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Mit dem Bauch durch die Wand

Sandra ist dabei, sich von ihrem grossen, runden Bauch einen Gipsabdruck nehmen zu lassen. Mit diesen Bildern steigt Anka Schmid in ihren Dokumentarfilm ein, der dreieinhalb Lebensjahre von drei Teenager-Müttern aufzeichnet.

Text: Sandra Schweizer Csillany / 18. Mai 2011

Sandra ist dabei, sich von ihrem grossen, runden Bauch einen Gipsabdruck nehmen zu lassen. Sie sagt: «Ich bin eigentlich gerne schwanger.» Mit dieser Szene steigt Anka Schmid in ihren Dokumentarfilm Mit dem Bauch durch die Wand ein. So selbstverständlich dieser Satz aus dem Mund manch junger Frau klänge – bei Sandra lässt er aufhorchen. Denn sie ist siebzehn, ihr Freund Marcel achtzehn. Es liegt auf der Hand: Die beiden zeichnen nicht gerade an einem gängigen Lebensentwurf. Sandra meint zu spüren, dass hinter ihrem Rücken getuschelt und sie scheel angesehen wird. Echt krass findet sie das. Schmid unterlegt ihrer neuen Arbeit trotzdem von Anfang an eine positive Grundhaltung. Die Regisseurin nennt die von ihr begleiteten Jugendlichen im Pressetext «wagemutig»: «Sie überzeugten mich, einen Film zu machen, der ganz bewusst den Lebensmut ins Zentrum setzt.» Und einen, in dem es um eine existentielle Herausforderung geht: «Nämlich um den Mut, ein Kind auf die Welt zu bringen.»

Mit dem Bauch durch die Wand zeichnet dreieinhalb Lebensjahre von drei Teenager-Müttern auf. Die Väter, auch sie zum Zeitpunkt der Geburt der Babies alle unter zwanzig, kommen in den Geschichten soweit vor, als sie sich eben zeigen.

Im Fall von Sandra und Marcel, dem ersten der drei Paare, zeigt sich der Kindsvater oft. Er ist der einzige der jungen Männer, der von Anfang an für seine Familie einsteht. Nach der Geburt von Jason sichert er den Lebensunterhalt der Familie. Die beiden werden im Laufe der Langzeitdokumentation ihre Lehren abschliessen, sich zu einer Heirat entschliessen und noch ein zweites Kind bekommen.

Jennifer und Mwathi hingegen haben sich kurz nach der Geburt von Tochter Tanijsha getrennt. Während Jennifer sich von der «Rotzgöre», als die sie sich selber im Rückblick bezeichnet, zur Mutter entwickelt, besucht Vater Mwathi seine Tochter Tanijsha – oder eben auch nicht.

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Gerade so, wie er es packt, zwischen Joblosigkeit und dem Traum einer Existenz als Rapper. Am Schluss absolviert der junge Mann ein Berufsfindungsschuljahr und macht Musik mit seiner Band «States of Lyrics». Er sieht seine Tochter öfter als auch schon und sagt: «Ich muss jetzt etwas aus meinem Leben machen. Für meine Tochter. Und vielleicht merke ich dann auch, dass ich es auch für mich gemacht habe.»

Jasmine schliesslich lebt mit dem zehnmonatigen Armando in einer Sozialwohnung. Die Bilder zeigen die Achtzehnjährige meist mit Leuten aus ihrer Clique. Irgendwer ist immer da. Freund Roman, fünfzehn Jahre, ist allerdings weg. Das Paar hat sich kurz vor den Dreharbeiten getrennt. Im Film zeigt sich Jasmine als Teenager mit Problemen und ohne familiäres Umfeld. Armando wird unter der Woche in einem Kinderheim betreut. Jasmine schlägt sich mit verschiedenen Jobs durch. Sie, die Mitte des Films eher skeptisch in Bezug auf eine neue Beziehung war, findet einen neuen Freund. Roman schliesslich anerkennt die Vaterschaft und unterzeichnet einen Vaterschaftsvertrag.

Anka Schmid beschwört kein Drama um die von ihr begleiteten jungen Eltern herauf, sondern stellt die Energie und den Mut der Protagonisten ins Zentrum. Dennoch verschweigt sie die Probleme nicht. Etwa dann, wenn Jasmine ihren kleinen Sohn in einer der komischsten Szenen des Films zur Basler Fasnacht in ein Maikäferkostüm steckt. Armando kann der geplanten Gaudi aber gar nichts abgewinnen und schreit in seinem Kinderbettchen wie am Spiess. Die Grossaufnahme hält ein ganzes Kinderunglück fest: Tränen verschmieren die Schminke auf Armandos Wangen, während die Maikäferfühler lustig auf und ab wippen. Mutter Jasmine verliert zunehmend die Nerven. «Wenn du nicht sofort aufhörst, dann ziehe ich dir das Kostüm aus und lasse dich den ganzen Tag im Bett.» Sie stützt die Arme in die Hüften und setzt noch eins drauf: «Dann gibt’s eins auf den Hintern.»

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Authentizität ist meist das Ziel einer Dokumentararbeit. Bei Anka Schmid ist das nicht anders. Einen Grossteil des Drehs habe sie bewusst alleine verwirklicht, merkt sie an. So sei es ihr möglich gewesen, «in intimen Situationen kaum störend» zu wirken. Und wirklich findet die Regisseurin die richtige Mischung aus Distanz und Nähe. Sie ist bei unspektakulären und doch wichtigen Dingen wie dem Gang aufs Sozialamt dabei, beobachtet, was passiert, wenn der heisserwartete Vater beim Geburtstag seiner Tochter nicht auftaucht.

Wäre Mit dem Bauch durch die Wand in den siebziger Jahren überhaupt gedreht worden? Damals war es nicht unüblich, dass junge Mädchen Mütter wurden. Heutzutage hingegen gibt es eine einigermassen rigide Vorstellung darüber, wann Paare idealerweise ihre Kinder kriegen. Dabei zeigt uns Mit dem Bauch durch die Wand – das ist vielleicht das Schönste am Film –, dass es eben keine Regeln fürs Kinderkriegen gibt. Nähme man drei Paare Mitte dreissig, die ein Baby erwarteten – man könnte leicht eines finden, das wie füreinander geschaffen wäre. Aber auch eines, das von Anfang an Schiffbruch erleidet, und eines, das es vielleicht schaffen würde, sich zusammenzuraufen. Die Probleme der “Jungen” scheinen manchmal nicht allzu weit von denen entfernt zu liegen, die ältere Eltern haben. Die jungen Mütter sind zwar jung, empfinden sich aber offenbar kaum als jene exotischen Tiere, als die sie die heutige Gesellschaft wahrnimmt. Jennifer sagt: «Ich glaube, Tanijsha ist gerade zum richtigen Zeitpunkt gekommen. Sie war wahrscheinlich meine Rettung.»

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Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 4/2011 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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