Liebe zwischen den jungen Vertretern zweier verfeindeter Völker interessiert, stärker aber noch für deren Folgen auf Seiten der Frau, in diesem Fall der knapp volljährigen, schwangeren jüdischen Israelin Mali. Es ist auch ihr und nicht Toufiks Familienleben, das eindeutig im Zentrum steht – und kritisch beleuchtet wird. Yedaya skizziert die Konstellation einer Kleinfamilie, die eigentlich nur noch von äusseren Ritualen zusammengehalten wird. Immer wieder versammelt die Regisseurin Eltern und Kinder um den Esstisch in der bescheidenen Wohnung, wo das tägliche Drama der Anschuldigungen seinen Lauf nimmt. Die Eltern Reuven und Osnat (Elkabetz verkörpert eine laszive und ziemlich egozentrische Mutter mit marokkanischen Wurzeln) verbindet noch eine vertrauliche Nähe, die sich später aber in besondere Härte gegen die Tochter verwandelt, die mit ihrer Liebe die tabuisierten rassistischen Gefühle entlarvt und aus Not das Vertrauen der Eltern missbraucht.

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Von Anfang an droht die Liebe zwischen Toufik und Mali in dieser Umgebung zu ersticken. Und doch gibt es ihre heimlichen Treffen, die einen Kontrapunkt zu den nüchternen Szenen in der armseligen, schmutzstarrenden Garage setzen: Im Dunkel einer Nebengasse steigt Mali in ein Auto, kaum erkennbar heben sich die Silhouetten der Liebenden vor den Lichtern der Stadt ab, wenn sie sich umarmen und küssen. Das verborgene Leben spielt sich in geflüsterten, hastigen Sätzen ab – oft wie aus dem Blickwinkel eines gefürchteten Entdeckers gefilmt, was die Fragilität der Situation noch betont – oder in mehrheitlich stillen Szenen, in denen Toufik und Mali, nie gemeinsam, Eheringe kaufen und Formalitäten erledigen; hier konzentriert sich die Kamera fast ausschliesslich auf ihre Gesichter, in denen sich Vorfreude, Angst oder Anspannung widerspiegelt. Zoom-Bewegungen und der häufige Einsatz von Handkamera entsprechen der labilen Anlage der Personenbeziehungen und machen sie umso sichtbarer. Problematisch sind nur die letzten rund zehn Minuten, in denen das Drehbuch manche offene Frage mit etwas zu viel Erklärungsdruck zu beantworten versucht. Trotzdem ist Keren Yedaya mit Jaffa ein weiterer Film gelungen, der einfühlsam und realistisch zugleich vom Leben am unteren gesellschaftlichen Rand erzählt und ohne Weichzeichner die zaghafte Utopie einer Liebe über Feindesgrenzen hinweg entwirft.

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Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 4/2010 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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