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Charlotte Rampling – The Look

Text: Doris Senn / 02. Nov. 2011

Im Zentrum dieses einnehmenden Porträts der englischen Schauspielerin Charlotte Rampling stehen neun Stichworte: «SichExponieren», «Alter», «Schönheit», «Resonanz», «Tabu», «Begehren», «Dämonen», «Tod» und «Liebe». In schlichten Settings lässt Angelina Maccarone die heute 65-jährige Stardarstellerin über diese Themen sprechen, ergänzt durch Gespräche mit Personen, die ihr in Freundschaft verbunden sind: mit dem Starfotografen Peter Lindbergh etwa, dem New Yorker Autor Paul Auster oder auch Ramplings ältestem Sohn, Barnaby Southcombe, um nur die spannendsten zu nennen. Mit The Look zeichnet die deutsche Regisseurin ihren ersten Dokumentarfilm nach einer Reihe von erfolgreichen Spielfilmen – Fremde Haut, 2004, mit Jasmin Tabatabai, oder Vivere, 2006, mit Hannelore Elsner – und meistert die Annäherung an diesen grossen Star des Films auf überraschend frische und eigenwillige Art und Weise.

Charlotte Rampling war und ist eine schöne Frau. Und sie ist eine versierte Schauspielerin. Das zeigt sich gleich zu Beginn des Films mit bestrickender Deutlichkeit im Gespräch mit Lindbergh, mit dem Rampling über Schönheit und das Älterwerden diskutiert, über die Position vor und hinter der Kamera – um dann kurzerhand den Fotoapparat in die Hand zu nehmen und ihre Rolle als «Objekt» mit dem kamerascheuen und sich – derart fokussiert – sichtlich unwohl fühlenden Fotografen zu vertauschen. So wird uns gleich unter dem ersten Stichwort, «Exposure», auf sehr anschauliche Art und Weise gezeigt, was es mit den Emotionen, dem Posieren und den (Film-)Bildern so auf sich hat und wie meisterhaft Rampling damit umzugehen vermag.

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Auch wenn nicht alle Dialoge im Film von solcher Eindringlichkeit und nicht alle Monologe Ramplings von ähnlich einnehmender Authentizität sind – was sicher auch der sehr langen Drehzeit von drei Jahren geschuldet ist –, bewegt sich The Look doch über den ganzen Film hinweg in grosser Nähe zur Schauspielerin. Dass sie als Starpersona von einer Aura des Geheimnisses umgeben ist, wie Rampling selbst feststellt, wird nicht zuletzt von ihrer eigenwilligen Filmografie unterstützt: Ihre Bekanntheit verdankt Rampling zuallererst Filmen, die grosse Kontroversen ausgelöst haben. So insbesondere Liliana Cavanis Il portiere di notte (1974) – über die sadomasochistische Beziehung zwischen einem ehemaligen Nazi-
Offizier und einer KZ-Insassin –, Nagisa Oshimas Max, mon amour (1986) – über die Frau eines britischen Diplomaten in Paris, die sich einen Schimpansen zum Liebhaber nimmt – oder Vers le sud (2005) von Laurent Cantet, in dem ältere weisse Touristinnen in Haiti sich junge schwarze Männer für Sex kaufen. Dass Rampling sich um Konventionen nicht schert – gerade auch als ältere Frau und Schauspielerin – zeigt nicht zuletzt die Fotoreihe «Louis XV» von Jürgen Teller (der im Film ebenfalls zu Wort kommt), mit dem sie 2004 gemeinsam in einem provozierenden Bildwerk posierte.

Vermissen mag man in The Look Persönlichkeiten aus der Welt des Films. Nicht zuletzt weil Ramplings Engagement in jüngster Zeit und trotz ihres Alters ausnehmend dicht, ja fast dichter ist als in jungen Jahren: Spielte sie damals unter so bedeutenden Vertretern des Filmschaffens wie Luchino Visconti, John Boorman, Woody Allen oder Sidney Lumet, wurde sie im letzten Jahrzehnt allein von François Ozon in nicht weniger als dreien seiner Filme besetzt (Sous le sable, Swimming Pool und Angel). Und auch für dieses Jahr zählt ihre Filmografie bereits sechs Titel, darunter Lars von Triers Melancholia oder Lech Majewskis The Mill and The Cross. Keiner von diesen allen ist im Film zu sehen.

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Nichtsdestotrotz oder vielleicht gerade deshalb ermöglicht The look einen entschieden anderen, unverbrauchten Zugang zu ihr als Schauspielerin. Und obwohl der Film nur Bruchstücke ihrer Biografie preisgibt, vermag er immer wieder den Schleier über Ramplings Persönlichkeit und Starpersona zu lüften.

Nicht zuletzt besticht The look aber auch durch seine verspielte Form: Nicht nur skizziert die Kamera mit impressionistischen Aufnahmen den Lebensraum von Rampling, sie belässt auch viel Echoraum für deren Äusserungen und Reflexionen, unterlegt durch metafilmische Zeichen und Anspielungen, die sich als roter Faden durch den Film ziehen: Immer wieder wird die Inszenierung per se thematisiert – sei es, dass wir als Zuschauer/innen bei der Einrichtung des Sets mit dabei sind, dass die Regisseurin aus dem Off nachhakt oder dass sich Bilder der Crew in Spiegeln oder Fensterscheiben reflektieren. Angelina Maccarone gibt an, damit die Absicht verbunden zu haben, die fliessenden Grenzen zwischen Person und Schauspielerin, zwischen Dokfilm und Inszenierung hervorzuheben. Besonders eindrücklich in der Szene, als Rampling mit ihrem Sohn, einem erfolgreichen Fernsehregisseur, der soeben einen Film mit seiner Mutter drehte, buchstäblich in den Boxring steigt und ein schauspielerisches Trainings-Warm-up hinlegt. Oder als Rampling die Regisseurin fragt, ob man denn tatsächlich vereinbart hatte, über den Tod zu reden, um das Gespräch dann unvermittelt abzubrechen – Szenen also, die wie umgestülpte «Nähte» das «Fabrikat Film» sichtbar machen. Dass sich diese verschiedenen Elemente und Ebenen schliesslich auch formal zu einem runden Ganzen fügen, macht die Qualität des Films aus – und darf sicher auch mit als Verdienst der mehrfach ausgezeichneten Cutterin Bettina Böhler gewertet werden, mit der Angelina Maccarone bisher alle ihre Filme zusammen drehte.

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Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 7/2011 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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