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The Milk & The Cross

Schön wie ein Gedicht ist The Mill & The Cross, ein Gemälde-Film, der, indem er die Grenzen des Genres erweitert, selber zu einem Kunstwerk wird.

Text: Irene Genhart / 21. Sep. 2011

Ein Film wie ein Gedicht. Poetisch. Durchkomponiert in Bildaufbau, Farbgebung, Klang, Geräusch, Ton. Ansprechend. Dicht. Tragend, so dass man sich magisch hineingezogen fühlt in das Vermittelte: Gedanken, Ideen, eine Geschichte; viele kleine Storys und Szenen, die ineinander verwoben eine grosse Geschichte, ein Bild ergeben. Manchmal begegnet man Filmen, in die man sich verguckt: Metropolis (Fritz Lang, 1927), Stalker (Andrej Tarkowski, 1979), The Sound of Insects (Peter Liechti, 2009), Atom Egoyans The Sweet Hereafter (1997), Lars von Triers Breaking The Waves (1996) und Antichrist (2009).

Jüngst nun also The Mill & The Cross von Lech Majewski (der bei uns unter dem unselig präzisierenden Titel bruegel – the mill & the cross ins Kino kommt). Es ist ein «Bild-Film». Einer dieser Filme, die sich mit einem (berühmten) Gemälde auseinandersetzen. Mit dem darauf Sichtbaren, dem dahinter Steckenden, dem darin Versteckten, meist auch mit dessen Entstehung und seinem Künstler. Genretypisch, sofern sich von Genre überhaupt reden lässt:

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Peter Webbers Girl With a Pearl Earring (2003) nach Jan Vermeers «Das Mädchen mit dem Perlenohrgehänge» (1665), Jean Renoirs Le déjeuner sur l’herbe (1959) nach Edouard Manets Bild von 1863, Peter Greenaways Nightwatching (2007) nach der «Nachtwache» von Rembrandt von 1642.

Und nun ein Brueghel: Lech Majewskis Film liegt «Die Kreuztragung Christi» von Pieter Brueghel dem Älteren zugrunde, eine ins Flandern der Inquisitionszeit übertragene Passionsdarstellung aus dem Jahr 1564. Das Bild, Öl auf Eiche, hängt heute im Kunsthistorischen Museum Wien. Der Gattung nach könnte man es als frühes «Wimmelbild» bezeichnen; ein Bild, auf dem sich viele kleine (Alltags-)Szenen auf gemeinsamem Hintergrund, nicht unbedingt aber zur gleichen Zeit (in der Einheit von Ort, nicht unbedingt aber der Zeit) abspielen. Über 500 Figuren, sofern man der Zählung anderer vertrauen darf, sind in «Die Kreuztragung Christi» zu entdecken. Klar einordnen lassen sich etwa im Hintergrund Jesu Gang nach Golgata und rechts davor, als «Bild im Bild», die zeitlich danach liegende Beweinung Christi.

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Mit dieser sich um Maria, Magdalena und den Apostel Johannes entfaltenden Szene – beziehungsweise den Überlegungen des Malers zu deren Gestaltung – nimmt The Mill & The Cross seinen Anfang. Nicht wie erwartet mit dem Künstler vor seiner Staffelei, sondern mit Pieter Brueghel, der mit seinem Freund, dem Kunstsammler Nicholas Jonghelinck, durch die abzubildende Szenerie geht, da an einem Gewand zupft, dort eine Falte glättet und dabei erklärt, wieso er die kleine Personengruppe im Unterschied zu den anderen nicht in zeitgenössischer Kleidung, sondern in altertümlich wallenden Gewändern darstellt. Wodurch Brueghel direkt in sein eigenes Bild hineingerät und im Moment von dessen Entstehung quasi zu seiner eigenen Vision wird: welch kühne, zu endlosen Hirnspinnereien verleitende Raffinesse!

Seinen Titel verdankt The Mill & The Cross, wie notabene auch das ihm als Vorlage dienende Buch von Michael Francis Gibson, der auf einem hochaufragenden Felsen stehenden Windmühle und dem zwar im Bildzentrum placierten, aber ganz unauffälligen Kreuz, unter dem ein winziger Christus zusammengebrochen ist. Der Film umfasst vierundzwanzig Stunden und schildert den Tag der Kreuzigung, dessen Ereignisse aus der Sicht von einem Dutzend Personen wiedergegeben wird. Es beginnt am frühen Morgen. Mit dem alten Müller und seiner Frau, die sich aus dem Bett wälzen; einem Paar, das sich schlaftrunken seiner Lust hingibt; dem Maler, der sich mit seinem Skizzenbuch aus dem Haus stiehlt, in dem seine Frau und seine Kinder noch schlummern. Träg erhebt sich des Müllers Gehilfe, steigt in Holzpantinen eine endlose Holztreppe hoch, um die Segel zu spannen und die Mühle in Gang zu setzen, derweil im Wald zwei Männer einen Baum markieren, der später gefällt wird.

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Gemächlich geht alles vor sich. Selbst wenn die Kinder kreischend herumtoben, das Mühlrad sich knarrend dreht, und das Korn sanft rieselt, die Malergattin energisch die Stube fegt, das Liebes paar ein Kalb zu Markte führt, und eine Gruppe Gaukler musizierend durch die Gegend zieht; anders gesagt: das Bild von prallem Leben bebt, herrscht Geruhsamkeit vor. Bloss die rotgewandeten Reiter, die unverhofft auftauchen, den jungen Mann jagen, fesseln, auspeitschen und gerädert den Raben zum Frass vorlegen, verströmen Hektik. Brutal und makaber wie später auch die Kreuzigung ist diese Szene: Brueghel auf die Leinwand geholt, schauerlich schön und in seiner ganzen Herbheit faszinierend.

Majewski hat die Landschaften von «Die Kreuztragung Christi» in Polen, der Tschechischen Republik, Österreich und Neuseeland gesucht. Er hat vor Ort, zum Teil vor Blue Screen gedreht und den Hintergrund von Brueghels 124 auf 170 Zentimeter grossem Gemälde eigenhändig lebensgross auf einer Leinwand nachgemalt. Sprechrollen gibt es drei: Rutger Hauer als Brueghel, Michael York als Jonghelinck sowie Charlotte Rampling als Muttergottes. Die Gespräche beziehungsweise (inneren) Monologe dieser Figuren bilden den Kommentar sowohl zum Geschehen wie zum Bild: Derweil Maria mit dem Schicksal ihres Sohnes hadert, entsetzt sich Jonghelinck über die Inquisition und erklärt Brueghel sein Gemälde. Sonstig Gesprochenes kommt als lautmalerisches Gemurmel daher (die meisterhaft ausgefeilte Tonspur von The Mill & The Cross hätte eine eigene kleine Abhandlung verdient). Wie gesagt: Schön wie ein Gedicht ist The Mill & The Cross, ein Gemälde-Film, der, indem er die Grenzen des Genres erweitert, selber zu einem Kunstwerk wird. Chapeau!

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Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 6/2011 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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