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How to Make a Book with Steidl

Von April 2009 bis Mai 2010 konnten die Dokumentaristen Gereon Wetzel und Jörg Adolph unter besten Bedingungen («Ihr filmt solange, bis ihr euren Film zusammenhabt. Das ist eure Arbeit, davon verstehe ich nichts», Gerhard Steidl) dem leidenschaftlichen Büchermacher Gerhard Steidl bei seiner Arbeit über die Schulter schauen.

Text: Josef Stutzer / 26. Sep. 2012

Steidl, Düstere Strasse 4, Göttingen, das ist die Anschrift einer Druckerei mit nur einer Druckmaschine und eines Verlags (mit vielen Inprints) mit insgesamt 45 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und wohl eine der besten Adressen im Bereich des künstlerischen Fotobuchs. Steidl aber ist vor allem Gerhard Steidl, der 1967 als Siebzehnjähriger als Drucker und Gestalter vor allem von Plakaten etwa für Klaus Staeck und für Kunstausstellungen angefangen hat. Aus dem [learning by doing] entwickelte sich bei ihm eine Passion für das Drucken als Kunst. Er druckte die meisten Multiples und Drucksachen des späten Joseph Beuys, den er als seinen Lehrmeister bezeichnet im Umgang mit ungewöhnlichen Materialien, in der Detailversessenheit und dem Sinn für ungewöhnliche Techniken. Mit «Befragung zur Documenta» druckte er 1972 sein erstes Kunstbuch, er verlegt aber auch politische Werke und seit den achtziger Jahren Fotobücher, aber auch Belletristik (seit 1993 wird etwa das Werk von Günter Grass von ihm verlegt).

Von April 2009 bis Mai 2010 konnten die Dokumentaristen Gereon Wetzel und Jörg Adolph unter besten Bedingungen («Ihr filmt solange, bis ihr euren Film zusammenhabt. Das ist eure Arbeit, davon verstehe ich nichts», Gerhard Steidl) dem leidenschaftlichen Büchermacher bei seiner Arbeit über die Schulter schauen. Sie machen das in der schönen Tradition des Direct Cinema – diskret im Hintergrund und mit viel Gespür für die richtigen, die aufschlussreichen Momente. Und mit viel Sinn für Rhythmus, für die austarierte Balance von Hektik und Momenten des Innehaltens. Hektik: die rotierende Druckmaschine, ein mit Maquetten und Musterexemplaren vollpepackter Musterkoffer auf Reisen nach New York, Los Angeles, London, Paris, Katar, Steidl im Auto, im Flugzeug, telefonierend, Papiere sortierend, sie zerreissend, zwischen Terminen – bis zu zehn pro Tag … Die Fahrten von einem Termin zum andern im Zeitraffer, teilweise in Fehlfarben. Innehaltend: der Mann im weissen Arbeitskittel, zwischen Bücherstapeln, vor dem riesigen, verwirrend wirkenden Ordnungssystem aus aufgetürmten Ablageschalen, im Gang durch die Druckerei, hier einen Papierstapel kontrollierend, dort einen Druckbogen absegnend, einen Papierkorb leerend. Und – höchst spannend – im konzentrierten Gespräch mit Künstlern in ihren Ateliers und Wohnungen: mit Martin Parr, Robert Frank, Ed Ruscha, Robert Adams, Jeff Wall, Günter Grass …

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Und mit Joel Sternfeld – die Arbeit an dessen Fotobuch «iDubai» führt wie ein roter Faden durch den Film. Dabei wird deutlich, was Steidl, Verlag und Person, auszeichnet: jedes Buchprojekt wird als einzigartig und besonders behandelt, in der Suche nach dem stimmigen Format, dem richtigen Papier, dem adäquaten Layout, der wirkungsvollsten Ausstattung, in der durchaus konfliktträchtigen Auseinandersetzung mit dem Künstler und in der möglichst grossen Ausreizung der Potentialität des Ausgangsmaterials – hier teilweise heimlich aufgenommene Fotos mit dem iPhone in Dubai, die auch gedruckt möglichst dem Look von Handy-Fotos («Fuck the midtones» spornt Steidl an) entsprechen sollen.

Steidl versteht seine Buchprojekte als «Multiples, als eine Idee, die von einem Künstler entwickelt wurde, die aber von einem Handwerker, einer technischen Person ausgeführt wird». Ihr Reiz besteht in ihrer Individualität, der handwerklichen Perfektion ihrer Ausführung und nicht zuletzt der sinnlichen Qualität. Sieht man Gerhard Steidl in den Büchern blättern, mit der Hand prüfend übers Papier streichen, die Nase in die Bücher stecken, dann lernt man nicht zuletzt: Bücher müssen gut riechen.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 6/2012 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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