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Parada

In Serbien ist Regisseur Srdjan Dragojevic ein Star: In den Achtzigern spielte er in einer Punk-Rock-Band und publizierte erfolgreich Gedichtbände, um dann Anfang Neunziger die Filmschule zu absolvieren. Nun schreibt auch sein neustes Werk, Parada, das in Serbien und den anderen exjugoslawischen Ländern von rund einer halben Million Menschen gesehen wurde, Erfolgsgeschichte.

Text: Doris Senn / 25. Juli 2012

In Serbien ist Regisseur Srdjan Dragojevic ein Star: In den Achtzigern spielte er in einer Punk-Rock-Band und publizierte erfolgreich Gedichtbände, um dann Anfang Neunziger die Filmschule zu absolvieren. Seine Filme wurden in seinem Land (mit einer mit der Schweiz vergleichbaren Einwohnerzahl) nicht nur zu Blockbustern mit bis zu 700 000 Eintritten – sie geniessen auch Kultstatus. Dazu gehört etwa sein Debüt Mi nismo andeli (We Are No Angels, 1992), von dem er später auch ein Sequel realisierte, oder auch die kontroverse Dark Comedy Lepa sela lepo gore (Pretty Village, Pretty Flame, 1996). Nun schreibt auch sein neustes Werk, Parada, das in Serbien und den anderen exjugoslawischen Ländern von rund einer halben Million Menschen gesehen wurde, Erfolgsgeschichte.

Das ist alles andere als selbstverständlich für einen Film wie Parada, der sich um eine so brisante Thematik wie Homophobie dreht. Und das ausgerechnet im Balkan, der – zusammen mit anderen Ländern des Ostens – in den letzten Jahren immer wieder in die Schlagzeilen geriet wegen seines repressiven Umgangs mit Homosexualität und die jedes Jahr mit den gewalttätigen Ausschreitungen gegenüber dem schwullesbischen Pride – oder eben «Parada» – von sich reden machen. Dabei brilliert Dragojevic in einer überaus gelungenen filmischen Gratwanderung zu einem heiklen Gegenstand, dem er ein nicht minder heikles Thema zur Seite stellt: nämlich die Feindseligkeiten unter den verschiedenen Ethnien und Religionen, die einst unter dem Dach «Jugoslawien» vereint waren und die er hier – nie respektlos und nie abgedroschen – gehörig auf die Schippe nimmt.

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Parada beginnt denn auch mit einem kleinen Glossar an Wörtern, mit dem sich die unterschiedlichen Ethnien zu betiteln pfleg(t)en: «Tschetnik» als Schimpfname für die Serben, «Ustascha» als herabwürdigende Bezeichnung für die Kroaten, «Balija» für die Bosniaken und «Shiptar» für die Kosovoalbaner. Einzig ein Schimpfwort wird von allen (für alle) verwendet: «Peder», was so viel heisst wie «Homo» oder «Schwuchtel». Im Zentrum der Komödie, die mit Klischees operiert, ohne an Subtilität zu verlieren, und die ebenso intelligent wie amüsant Vorurteile unterläuft, steht der serbische, mit Goldkettchen behangene Kriegsveteran und Macho-Rowdy Limun, der eine private Bewachungsfirma betreibt. Als sein Hund – eine hechelnde, sabbernde kleine Bulldogge – Opfer eines Mordanschlags wird, macht er Bekanntschaft mit dem Tierarzt Mirko. Dieser – stellt sich heraus – ist schwul. Sein Partner Radmilo wiederum ist politisch engagiert – insbesondere für den Gay Pride. Und ist der Star von Limuns Freundin Pearl, die ihre Hochzeit gerne von Radmilo gestaltet haben möchte.

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Und so kommen die Dinge ins Rollen: Denn nach einigen Turbulenzen will Radmilo nur dann für Pearl arbeiten, wenn ihr Liebster auf folgenden Deal einsteigt: Limun beschützt den Pride, und Radmilo designt Heim und Hochzeit für Pearl. Da Limun in seinem Freundeskreis aber niemanden findet, der sich dafür hergibt, macht er sich mit Mirkos Auto – einem pink Mini – auf die Reise durch die Länder Ex-Jugoslawiens auf die Suche nach seinen ehemaligen Kameraden und Freund-Feinden. Nach einem abenteuerlichen Roadmovie findet er sie – einen Kroaten, einen Bosniaken und einen Kosovoalbaner – und karrt sie mit sich nach Belgrad, wo sie im Dienst der «Homos» kämpfen sollen.

Mit Parada, einer geglückten Mischung aus Burleske und Drama, erfindet Dragojevic nicht nur das Genre Balkankomödie neu: zum einen, weil es laut Regisseur die erste pan-ex-jugoslawische Koproduktion ist – zum andern, weil er es schafft, ein konfliktträchtiges Thema, die grassierende Homophobie, für ein populäres Genre und ein breites Publikum aus dem sprichwörtlichen Schrank zu holen. Er hat damit auch international Erfolg, was wohl nicht zuletzt damit zu tun hat, dass er wie nebenbei verbreitete Vorurteile und Klischees über und zwischen den ehemaligen jugoslawischen Staaten auf die Leinwand bringt – und sie gleichzeitig mit feinem Humor entkräftet.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 5/2012 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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