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Police, Adjective

Text: Doris Senn / 29. Sep. 2010

Graue Strassen in einer tristen Stadt, abbröckelnde Plattenbaufassaden, Bäume im Herbst. Ein Jugendlicher auf dem Schulweg – ihm auf den Fersen ein nicht viel älterer Polizist in Zivil: Cristi. Er soll den Schüler beschatten, der von seinem Bruder beschuldigt wird, mit Hasch zu dealen. Und Cristi bespitzelt ihn – auf dem Pausenhof, über Mittag, nach Schulschluss. Er sammelt die Kippen, folgt Schulkollegen, wartet hier, dort, immer wieder um dann am Feierabend alles fein säuberlich in handgeschriebenen Protokollen festzuhalten. Bald fragt er sich: wozu? Weshalb kleine Fische mit so viel Aufwand jagen, das Leben eines Jugendlichen zerstören, wenn das Gesetz eh bald geändert wird? Doch sein Chef findet: Gesetz ist Gesetz, Gewissen ist Gewissen, und die Polizei hat ihren Auftrag zu erfüllen …

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Um dieses Dilemma kreist Police, adjective, der zweite Film des rumänischen Regietalents Corneliu Porumboiu nach seinem erfolgreichen 12:08 East of Bucharest von 2006. Police, adjective ist ein Krimi ohne Plot – dafür mit dokumentarischer Präzision, wenn es um die Beschreibung des Alltags in einer rumänischen Kleinstadt geht. Auf die Frage, ob er ein Fan des antiken Dramas mit seiner Einheit von Ort, Zeit und Handlung sei, meinte Porumboiu in einem Gespräch: «Ja, definitiv. Ich mag auch diese Beschränkungen, die man einer Geschichte im Film auferlegt: Diese Konzentration auf eine Geschichte, die sich beinahe in Echtzeit abspielt.»

So macht Police, adjective das Verstreichen der Zeit immer wieder zu einem physischen Erlebnis – was auch den Zuschauern viel Musse lässt, das Bild auszuloten. Auf die Frage, was Handlung für ihn bedeute, sagt Porumboiu: «Für den Polizisten im Film bedeutet alles, was er tut, Handlung: Es ist seine Aufgabe, zu verfolgen, zu warten, zu schauen. Er ist eine Art Jäger, der seine Beute beobachtet. Ich wiederum als Filmemacher wollte mich so ähnlich wie möglich wie mein Objekt verhalten – seinem Verhalten folgen, es in Ruhe beobachten. Dazu gehört auch sein Alltag, wenn er alleine ist, wenn er zu Hause isst, seine Routine. All das sagt mehr aus als zehn Seiten Dialog. Dabei versuchte ich, das ins Bild zu fassen und so dem innersten Wesen meiner Haupt-figur möglichst nahe zu kommen.» Zentral für den Film, meint der Regisseur, sei die Körpersprache – und die beherrscht Hauptdarsteller Dragos Buçur, der den schlaksigen, sympathischen Polizisten mimt, perfekt.

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Der Regisseur wollte, wie er weiter erklärte, einen Krimi jenseits von Action und Nervenkitzel erzählen – und liess sich dafür «von der Realität inspirieren». Dabei berief er sich einerseits auf die Erfahrungen eines befreundeten Polizisten, dessen Alltag sich genauso unspektakulär ausnimmt wie im Film gezeigt – andererseits auf eine authentische Geschichte um den Verrat zwischen Brüdern, wobei es wie im Film um Haschisch ging. Mit einem Budget von einer Million Franken drehte der siebenunddreissigjährige Regisseur den Film auf 35 Millimeter (!) und gab ihm eine epische Länge von fast zwei Stunden. Die Kamera führte Marius Panduru, der zurzeit zu den gefragtesten seines Fachs in Rumänien gehört und mit dem Porumboiu schon früher zusammenarbeitete. Porumboiu: «Ich mag es, wenn sich die Charaktere ein bisschen wie auf der Bühne bewegen: Sie gehen von rechts nach links und wieder zurück. Sie kommen nie nahe zur Kamera oder werden nie in Grossaufnahme gezeigt.» So bleibt auch Panduru mehrheitlich auf Distanz, zeigt, wie die Figuren sich nähern, durchs Bild gehen und wieder verschwinden, oder folgt in langen Plansequenzen dem Parcours seiner Hauptfigur. Dabei erscheint -alles in einem schäbigen Grau-Grün, wobei das Filmmaterial nur unwesentlich bearbeitet und die meisten Settings original übernommen wurden. Gedreht wurde in Vaslui – wo auch 12:08 East of Bucharest entstand –, der Heimatstadt des Regisseurs ganz im Westen Rumäniens.

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Immer wieder ist minutenlang kein Wort zu hören – nur gerade die Umgebungsgeräusche oder selten ein ironischer Farbtupfer: etwa das kitschige Liebeslied, das aus dem Computer von Cristis Frau dröhnt, während dieser alleine in der Küche seine Suppe löffelt. Police, adjective ist ein visueller Film, der sogar Text als “Material” in -Szene setzt. So führt uns der Film etwa die Protokolle vor Augen und lässt uns – ohne Off-Kommentar oder Schnitte – ausgiebig Zeit, sie zu lesen. Auf die Frage nach der Motivation für solche ebenso überraschenden wie kühnen Inserts verweist Porumboiu auf den Einfluss von Robert Bresson und meint: «Die Rapporte erschliessen wie eine dritte Instanz das, was wir bereits gesehen haben, fassen es noch einmal zusammen. Der Film besteht aus drei Teilen, die alle mit einem Rapport enden. Dabei sehen wir, was er sieht, aber nicht, was er dabei denkt. Mittels der Rapporte verschiebt sich auch unsere Wahrnehmung als Zuschauer. Es ist das, was vom Tag übrigbleibt: eine bürokratische Form des Resümees. Wie im Kino geht es um “Repräsentation” – also auch eine Art Metapher für den Film: Es geht um das Abbilden, Veranschaulichen. Wenn es dann zur zentralen Frage kommt, wird klar, dass die beiden Protagonisten, der Detektiv und sein Chef, verschiedene Konzepte haben, wenn es um die Darstellung der Welt geht.»

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Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 6/2010 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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