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Pina

Wim Wenders wollte schon in den 80er Jahren einen Film mit der Choreographin und Tänzerin Pina Bausch realisieren, fand aber erst mit dem 3‑D-Verfahren die Möglichkeit einer adäquaten Umsetzung. Mit dem Tod der Künstlerin wurde sein Film zum Epitaph einer Figur des zeitgenössischen Kunstschaffens, das im Cross-Over der Künste die Zukunft einer ästhetischen Bewältigung der Lebenszeit sieht.

Text: Erwin Schaar / 13. Apr. 2011

Der Westend-Blues von Louis Satchmo Armstrong treibt die Tänzer in einer gebärdenreichen Polonaise durch Räume und Landschaften. Die Handbewegungen stehen für die Jahreszeiten, und die Musik aus New Orleans unterstreicht die fröhliche Begeisterung, sich des Lebens zu bemächtigen – und wenn es nur durch einfache tänzerische Bewegungen wäre oder gerade durch sie. Der von dem visuell beeindruckenden Lutz Förster angeführte Schreittanz gilt aber auch der Erinnerung an eine einzigartige Künstlerin.

Pina Bausch, die Initiatorin und kreative Mitte des Wuppertaler Tanztheaters, ist am 30. Juni 2009 gestorben. Wim Wenders, der schon Mitte der achtziger Jahre einen Film mit ihr realisieren wollte, hatte Anfang 2009 begonnen, zusammen mit Pina die Produktion vorzubereiten, nachdem er mit dem 3-D-Verfahren die Möglichkeit einer adäquaten Umsetzung gefunden zu haben glaubte: «Nur so, unter Einbeziehung der Dimension des Raumes, könnte ich mir zutrauen, Pinas Tanztheater in einer angemessenen Form auf die Leinwand zu bringen.» Mit dem Tod der Choreographin und Tänzerin wurde der Film zum Epitaph einer Figur des zeitgenössischen Kunstschaffens, das im Cross-Over der Künste die Zukunft einer ästhetischen Bewältigung der Lebenszeit sieht.

Man sagt, dass die Filmmusik die beste wäre, die man als Zuseher im Eintauchen in die Handlung des Films nicht mehr bewusst wahrnimmt. Und man könnte behaupten, dass die Kameraarbeit die beste wäre, deren Bewegungen und Aufnahmestandpunkte nicht zu Reflexionen reizen, weil die Bildinhalte emotional gefangen nehmen.

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Somit wäre Wenders’ Stereograph Alain Derobe immerhin gelungen, dass wir in das Geschehen hineingesogen werden und uns dessen Ausdruck unmittelbar berührt. Die Tiefe des Raums zu vermitteln, machte es notwendig, nahe an den Tänzern zu bleiben. «Normalerweise würde man bei einem Tanzfilm die Kameras vor der Bühne aufbauen, weit weg vom Bühnengeschehen. Für Pina installierten wir die Kameras zwischen den Tänzern. Die Kamera soll regelrecht mit den Tänzern tanzen. Deshalb musste sich jedes Crew-Mitglied mit der Choreographie beschäftigen. Jeder musste genau wissen, wohin sich die Tänzer bewegen, damit die Kamera ihnen folgen konnte.» (Derobe) Trotzdem hat der 3-D-Effekt manchmal eine Wirkung, als ob gestanzte Bilder hintereinander gestaffelt wären. Vielleicht ist im Zusammenhang mit modisch diskutierten Techniken überlegenswert, was Herbert Marcuse einmal über die Permanenz der Kunst geschrieben hat: «Die Utopie, die in der grossen Kunst zur Erscheinung kommt, ist niemals die blosse Negation des Realitätsprinzips, sondern seine Aufhebung, in der noch sein Schatten auf das Glück fällt. Die echte Utopie hat ihren Boden in der Erinnerung.» Es kann nicht das Ziel der filmischen Präsentation von Bauschs Kunst sein, dass die Dynamik der Aufnahmen «dem Zuschauer das Gefühl geben, mit den Tänzern auf der Bühne zu stehen», wie es Wenders’ 3-D-Producer Erwin M. Schmidt postuliert hat.

Neben Johann Kresnik zum Beispiel war Pina Bausch die wohl bekannteste Vertreterin des Tanztheaters mit Elementen wie Pantomime, Artistik, Schauspiel, bildender Kunst, Revue. Wobei Bausch als die Begründerin dieser Kunstform gilt. Ihre ästhetischen Ausformungen hatten immer das soziale Element, das Zwischenmenschliche im Mittelpunkt, im Gegensatz zu Kresnik, dessen Schöpfungen meist dem politischen Kampf galten.

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Bauschs Gespür für die Darstellung von individuellen Gefühlen mit Choreographien, die alle Register des künstlerischen Ausdrucks zogen, mag die Emotionen der Zuseher besonders intensiv getroffen haben, wobei ihre ersten Versuche des Überschreitens der Grenzen des reinen Balletts in den siebziger Jahren bei Traditionalisten Beschimpfungen und Aggressionen auslösten. Dagegen erinnert sich Wim Wenders an Augenblicke der Rührung, die ihn angesichts des Zusammenspiels der künstlerischen Ausdrucksformen ergriffen hatten bis zum Weinen.

Pina Bausch war ein Kind des Bergischen Landes, wo sie 1940 in Solingen geboren wurde und im angrenzenden Ruhrgebiet an der Essener Folkwangschule Tanz studierte. Nach dreijährigem Aufenthalt in den USA kehrte sie nach Essen zurück, wo sie bald auch die Tanzabteilung der Folkwangschule betreute, bis sie das Tanztheater Wuppertal übernahm, das zum Tanztheater Pina Bausch wurde. Wenders hat diese Verbundenheit mit der Heimat in den Bildern und Sequenzen mit der Wuppertaler Schwebebahn zum Ausdruck gebracht. Dieses Gleiten durch die Stadtlandschaft scheint wie eine Aufforderung an den tänzerisch Begabten, diese Bewegung aufzunehmen, mit dem eigenen Körper weiterzuführen. Beeindruckend die stilisierten Bewegungen vor einer hoch geschwungenen Eisenbahnbrücke, die in einer sonst lieblichen Waldlandschaft eine Kraft der Technik ausdrückt und einen Spannungsbogen zwischen Statik und ästhetisierten Bewegungen schafft.

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Neben den aufwendigen Bühneninszenierungen hat Wenders Choreographien der Bausch und Schöpfungen einzelner Tänzer in Bauschs näheren und weiteren Heimat verortet: Solos und Pas de deux auf Fussgängerinseln zwischen Wuppertaler Strassen, vor dem zum Weltkulturerbe verfestigten Revier des Zollvereins, im Kubus der japanischen Architekturgruppe Sanaa in Essen, im Schwimmbad oder in Tony Craggs Skulpturengarten, in dem eine Tänzerin mit einem Laubbläser unterwegs ist.

Vier grosse Inszenierungen wurden im Film übernommen. Vier Choreographien, entwickelt von 1975 bis 2008: «Sacre du printemps», «Kontakthof», «Café Müller» und «Vollmond». Dazwischen stellen sich einzelne Mitglieder der Companie aus aller Herren Ländern mit Würdigung für Pina vor, die gar manches mal in demütige Verehrungen abtriften, als ob diesem Ensemble auch etwas Sektiererisches innegewohnt hätte. Möglich, dass diese Lobpreisungen die Angst vor einer Zukunft ohne die prägende Gestalterin, ohne die Autorität des Genies Pina ausdrücken.

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Alle vier vorgestellten Choreographien wurden noch gemeinsam von Bausch und Wenders ausgesucht und auf den Spielplan 2009 / 2010 gesetzt, um die filmische Präsentation perfekt zu gestalten. Somit wurde eine Werk-Dokumentation geschaffen, die auch die originale “Handschrift” Bauschs noch einbeziehen konnte.

Den wenigen Erinnerungsbildern und Tondokumenten Pinas wohnt etwas Strenges und Herbes inne, und Pinas Autorität mag für manche Tänzer auch angstvoll erlebt worden sein. Sie war eine autarke Figur mit sehr persönlichen Entscheidungen: «Eher ist es so, dass ich, was ich suche, mit den Worten in Ruhe lassen und doch mit viel Geduld zum Vorschein bringen muss. Wenn dann ein kleiner Moment gefunden ist, dann weiss ich, dass es zu dem gehört, was ich suche. Dann freue ich mich, aber ich spreche nicht darüber. Auch die Tänzer wissen nicht, was ich suche oder besonders finde.»

Wim Wenders hat bei der Verleihung des Goethe-Preises der Stadt Frankfurt am Main 2008 in seiner Würdigung betont, «erst durch Pinas Tanztheater habe ich auf Bewegungen, Gesten, Haltungen, Gebärden, Körpersprache achten gelernt. Oft wie vom Donner gerührt das Einfachste und Selbstverständlichste neu als das Bewegendste überhaupt zu sehen gelernt.» Vielleicht ist es das, was an der Kunst der Bausch uns so anrührt oder angerührt hat, in der Ausstellung der einfachen Haltungen und Bewegungen uns selbst zu erkennen.

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Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 3/2011 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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