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Tinguely 04

Tinguely

Es gehe dem Film «weder darum, einen Künstler zu verherrlichen, noch ihn posthum zu desavouieren», liessen die Macher verlauten. Am Ende aber reicht Tinguely dann doch kaum über eine fundierte Hommage an den vor zwanzig Jahren verstorbenen Künstler hinaus.

Text: Stefan Volk / 18. Mai 2011

Am 30. August sind zwanzig Jahre vergangen, seit im Berner Inselspital ein bewegtes und im Wortsinne bewegendes Künstlerleben sein Ende fand. Der Zürcher Filmemacher Thomas Thümena nahm den zwanzigsten Todestag Jean Tinguelys zum Anlass, eine Dokumentation über den legendären Schweizer Künstler zu … – «drehen» wäre hier der falsche Begriff, also: zu erstellen. Ein Grossteil des Films basiert auf Archivmaterial, zahlreichen, akribisch zusammengetragenen Fernsehmitschnitten, die – überwiegend chronologisch geordnet – den Werdegang Tinguelys ebenso nachvollziehen wie seine Rezeption in der Öffentlichkeit; und deren Wandel. Gedreht hat Thümena zwar auch, allerdings kennzeichnen seine Interviews eine Reglosigkeit, die dem Wesen Tinguelys, wie es der Film postuliert, völlig widerspricht. Eine starre Kamera fotografiert da einen Mann, der im Sessel sitzt und sich an Tinguelys Rastlosigkeit erinnert. Formal greift Tinguely das Grundprinzip des künstlerischen Schaffens jenes Mannes also nicht auf, der internationale Berühmtheit erlangte, indem er aus Schrottteilen groteske Bewegungsapparate zusammenzimmerte – industriell nutzlose Maschinen. Ein wenig bieder wirkt Thümenas Dokumentarfilm dadurch, andererseits bewahrt er sich einen wohltuend unaufgeregten Tonfall und eine sachliche Distanz, aus der heraus auch eine kritische Würdigung des Künstlers möglich wird.

Tatsächlich hakt der Film die Lebensstationen Tinguelys, der 1925 in Fribourg geboren wurde, in Basel aufwuchs, aber erst in Paris seine künstlerische Heimat fand, nicht nur ab, sondern lässt in Gesprächen mit Weggefährten wie dem Künstlerkollegen Daniel Spoerri, Kurator Guido Magnaguagno oder Bloum Cardenas, der Enkelin von Tinguelys zweiter Ehefrau Niki de Saint Phalle, auch Raum für differenziertere Auseinandersetzungen. Leider aber finden die nur selten einmal statt. Zwar sammelt der Film schmunzelnd vorgetragene Anekdoten, die unterstreichen sollen, dass Tinguely nicht nur als Künstler, sondern auch in seinem Privatleben Grenzen überschritt, unbändig, ungestüm, rücksichtslos gegen sich selbst und andere.

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Derartige Einwürfe münden aber stets in ein nonchalant schulterzuckendes «Ja, so sind sie halt, die Künstler» und führen nicht weiter.

Es ginge dem Film «weder darum, einen Künstler zu verherrlichen, noch ihn posthum zu desavouieren», ist im Presseheft nachzulesen. Am Ende aber reicht Tinguely dann doch kaum über eine fundierte Hommage hinaus. Man erfährt, dass Tinguely ein leidenschaftlicher Anhänger des Motorsports war, auch selber gerne schnell fuhr, oder auch, dass er seine Frauen liebte, obwohl er mit anderen schlief, und dass er davon überzeugt war, dass die Liebe zu Niki de Saint Phalle ihm das Leben rettete, als er nach einer Herzoperation dem Tode nahe war. Dem Menschen hinter der Fassade kommt man mit solchen nostalgischen Reminiszenzen aber nur zaghaft näher.

Auch die Auseinandersetzung mit Tinguelys Kunstschaffen geht, trotz des mit angenehmer Stimme erläuternden Off-Kommentars, kaum in die Tiefe. Deutlich wird immerhin, dass Tinguely viel mehr war als bloss ein Brunnenbauer; und vor allem etwas ganz anderes sein wollte. Wirklich kritisch beleuchtet wird jedoch eigentlich nur die Rolle der Schweiz, die ihn erst spät für sich entdeckte und vereinnahmte, als er im Ausland längst Weltruhm erlangt hatte. «Diebe sperrt man ins Gefängnis, Künstler ins Museum», hat Tinguely einmal gesagt. Thümena gelingt es nicht, diese Schranken aufzubrechen. Vielmehr inszeniert er mit Tinguely eine Art Ausstellungskatalog in Bewegtbildern, immerhin aber einen ausgesprochen umfassenden, sorgfältig recherchierten und kenntnisreichen.

Tinguely 02

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 4/2011 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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