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Svet-Ake (The Light Thief)

Text: Michael Pekler / 12. Jan. 2011

Gegen Ende des Films klettert Svet-Ake ausnahmsweise nicht auf einen Strommast, sondern auf einen Baum. Ein kleiner Junge hat sich zu hoch hinaufgewagt, nun sitzt er jämmerlich in der Baumkrone fest. Unten laufen ein paar Männer mit einem Teppich hin und her, um den Buben im Fall des Falles aufzufangen. Svet-Ake hingegen ist ein Mann der Tat, und rasch klettert der Elektriker zu dem Jungen hinauf. Doch anstatt ihm sofort zu helfen, beginnt er mit ihm ein Gespräch. Warum er denn so hoch geklettert sei, will Svet-Ake wissen. Er sei neugierig gewesen, was hinter den Bergen zu sehen sei, antwortet der Bub. Das habe er früher auch wissen wollen, meint Svet-Ake und zeigt auf den Mond, den man am Nachmittagshimmel bereits entdecken kann. «Hast du noch immer Angst?», fragt er. «Nein? Das ist gut, dann können wir ja wieder hinunterklettern.»

Diese Szene, die nur knapp zwei Minuten dauert, bildet in gewisser Weise ein Herzstück von Svet-Ake: Sie zeigt einen Mann, der sich von den anderen durch seine Entschlusskraft abhebt, der aber zugleich das Träumen – oder seine Wünsche an die Wirklichkeit – noch nicht aufgegeben hat. Darüber hinaus erkennt man auch deutlich die den Bildern innewohnende Metaphorik (der Baum, das Klettern, der Mond), die der Szene ihre äusserliche Spannung nimmt, das Ereignis sozusagen entdramatisiert. Die eigentliche Rettung des Jungen ist nicht seine Rückkehr auf den Boden (die man auch gar nicht mehr zu sehen bekommt), sondern das Gespräch mit ihm.

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Svet-Ake erzählt entlang solcher verdichteter Miniaturen die Geschichte des gleichnamigen Elektrikers, der mit seiner Frau und seinen vier Töchtern in einem kleinen kirgisischen Dorf wohnt. Von Beginn an wird er als gutherziger Mann gezeichnet, der den verarmten Dorfleuten für billigeren Strom den Zählerkasten manipuliert und der für jeden ein freundliches Wort parat hat. Bei politischen Fragen hält er sich lieber im Hintergrund – nur zufällig hört er etwa im Radio die Übertragung von Demonstrationen gegen den kirgisischen Präsidenten Akayew, der 2005 im Zuge der «Tulpenrevolution» gestürzt wurde. Für ihn ist Politik die Art des täglichen Zusammenlebens, des gegenseitigen Respekts und Hilfe. Und doch wird er von der Politik – oder besser ihren Schattenseiten – eingeholt werden.

Aktan Arym Kubat, der auch die titelgebende Hauptrolle spielt, entrollt das Bild dieses einfachen Mannes mittels lose aufeinanderfolgender Szenen. Auf Schwarzblenden folgt jeweils ein neues, scheinbar unspektakuläres Ereignis, das die Erzählung vorantreibt. Doch in jeder dieser Miniaturen offenbart sich ein weiterer Teil des Gefühlslebens von Svet-Ake, etwa wenn er in seinem Hinterhof ein Windrad baut, in das er seine Hoffnungen für billigen Strom für alle Dorfbewohner setzt; oder wenn er sich um den Freund kümmert, der von seiner Frau verlassen wurde; oder wenn er betrunken in die Stromleitung greift, weil er meint, durch den Elektroschlag als nächstes Kind einen Sohn zeugen zu können. Und doch spürt man bei aller vordergründigen Unbeschwertheit eine zunehmende Dunkelheit, die sich über diesen Film legt und die sich im mondänen Neuankömmling Bekzat manifestiert, der nach dem Tod des Bürgermeisters als neue Kraft im Dorf die Fäden zieht.

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Vor zwölf Jahren inszenierte Kubat unter seinem damaligen Namen Aktan Abdykalykow sein international erfolgreiches Spielfilmdebüt Beschkempir, einen Film über einen Jungen, der erfährt, dass er nicht das leibliche Kind seiner Eltern sein soll. Das waren jene Jahre, in denen der Westen nach dem Zerfall der Sowjetunion das Kino Zentralasiens und Filme wie Luna Papa oder die Arbeiten von Dareschan Omirbajew für sich “entdeckte” (und die Filme mit entsprechenden Produktionsgeldern mitfinanzierte). Doch gerade weil das Interesse am filmischen Schaffen aus Kirgisistan oder Tadschikistan wieder abgeflaut zu sein scheint, muss einem Film wie Svet-Ake Aufmerksamkeit zuteil werden. Denn nach wie vor ist die zentrale Frage bei Kubat jene nach einer Identität, nur dass aus dem Jungen aus Beschkempir ein erwachsener Mann geworden ist, der den politischen und wirtschaftlichen Machtverhältnissen nichts entgegenzusetzen hat: Die chinesischen Investoren, die Bekzat ins Dorf bringt, sind natürlich nicht das Übel, sondern die Amoral und Korruption der selbsternannten Elite, welche die neuen Geldgeber hofiert und alte Freundschaften zwischen den Dorfbewohnern untergräbt. Diese Gegend sei nicht dem Untergang geweiht, meint der Bürgermeister zu Bekzat, als dieser von ihm die Abtretung von Baurechten verlangt. Die Jugend würde nach Kasachstan und Russland auswandern, um überleben zu können, weil sie keinen Strom hätten und kein Brot. Aber das Land gehöre ihnen und nicht Bekzat, der es nur geplündert habe. Bei der Nachricht vom Tod des Bürgermeisters bricht Svet-Ake in Tränen aus, über die Todesumstände erfährt man nichts, denn man weiss Bescheid.

Nur wenige Wochen bevor Svet-Ake beim letztjährigen Filmfestival von Cannes seine Premiere feierte, wurde Kirgisistan von politischen Unruhen erschüttert. Nach dem Sturz des autoritären Präsidenten Bakijew, der durch die «Tulpenrevolution» an die Macht gelangt war, kam es im Juni in der südkirgisischen Stadt Osch zu Pogromen gegenüber der usbekischen Minderheit. Vielleicht hätte Aktan Arym Kubat angesichts dessen Svet-Ake nicht mit diesem Bild enden lassen: Eine Kette des selbst gebastelten Windrads löst sich, und eine daran angeschlossene Glühbirne beginnt als einsames Licht in der Nacht zu leuchten. Vielleicht hätte er seinen Film aber den Ereignissen zum Trotz mit diesem Bild beendet.

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Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 1/2011 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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