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The Substance

Text: Kathrin Halter / 02. Nov. 2011

Der Behandlungsraum ist wie ein gemütliches Wohnzimmer eingerichtet. Die Krebspatientin nimmt von der Betreuerin die Pille entgegen, legt sich neben ihr auf die Couch, erhält Kopfhörer und Augenbinde appliziert. So kontrolliert läuft heute ein LSD-Trip ab.

Der Wirkstoff LSD, der über drei Jahrzehnte lang geächtet und verboten war, darf seit einigen Jahren wieder erforscht werden. Zu seiner Rehabilitierung tragen Institute wie die John Hopkins University in Baltimore bei, die Krebspatienten in der Psychotherapie im Rahmen von Forschungsprojekten mit LSD behandeln. Die Substanz, die menschliche Bewusstseinszustände so radikal zu verändern vermag, wirkt auch angstlösend und lindert Depressionen. Und manchmal nimmt sie Todkranken die Angst vor dem Sterben.

Der Zeitpunkt scheint also genau richtig für einen neuen, entspannteren Blick auf die «Wunderdroge». Betont unaufgeregt geht der Zürcher Filmemacher Martin Witz (Dutti der Riese, 2007) an das kontroverse Thema heran; sein Blick auf Rauschzustände ist nüchtern, sein Dokumentarfilm mehr am Vermitteln von Wissen interessiert als an filmischen Experimenten. Vorwiegend chronologisch erzählt Witz die Kulturgeschichte der Substanz von ihrer Entdeckung durch Albert Hofmann im Jahr 1943 bis in die Gegenwart. Der Dokumentarist konnte über fünfzig Archive nutzen und einige der wichtigsten Gesprächspartner zum Thema treffen. Nur für ein Gespräch mit Albert Hofmann war es zu spät; als Witz Hofmann endlich zu einem Interview überreden konnte, starb der Forscher kurz darauf 102-jährig, im April 2008. Im Film kommt er dennoch zu Wort; wach und vollkommen klar erzählt Hofmann von seiner Entdeckung, seiner Angst bei Selbstversuchen und seiner grossen Hoffnung für Forschung und Psychiatrie.

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Die Karriere von LSD begann nämlich dort, wo sie heute wieder angelangt ist: in den Forschungslabors. Bereits in den fünfziger Jahren macht Stanislav Grof in der Prager Psychiatrie klinische LSD-Studien. In der Zeit des Kalten Krieges gerät die Droge dann ins Visier des CIA und anderer Geheimdienste: Teils grausame Versuche an Soldaten sollen einer regelrechten Gehirnwäsche und anderen Formen der Bewusstseinskontrolle dienen. Unter dem – bislang unveröffentlichten – Archivmaterial aus Beständen des U.S. Army Medical Corps hat es allerdings auch überaus komische Aufnahmen von Soldaten, denen eine Exerzierübung unter LSD-Einfluss zum Stolperballett gerät.

Seit Ende der fünfziger Jahre erforscht man in psychiatrischen Kliniken auch den Einfluss von LSD auf Kreativität, worauf bald Künstler und Intellektuelle sich dafür zu interessieren beginnen. Nun geht es nicht mehr um Heilung. Zum Konsumartikel einer Massenbewegung avanciert LSD bekanntlich in der Hippie-Ära der sechziger Jahre, als die «Wunderdroge» als Ausdruck der Gegenkultur gefeiert wird. Aufnahmen von der psychedelischen Bewegung in Haight Ashbury, Auszüge aus Reden von Timothy Leary wider die Konformität und vom «kosmischen Verstehen» unserer Existenz oder ein Besuch von Witz bei Carolyn Garcia von der einstigen Hippie-Gruppe «The Merry Pranksters», die mit einem Schulbus quer durch die USA fuhren und LSD-Happenings veranstalteten, erinnern daran. Fast kurios die Aufnahmen aus dem Privatarchiv von Nick Sand, die den Chemiker bei der Arbeit in seinem Untergrund-Labor zeigen. Sand soll dort über eine Viertelmilliarde Trips hergestellt haben, bevor ihn das FBI nach langer Flucht fasste.

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Symptom für das Ende der Toleranz ist 1970 die (zweite) Verhaftung von Timothy Leary, der von Präsident Nixon zum gefährlichsten Mann Amerikas erklärt wird. Bereits 1966 wird LSD in den USA verboten und in den Untergrund gedrängt; durch die staatlich verordnete Diskreditierung der Droge wird fortan auch die Halluzinogen-Forschung erschwert.

Aber wie steht es um die Gefahren von LSD? Statt dass Martin Witz einen Vortrag darüber halten lässt, deutet er an, vermittelt implizit und setzt auf die Mittel des Films. So sehen wir Aufnahmen von Jimi Hendrix am Monterey Pop Festival während dem Summer of Love 1967 bei seiner berühmten Interpretation von «Wild Thing»: Nicht nur assoziiert man Bilder des früh verstorbenen Musikers mit dem Missbrauch von Drogen; alles an Hendrix’ elektrisierender, erotisch aufgeladener Performance, von der Selbstdarstellung des Entfesselungskünstlers bis zum rituellen In-Brand-Setzen der Gitarre, wirkt überbordend und aufregend gefährlich. Kommentarlos schneidet Witz danach auf Jugendliche während eines Bad Trips: vom Exzess zum Delirium.

Froh ist man auch darüber, dass uns kaum filmisch simulierte Trip-Erfahrungen zugemutet werden. Diese sind meist fast so langweilig und nichtssagend wie Aufnahmen von Berauschten. Besser sind sowieso sprachliche Beschreibungen – zumindest wenn diese von Kompetenten wie dem Zürcher Hirnforscher Franz Xaver Vollenweider stammen: In Anlehnung an Freud spricht Vollenweider etwa von den Glücksgefühlen «ozeanischer Selbstentgrenzung». Albert Hofmann aber, der Chemiker, der sich immer auch als Mystiker verstand, sagt es so: «Verzaubert ist die ganze Welt. (…) Das ist schon das grösste Geschenk des Schöpfers an die Menschen: Dass man ein Bewusstsein hat, dass wir seiner Schöpfung bewusst werden. Dass wir nicht blind durchs Paradies gehen.»

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Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 7/2011 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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