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Le chat du rabbin

In Frankreich ist der vierzigjährige Comiczeichner Joann Sfar eine Koryphäe, sein Œuvre ist beträchtlich. Nun wagte er sich, nachdem er bis anhin alle Angebote für eine Verfilmung seiner erfolgreichen, mittlerweile fünfteiligen «Le Chat du Rabbin»Serie abgelehnt hatte, selbst an das Projekt und realisierte seinen ersten Animationsfilm.

Text: Doris Senn / 21. Sep. 2011

In Frankreich ist Joann Sfar eine Koryphäe. Das Œuvre des erst vierzigjährigen Comiczeichners, der Philosophie und Kunst studiert hat, ist beträchtlich – und bereits vor zehn Jahren verlieh ihm die Stadt Angoulême, wo alljährlich das grösste Comicfestival Europas stattfindet, einen Preis für sein Lebenswerk! Joann Sfar zeichnet für Kinder und Erwachsene mit oft skizzenhaftem Strich und flächigen Kolorierungen. Zu seinen Erzählungen gehören sowohl die Abenteuer eigener Figuren – «Le Chat du Rabbin» oder «Socrate le demichien» etwa – als auch die Umsetzungen von literarischen Werken («Le Petit Prince», Voltaires «Candide») oder historische Biografien («Chagall en Russie»).

Nun wagte sich Joann Sfar, der bis anhin alle Angebote für eine Verfilmung seiner erfolgreichen, mittlerweile fünfteiligen «Le Chat du Rabbin»Serie abgelehnt hatte, selbst an das Projekt und realisierte seinen ersten Animationsfilm. Im Zentrum der Erzählung steht die Katze des sephardischen Rabbiners Sfar. (Joann Sfar stammt selbst aus einer jüdischen Familie; sein Grossvater überlebte den Holocaust und wollte eigentlich Rabbi werden.)

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Und bald entspinnen sich lebhafte Diskussionen zwischen Meister und Kater darüber, ob letzterer nun ebenfalls jüdisch sei, ob er Anrecht auf eine Bar-Mizva habe, ob er beschnitten werden soll und was der Motive für ein freudiges Debattieren mehr sind … Angesiedelt ist die Geschichte in einem Algier der zwanziger Jahre voll orientalischen Zaubers. In der unter französischer Kolonialregierung stehenden Stadt leben verschiedene Religionen in harmonischem Nebeneinander. Die Ereignisse rund um den sprechenden Kater dienen Sfar in erster Linie dazu, Einblick in die jüdische Kultur, Religion und Geschichte zu geben.

Aus seinem Comic kreierte Sfar nun eine für heutige technische Standards nicht allzu aufregende 3D-Animation, die sich sehr bildgetreu an die Vorlage hält. Nach einem atmosphärischen Einstieg in den Film, in dem die Katze durch das schmucke Algier flaniert und wir den Rabbi, seine reizende Tochter Zlabya und den ominösen Papagei kennenlernen, dank dem die Katze sprechen lernt, folgt auf die Initiation des Katers im Lauf der Erzählung aber zunehmend sprunghaft eine abenteuerliche Episode auf die andere: so etwa die Begegnung des Rabbi mit dem muslimischen Scheich und seinem Esel, die Ankunft eines russischjüdischen Malers via Bücherkiste oder die Entdeckungsreise von Rabbi und Scheich und Co. auf der Suche nach der mythischen Stadt Jerusalem im Herzen Schwarzafrikas.

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Sfar scheint darauf zu vertrauen, dass die Zuschauer den Comic und seine Figuren kennen und diese die erzählerischen “Lücken” im Film mittels ihrer Leseerfahrung schliessen. So überfordert der Film im Lauf der Erzählung sicher nicht zuletzt Kinder als potentielle Zuschauer – aber auch Erwachsene, die die religionspolitische Botschaft – insbesondere nach der gescheiterten Abenteuerreise nach «Jerusalem», die teils in Blut und in viel Ernüchterung endet – eher ratlos zurücklässt. Nach zunehmender Hektik folgt ein abrupter Schluss, der keiner ist, sondern vielmehr ein Cliffhanger, wie er für Comics typisch ist (der sechste Band ist in Vorbereitung) – oder für einen Film, der auf seine Fortsetzung spekuliert.

So enttäuscht das zweite Werk von Joann Sfar für die grosse Leinwand – nachdem er im letzten Jahr mit seinem (nicht animierten) brillanten Spielfilmdebüt Gainsbourg – vie héroique einen fulminanten Start hinlegte und viele Auszeichnungen holte. Doch in Frankreich, wo Sfar als Comiczeichner eine eingeschworene Fan-Gemeinde besitzt, scheint das dem Film keinen Abbruch zu tun: Im Juni wurde er am grossen Animationsfilmfestival im französischen Annecy mit dem ersten Preis für den besten animierten Langfilm ausgezeichnet.

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Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 6/2011 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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