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Into Eternity

Michael Madsens Into Eternity ist ein Dokumentarfilm über Onkalo, ein riesiges Atommüllendlager-Projekt in der finnischen Taiga. Es ist aber auch eine Meditation über Zeit, über die prekäre Position und die Hybris des Menschen angesichts der unvorstellbaren Zeiträume.

Text: Josef Stutzer / 18. Mai 2011

Eine farbentsättigte Aufnahme von Strommasten in karger Landschaft. Eine langsame Fahrt auf einer abwärts führenden Strasse auf einen Stollen zu. Der Titel: Into Eternity: A Film for the Future. Eine gemächliche Fahrt in den Stollen, ins Dunkle, auf schwarzes Gestein. Eine zögerliche Stimme setzt ein: «I would say that you are now on a place where we have buried something from you to protect you. And we need you to know that this is not a place for you to live in.»

So beginnt Michael Madsen seinen Dokumentarfilm über Onkalo – finnisch für Versteck –, ein Projekt in der finnischen Taiga für ein riesiges Atommüllendlager. Hier wird aktuell und bis ins zweiundzwanzigste Jahrhundert im finnischen Fels an einer riesigen unterirdischen Stollenanlage gebaut, um nuklearen Abfall endgültig zu entsorgen. Zum Schluss soll das Ganze mit einer Betonschicht versiegelt werden, für mindestens 100 000 Jahre, denn so lange beträgt die radioaktive Nachbrenndauer des Materials.

Madsen findet aussergewöhnliche Formen, um das Thema von brennender Aktualität auszuloten. Als erstes fallen die ruhigen Fahrten auf, die austarierten Kadrierungen, das geruhsame Tempo. Dann die ungewöhnlichen Bildfindungen: ein Ren zwischen drei Birkenstämmen, es bewegt sich langsam und wird von einem Stamm quasi “verschluckt”; der Sprengmeister im leuchtend gelben Overall im tiefen Schwarz des Gesteins; eine Fahrt entlang den gelben Mittelstreifen einer Strasse, David Lynchs lost highway evozierend; abstrakte schematische Animationen vom Tunnelprojekt treffen auf farbsatte Aufnahmen von Bohrmaschinen im schwarzen Gestein. Die Musik – von Kraftwerk bis Sibelius – akzentuiert und kommentiert mal ironisch mal melancholisch einzelne Sequenzen.

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Fachleute – Ingenieure, Sicherheitsexperten, Verantwortliche des Projekts, eine Nuklearmedizinerin, ein Theologe, ein Jurist – geben Auskunft, unaufgeregt, ohne jede Polemik, in aller Offenheit und im Wissen um alle Vorläufigkeit ihrer Einschätzungen und Argumentationen. Sie werden nicht platt abgefilmt, sondern sorgfältig ins Licht und via Schnitt miteinander ins Gespräch gesetzt. Immer tiefer führen die Fragen: Was geschieht mit den geschätzten 20 000 Tonnen Atommüll? Was heisst das für die Umwelt? Was heisst Sicherheit? Was passiert in 50, in 100 Jahren? Wie warnt man die Menschen in 10 000, in 100 000 Jahren vor einem Endlager? Mit welchen Mitteln? In welchen Sprachen? Mit Warntafeln oder Legenden? Was können wir wissen von unseren Nachfahren? Werden sie diese Bunker gar als religiöse Kultstätten, als Grabmäler oder als Schatzhäuser interpretieren? Oder soll man auf das Vergessen setzen? Die nüchternste Antwort lautet: «I have to say – that the quick answer is – nobody knows anything at all.»

Nicht zuletzt ist Into Eternity aber implizit auch eine Meditation über Zeit, über die prekäre Position und die Hybris des Menschen angesichts der unvorstellbaren Zeiträume. Madsen adressiert aus dem Dunkel eines Stollens heraus immer mal wieder ein imaginäres Du, den Zuschauer? einen Nachfahren? Am Ende animiert er die Experten dazu, sich direkt an die Person zu richten, die in der fernen Zukunft auf Onkalo stösst. Es schliesst sich ein Kreis, der Dialog zwischen uns und einer Zukunft, über die wir nichts wissen und der wir diese immerwährende Hinterlassenschaft überantworten, bleibt offen. Im Schlussbild überlagert sich das Jetzt und eine imaginäre Zukunft: in einem Stollen wie auf einer Bühne öffnen Arbeiter in Zeitlupe einen riesigen Vorhang und treten hindurch in eine flimmernde kobaltblaue Unendlichkeit.

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Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 4/2011 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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