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Urs Fischer

Der Porträtfilm von Iwan Schumacher widerspielt den spitzbübischen Humor des zeitgenössischen Schweizer Künstlers Urs Fischer. Man blickt in eine Welt von überdimensionalen Stofftieren, zerfliessenden Wachsfiguren und erstarrten Regentropfen.

Text: Doris Senn / 29. Sep. 2010

Ein Riesen-Teddy sitzt im Licht einer Riesen-Nachttischlampe einsam und selbstversunken in der nächtlichen Landschaft. Grosse brennende Wachsfiguren zerfliessen vor den Augen der Ausstellungsbesucher. Erstarrte, an einem Draht aufgereihte blaue Regentropfen bieten sich dem Publikum zum Lustwandeln an. Dies sind nur drei Objekte des Schweizer Künstlers Urs Fischer, der in seinem Œuvre unbeschwert Kunsttradition und Pop Art verbindet und mit einer Prise melancholischem Witz vermischt. Seine Installationen sind oft schon rein aufgrund ihrer Grösse spektakulär und sorgen ebenso für Staunen wie für Erheiterung. Weltweit. Als Shooting Star der internationalen Kunstszene bespielt der Mittdreissiger Urs Fischer schon seit rund einem Jahrzehnt die Kunsthäuser von Zürich bis New York und von Amsterdam bis Sydney. Der nach ihm benannte Porträtfilm von Iwan Schumacher gibt Einblick in sein Schaffen und verfolgt insbesondere die Entstehung seiner ersten Einzelausstellung in den USA.

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Iwan Schumacher – Filmautor unter anderem der Politrecherche Gasser & Gasser (1994), des Musikfilms Trümpi (1999) oder des Künstlerporträts Markus Raetz (2007) – zeigt in seinem jüngsten Titel den unprätentiösen, nicht sonderlich gesprächigen Künstler bei seinem Tagwerk. Man sieht Urs Fischer vor dem Computer in seinem riesigen New Yorker Atelier, beim Austausch mit Kurator oder Techniker, beim Ping-Pong-Spielen mit Hund Reginald oder unterwegs von einer Weltstadt zur anderen. Der schöpferische Prozess erweist sich als eher prosaisch und langwierig: Oft entstehen die Werke als Bricolage in “gebastelter” Kleinarbeit. Davon ausgehend, werden die Modelle von Hochpräzisionsmaschinen vermessen, ins Gigantische vergrössert und dann gegossen oder ausgefräst. Bei der Ausführung und der Organisation seiner Projekte steht Fischer ein grosser Mitarbeiterstab zu Diensten, der ein bisschen an die Factory von Warhols “Kunstfabrik” erinnert. Techniker und Museen sind dabei immer wieder sehr gefordert – sowohl bei der Herstellung von Fischers Arbeiten als auch bei deren Platzierung im Raum, wo ein Werk allein durch seine Positionierung oft wie neu erfunden wird.

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Der Faszination der Werke von Urs Fischer wird und kann der Film nur ansatzweise gerecht werden – gerade weil das Raumerlebnis so wichtig ist: Urs Fischer liebt es, unterschiedliche Grössendimensionen miteinander zu vermengen, in die dritte und vierte Dimension auszugreifen, wenn er seine Objekte für die Ausstellungsbesucher begehbar und zeitgebunden erlebbar macht. Dabei ist das kreative Brodeln im nach aussen hin cool wirkenden Protagonisten erahnbar: Ein ähnliches Spannungsfeld, wie der sanfte Künstler mit dem tätowierten Oberkörper in sich selbst zu bergen scheint, durchdringt auch seine massigen Werke, die immer auch etwas Verschmitztes haben.

Diesen spitzbübischen Humor übernimmt der Film mitunter auch für sich selbst: etwa wenn ein schlaffes Plüschtier auf dem Ateliersofa mit einem harten Schnitt in Analogie zum fülligen Künstler gesetzt wird oder wenn comicartige Gedankenblasen das innere Brainstorming des Kunstschaffenden ins Bild fassen. Die Kamera von Altmeister Pio Corradi ebenso wie der temporeiche Schnitt von Anja Bombelli und die Musik von Victor Moser sorgen für die ausgewogene Struktur und den munteren Drive des Films. So porträtiert Urs Fischer nicht nur den eigenwilligen Künstler, sondern gibt auch Einblick hinter die Kulissen einer (Kunst-)Welt im Umbruch, um Fragen aufzuwerfen rund um das Wesen der zeitgenössischen Kunst, die Vermengung von Kunst und Vermarktung und einen Kunstbetrieb, in dem Künstler als hochdotierte Global Players agieren.

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Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 6/2010 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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