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Fighter 01

The Fighter

Mehr als das korrupte Schaugeschäft sind es die irisch-amerikanischen Quartiere von Lowell, Massachusetts, und ihre Gestalten und Biografien, die The Fighter ausmachen. Von «people and their lives» spricht Martin Scorsese, wenn nach der Substanz gefragt wird, aus der die Filme ihr Bestes beziehen.

Text: Pierre Lachat / 13. Apr. 2011

Es stimmt, da wird professionell geboxt, gewonnen, verloren; Schiebung und Schwindel prägen die Kämpfe, auch Gesten des Jammers und des Triumphes. Nebst anderm ist es die alte Mutmacher-Geschichte von einem, der ganz unten anfangen muss, bei den Prolos in den Vororten von Metro-Boston. Wieder und wieder wird dem Frischling die Fresse poliert, ehe sich Micky aufrafft und in die Meisterklasse durchbeisst und prügelt. «Everybody knows the fight was fixed.» Jetzt darf er’s allen zeigen: ihr habt mich unterschätzt und behindert. Seinen Figuren schreibt halt mancher Szenarist eine Haltung zu, die er aus eigenem kennt; dabei darf er sich beim vorliegenden Stoff getrost auf wahre Begebenheiten berufen.

Indessen könnte das Milieu weit mehr von solchen allzu vertrauten Motiven und Abläufen hergeben, als der Film von David O. Russell dann verwenden mag. Den sogenannten Sport selber lässt die Fabel samt seinen verbreiteten Verlusten und Schäden an Leib und Leben bald einmal auf der Seite, um weiter zu zielen: über jene ausgeleierte Routine hinaus, die einem geborenen Verlierer zuletzt doch noch einen Siegerkranz überstülpen muss.

Mehr als das korrupte Schaugeschäft sind es die irisch-amerikanischen Quartiere von Lowell, Massachusetts, und ihre Gestalten und Biografien, die The Fighter ausmachen. Von «people and their lives» spricht Martin Scorsese, wenn nach der Substanz gefragt wird, aus der die Filme ihr Bestes beziehen. Und immerhin ist sein Raging Bull von 1980 einer der exemplarischen von etlichen Dutzend Titeln zum Themenkreis Stierkampf in Handschuhen. Die spanische Corrida endet in der Regel mit dem Gnadenstoss für den rasenden Bullen. Micky seinerseits überlebt recht und schlecht: zerzaust, aber passabel zufrieden; überfordert, aber knapp auf der Höhe; neben den Schuhen, aber ohne Alternative.

Fighter 04

Wo Jake, der Held von Raging Bull, gerade auch die eigene Einsamkeit gegen sich hatte, da bekommt es Micky mit dem umgekehrten Extrem zu tun. Zu viele Freunde und Verwandte umlagern ihn, die nie geboxt haben oder es nie wieder tun werden; und sie schieben ihn vor: los, zwischen die Seile mit dir. Du tust es für und dank uns; wir sagen und zeigen dir, wie das geht; wir kennen uns aus. Keine Widerrede, sei jetzt tapfer. Gewinnst du, dann darfst du an unserm Sieg teilhaben. Jedes Versagen fällt auf dich und nur dich zurück; du hättest uns dann absichtlich enttäuscht.

The Fighter will aber keineswegs demonstrieren, wie sich Micky erst aus würgenden Fesseln freimachen muss, um seine eigene Courage aufzurufen statt den Gratismut der Maulhelden zu reflektieren, die sich links und rechts einmischen. Es kommt vielmehr zum Vorschein, dass er den entnervenden Belastungen seitens seiner Nächsten nur darum stand hält, weil ihm nichts Besseres bekannt ist. Wenn ihm jemand übel will, glaubt er, dann können es nur die da draussen sein: die Manager, die Veranstalter, die Krakeeler, die Kommentatoren. Hierin wohl sehr irisch-katholisch, ist und bleibt er im Dunstkreis der Lieben mit ihren durchaus missverständlichen Absichten eingebettet und wähnt sich dort daheim.

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Da sind zuvorderst die Verfolgerinnen, die ihm fast immer in schwesterlich verstärkter Formation entgegentreten und von einer vorlauten mama dominiert werden. Ihren Sprössling behandelt Alice so, als wäre Micky ein klassisches manipulierbares Muttersöhnchen. Folglich gilt ihre Hauptsorge der Konkurrenz durch eine hübsche Schubse von der Bar zwei Blocks weiter; anders als die verschworenen Frauenzimmer, die ihn mit Tritten zum Training treiben, versucht die willige Charlene, Micky schlicht eine Begleiterin zu sein. So könne nur eine erwiesene skank oder Schlampe handeln, dekretiert die Wort-führerin des Haufens. Der Chor der Evastöchter stimmt wie jedesmal Alice, der Dirigentin, zu.

Der wahre Exponent der Familienbande aber ist auch das früheste Opfer ihres dauerhaften Gruppenwahns. Dicky klammert sich an einen verblassenden Ruf, der auf ein paar eigene Jahre im Ring zurückgeht. Den gefeierten Champion Sugar Ray Leonard soll der Erstgeborene einmal bis auf den Teppich hinuntergedroschen haben: einen Schwarzen, merken die Leute von Lowell, Massachusetts, halblaut an, mit einem Anflug von despektierlicher Genugtuung.

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Von einer Rückkehr auf die Bretter kann der einstige Stolz der Stadt nur schwadronieren, seine Laufbahn ist zu Ende. Unterdessen ist Dicky besser bekannt für allerhand Prügeleien und eine unverhohlene Neigung zum Crack; es sind Eigenheiten, die ihn als gelinde gesagt gestört erscheinen lassen und wiederholt hinter Gitter spedieren. Alle lässlichen Illusionen des grossen Bruders aber überragt eine andere: er will dem kleinen immer ein Vorbild gewesen sein. Zum Dank nun habe der Zweitgeborene, nebenbei gesagt ein Leichtgewicht, dem öfter ein paar Pfunde auf der Waage abgehen, mindestens vorübergehend die Stelle des Älteren einzunehmen.

Micky, der kleine Bruder, muss verwirklichen, heisst das, was seinem Vorgänger und Vorbild zu erreichen verwehrt war. Und wenn eine Wendung der Dinge in The Fighter zu packen weiss, dann ist es die unbefangene brüderliche Bereitschaft, auf ein so vermessenes Ansinnen einzutreten. Denn um der neue Stolz von Lowell, Massachusetts, zu werden, gilt es, statt das Maul aufzureissen den Kopf hinzuhalten. Jeder andere, und wär’s der grosse Bruder selbst, zöge ihn ein. «That’s how it goes», singt Leonard Cohen. «Everybody knows.»

Fighter 02

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 3/2011 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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