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The Guard

The Guard ist der bislang ungewöhnlichste Genrefilm dieses Kinojahres, frech, energiegeladen, unterhaltsam. Das liegt vor allem an den konzis geschriebenen, lakonischen Dialogen, die vor allem nationale Identitäten und Institutionen aufs Korn nehmen.

Text: Michael Ranze / 21. Sep. 2011

Gerry Boyle ist Polizist. Doch nicht irgendeiner: Er ist ruppig, zynisch, abgebrüht, hemdsärmelig, plump, vulgär und, als Ire, selbstverständlich ein grosser Dickkopf. Er hat eine Vorliebe für Prostituierte und kümmert sich trotzdem liebevoll um seine sterbende Mutter. Er hat in seinem Alter schon so einiges hinter sich, und darum kann ihn nichts mehr schrecken. Er stösst mit seinem eigenartigen Sinn für Humor alle und jeden vor den Kopf und trägt gelassen die Folgen. «Wie bei den meisten Zynikern steckt irgendwo in ihm ein Idealist», sagt Titeldarsteller Brendan Gleeson über die Figur, die er mit Verve und Ironie verkörpert. Ein Idealist? Ja, und vielleicht ist dies sogar Boyles markantester Charakterzug: Er folgt einem selbst auferlegten Ehrenkodex, der es ihm zwar erlaubt, tödlich verunglückten Jugendlichen (in der kuriosen Eingangssequenz, einer Fast and Furious-Paraphrase, die mit dem Rest des Films nichts zu tun hat) die Brieftasche abzunehmen. Doch nie und nimmer würde er sich von Gangstern bestechen lassen. Damit ist der dramatische Konflikt vorgegeben.

Wir befinden uns in einem kleinen Nest an der irischen Westküste, in Connemara. Die raue, gleichwohl atemberaubend schöne Landschaft und das häufige Regenwetter prägen mit ihrer Melancholie die Atmosphäre des Films. Es ist sicher kein Zufall, dass Brendan Gleeson an einem anderen viel zu schönen Ort, nämlich in Martin McDonaghs §In bruges, also in Brügge, seinem Schicksal nicht entkommen konnte: Manchmal lässt sich Schönheit nur schwer ertragen. Die Handlung kommt in Gang, als Gerry Boyle und sein neuer Partner, der junge und übereifrige Aidan McBride, eine Leiche in einer Ferienwohnung finden. Boyle hat, im Gegensatz zum ehrgeizigen Kollegen, eigentlich keine Lust auf Ermittlungen. Doch irgendwie geht es um einen transatlantischen Drogentransport im Wert von 500 Millionen Dollar – ein Verbrechen, das sich nicht mehr ignorieren lässt. Und dann kommt er: FBI-Agent Wendell Everett.

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Er ist das genaue Gegenteil von Boyle: sauber, aufrecht, hochprofessionell, gebildet, kultiviert, ein wenig steif und humorlos, immer adrett mit dunklem Anzug und korrekt gebundener Krawatte. Aber: Er ist schwarz, ein Umstand, der im Folgenden zu einigen politisch unkorrekten, aber ungemein lustigen Wortgefechten führen wird. «Ich bin Ire, Sir, Rassismus ist Teil meiner Kultur», teilt Boyle dem entgeisterten Everett mit, und doch kriegt es Gleeson, «in a crusty jewel of a performance», wie das Branchenblatt «Variety» anerkennend bemerkte, immer wieder hin, dass man seiner Figur nicht böse sein kann.

Mit einem Mal sind wir mitten drin in einer Culture-Clash-Komödie, in der unterschiedliche Werte und Lebenshaltungen, noch verstärkt durch den Gegensatz zwischen Agent und Polizist sowie Grossstadt und Provinz, vehement aufeinanderprallen und für dramatische Spannung, aber auch ruppige, lakonische Komik sorgen. Dabei bedient sich Regisseur und Drehbuchautor John Michael McDonagh, Bruder des bereits erwähnten Martin McDonagh, auch der Motive und Versatzstücke des Buddy Movie, wie sie seit Walter Hills 48 Hours von 1982 so oft durchdekliniert wurden: Zwei höchst unterschiedliche Charaktere müssen sich nach anfänglicher Antipathie zusammenraufen, um am selben Strick zu ziehen. Die Drogendealer haben nämlich bereits damit begonnen, Boyles Vorgesetzte zu schmieren, er selbst soll auch klein beigeben – gegen Bares. Zu allem Überfluss versucht ihn auch noch eine Prostituierte zu erpressen. Jetzt ist es endlich Zeit, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Dass ihm dabei ausgerechnet ein schwarzer FBI-Agent helfen würde, hätte der dickköpfige Ire sich wohl nie träumen lassen.

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McDonagh hat seinen Film selbst als Western bezeichnet und beruft sich auf John Ford. Eine Koketterie, die vielleicht zu weit weg führt. Und doch hat Boyle Züge eines einsamen, aufrechten Mannes des Gesetzes, der mit Hilfe eines Aussenseiters gegen übermächtige Gegner angeht und für Recht und Ordnung sorgt. Wenn er am Schluss, in einer bemerkenswerten Actionsequenz, ein wahres Feuerwerk abbrennt, muss man für einen Moment daran denken, wie Clint Eastwood in Pale Rider seinen Widersachern mit Dynamit-Stangen zuleibe rückte. Natürlich ist der auf sich gestellte, unbeirrbare Polizist auch ein stetes Motiv des US-Thrillers der siebziger Jahre, von French Connection bis Serpico. McDonagh sind diese Bezüge aber gar nicht so wichtig, zumal es hier nicht um die Abbildung sozialer Wirklichkeit geht. Dafür sind die Gangster zu cool, das Verbrechen zu gigantisch, der Showdown zu spektakulär. Auch der Kriminalfall scheint den Regisseur nur wenig interessiert zu haben. So sind die Bösewichter von Beginn an bekannt, es geht nur noch darum, ihnen das Handwerk zu legen.

The Guard ist der bislang ungewöhnlichste Genrefilm dieses Kinojahres, frech, energiegeladen, unterhaltsam. Das liegt vor allem an den konzis geschriebenen, lakonischen Dialogen, die vor allem nationale Identitäten und Institutionen aufs Korn nehmen. Die Kamera von Larry Smith überzeugt in den Innenräumen durch kräftige, leuchtende Farben, die Landschaft Connemaras hingegen behält in den Breitwandbildern ihre graue, unverstellte und unwirtliche Schönheit.

Am Schluss überkommt den Zuschauer so etwas wie Bedauern. Die ganze Zeit über stand Boyle im Zentrum der Erzählung, sein schillernder Charakter, seine widersprüchlichen Beziehungen zu anderen. Er ist eine Hommage an jene harten, irischen Männer der Arbeiterklasse, die sich nichts gefallen lassen. Doch Männer wie Boyle gibt es nicht mehr.

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Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 6/2011 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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