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Paradies liebe 01

Ob man im Paradies: Liebe findet?

Inspiriert von Ödön von Horvaths «Glaube, Liebe, Hoffnung» finden wir im ersten Teil der Seidl-Trilogie sehnsüchtige Österreicherinnen in Kenia wieder.

Text: Irene Genhart / 24. Apr. 2013

Inspiriert von Ödön von Horvaths «Glaube, Liebe, Hoffnung» ist der erste Teil von Ulrich Seidls sogenannter «Paradies-Trilogie» vollmundig mit Paradies: Liebe betitelt. Mit Horvaths Stück indes hat Seidls Film nichts zu tun. Es sei denn, man suche nach einer Analogie in der schnöden Schilderung der gemeinen Tristesse, die der Schriftsteller in seinem Drama um eine Arbeiterin, der Regisseur in Filmen um drei Frauen aus einer Familie betreibt. Paradies: Liebe weckt Assoziationen, auf dass wir im Geiste Amors Pfeile schwirren und Engel jubilieren hören und Frau und Mann in locum amoenum glückselig vereint wähnen. Doch Seidl – erinnert sei nur an Filme wie Tierische Liebe (1995), Jesus, du weisst (2003), Hundstage (2000), Import Export (2007) – dreht keine niedlichen Filme. Vielmehr richtet er seine Kamera unverbrämt auf der Menschen privates Tun und intimes Treiben. Auf ihre Wünsche und Träume; ihre Illusionen, Selbstinszenierungen und Lebenslügen. Und immer wieder auf ihre Triebe. Er tut dies einem radikalen Realismus verpflichtet, “schön” sind Seidls Filme nicht. Das gilt besonders auch für diesen Film, der die Liebe verspricht, sich dann aber als krude Sextourismus-Story entpuppt.

Paradies liebe 02

Doch beginnen wir von vorn. Da ist, gut mollig, Teresa, Behindertenbetreuerin und alleinerziehende Mutter. Ihre Tochter ist ein Teenager comme il faut: muffelig, dröge, renitent. Sie neigt wie Mama zu Rundungen und wird von dieser mitsamt Katze bei der Tante deponiert. Ferien stehen an und ihr fünfzigstes Wiegenfest, und da will sich Teresa etwas leisten. Nach Kenia führt die Reise, ins schicke Hotel am Strand. Es locken Sonne, Meer, süsses Nichtstun und der Reiz der Exotik; letzterer weniger im lokales Brauchtum spiegelnden Unterhaltungsprogramm des Hotels als in der Allgegenwart einheimischer “Beachboys”. Doch derweil ihre Bekannte sich nach der Ankunft unverzagt einen Lover angelt, ist Teresa mit ihrer “Sugermama-Rolle” überfordert. Sie kennt sich nicht aus in diesem Spiel, das zwar “Liebe” genannt wird, aber nichts anderes als ein rüdes Geschäft ist, bei dem Touristinnen ihre Lüste stillen und Einheimische den Unterhalt ihrer Familien sichern. Teresa sieht sich denn von Beachboy Gabriel ebenso bedrängt wie von ihrem Beschützer Munga betrogen. Und der Auftritt des Strippers, welchen ihre Freundinnen ihr zum Geburtstag aufs Zimmer beordern, bereitet ihr so wenig Vergnügen wie alle anderen sexuellen Ferienaktivitäten auch.

Das klingt niedergeschrieben so schlimm gar nicht. Tatsächlich aber ist Paradies: Liebe hoch bedrückend. Denn Seidl zeigt unverblümt: Teresa – eine so grossartig unerschrockene wie empfindsame Margarete Tiesel – halbnackt im Hotelzimmer, Teresa & Co im Aqua-Fit, im Bikini an der Bar, beim Sonnenbad. Es wird getratscht und zwar über bloss ein Thema: Sex. Innerhalb der Hotelanlage ist das harmlos. Ausserhalb nicht: Vor dem Eingang lauert tagein, tagaus eine Horde Kerle auf Kundinnen, und am Strand fallen Händler wie Schmeissfliegen über die Touristinnen her. Teresa, nicht auf den Mund gefallen, wehrt sich. Schliesslich aber lässt sie sich doch auf einen Beachboy ein, wird von diesem in ein schäbiges Hotel geführt und da so heftig bedrängt, dass sie irgendwann wütend «das ist keine Liebe nicht» schreit. Ja, es ist keine Lovestory, was Seidl da vorführt, sondern die mit viel Respekt vor seinen Figuren dargebotene Schilderung eines auf dem Hintergrund des Postkolonialismus florierenden tristen Geschäfts um menschliche Hoffnungen und Triebe. Und so ist Paradies: Liebe schliesslich einer dieser verflixten Filme, die heftig nachhallend zum Nachdenken anregen.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 3/2013 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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