Filmbulletin Print Logo
Pacific rim 01

Pacific Rim

Godzilla goes Neuro: Ein Wissenschaftler verkabelt sich mit dem Gehirn eines toten Kaiju-Babys, der Jaeger-Pilot Raleigh Becket driftet in die traumatischen Kindheitserinnerungen seiner japanischen Kopilotin Mako, die Nick Uts berühmtes Foto des vietnamesischen «Napalm-Mädchens» zitieren. Doch die Auseinandersetzung mit kindlichen Angstphantasien erreicht nie die Kraft von del Toros früheren Filmen.

Text: Michael Pfister / 31. Juli 2013

Ausgerechnet im Stillen Ozean herrscht Getöse. Der Pazifik findet keinen Frieden. In einer nahen Zukunft dringen aus einer Spalte im Meeresboden böse Kreaturen, Kaiju genannt, attackieren San Francisco, verwüsten Manila, trampeln das Opernhaus von Sydney kurz und klein. Da Flugzeuge und Panzer gegen die hundert Meter hohen Monster machtlos sind, reagiert die Menschheit mit XXL-Kampfrobotern, die auf den Namen Jaeger hören und so komplex sind, dass sie von jeweils zwei miteinander und mit der Maschine neuronal verkoppelten Piloten gesteuert werden müssen. Das ergibt attraktive Special-Effect-Hosenlüpfe zwischen den fiesäugigen Riesenechsen und den Hightech-Stahlkolossen. Noch viel pittoresker als Sägemehl sind die rollenden, schwappenden, grabschenden Wellen, die sich der mexikanische Regisseur Guillermo del Toro und sein Digitaldesign-Team um die Oscar-Gewinner John Knoll und Hal T. Hickel beim japanischen Holzschneider Hokusai abgeschaut haben: «Wir waren uns einig, dass das Wasser wie eine zusätzliche Figur wirken sollte.»

Während del Toro in seinem Erstling Cronos die Figur des Vampirs neu interpretierte, reiht sich der mexikanische Fantasy- und Horror-Freak nun in die reichhaltige Tradition der Godzilla-Variationen ein: Kaiju heisst auf Japanisch «rätselhafte Bestie» und bezeichnet jene Kategorie von Meeresungeheuern, zu denen neben Godzilla auch Gamera oder Mothra gehören. Doch die Vielschichtigkeit des originalen Godzilla (1954, Regie: Ishiro Honda) verfehlt Pacific Rim. Godzilla war ein uraltes Naturwesen, das durch die Atombomben gestört und geweckt wurde. Bei aller Vernichtungskraft eignete ihm doch auch die Würde eines Lebewesens, und auf der symbolischen Ebene repräsentierte er nicht nur die moralischen Grenzen der Wissenschaft, sondern auch die dunkle, triebhafte Seite des Menschen, die sich in einer erotischen Dreiecksgeschichte entfaltet.

Pacific rim 02

Nun ist das Böse ganz veräusserlicht: Die Kaiju sind Aliens, die schon die Dinosaurier auf dem Gewissen und in der Ozeanspalte jahrmillionenlang auf die Verbesserung des Klimas gewartet haben. Del Toros Hauptinteresse gilt ihren Kontrahenten, den Jaegers, die an die japanische Tradition der Mecha (mechanische Kampfroboter wie MechaGodzilla oder MechaGhidorah) anknüpfen. Das Besondere an den Jaegers ist freilich, dass sie keine selbständigen Automaten sind, die gleichsam als stärkere Doppelgänger an die Stelle des Menschen treten. Hier geht es – zeitgemäss – vielmehr um die Koppelung von Mensch und Maschine. Wie ein doppelter Homunculus implantieren sich die jeweils zwei Piloten gleichsam ins Hirn des Riesenroboters und verschmelzen dank einer Drifting genannten Technik miteinander und mit dem Gerät. Wie bei einer Spielkonsole führen die geübten Kampfsportler im Cockpit die Bewegungen aus, die sich auf die Maschine übertragen sollen. Ein Beispiel für jene Embodied Intelligence, die in der neueren Künstliche-Intelligenz-Forschung so grossgeschrieben wird.

Die Versuchsanordnung hätte es in sich: von der hegelschen Erkenntnis, dass menschliches Selbstbewusstsein gerade nicht als einzelnes, sondern erst in der Verdoppelung seine wahre Kraft entfaltet, bis hin zu den Spannungen zwischen Mensch und Maschine, aber auch zwischen den Kopiloten, die einem Drehbuch Erotik und Witz verleihen könnten. Umso bedauerlicher, dass es del Toro bei simplen Öko-Kalendersprüchen belässt: «Wir sitzen alle im selben Roboter (dem Leben). Entweder wir vertragen uns, oder wir sterben.»

Godzilla goes Neuro: Ein Wissenschaftler verkabelt sich mit dem Gehirn eines toten Kaiju-Babys, der Jaeger-Pilot Raleigh Becket driftet in die traumatischen Kindheitserinnerungen seiner japanischen Kopilotin Mako, die Nick Uts berühmtes Foto des vietnamesischen «Napalm-Mädchens» zitieren. Doch die Auseinandersetzung mit kindlichen Angstphantasien erreicht nie die Kraft von del Toros früheren Filmen El espinazo del diablo oder El laberinto del fauno. Den Tauchgängen durch fremde Gehirne fehlt die surreale Ästhetik von Tarsem Singhs The Cell.

Pacific rim 03

Am besten gelingt Pacific Rim in den wenigen komischen Episoden um den zwielichtigen Hannibal Chau (del Toros Lieblingsschauspieler Ron Perlman), der einen Schwarzhandel mit Kaiju-Organen betreibt, und in liebevoll gestalteten Einzelheiten: ein Frachtschiff als Keule, eine Monsterzunge, die an einen Blütenstempel gemahnt. Guillermo del Toro ist ein besessener Handwerker, ein Nerd, der aus lauter Liebe zu Zitaten, Gags und markigen Sentenzen («We’re cancelling the apocalypse!») gerne in seichte Gewässer abdriftet. Bei aller 3D-Virtuosität bleiben die dunklen Geheimnisse des Films so flach wie in den Bestsellern eines Dan Brown oder Carlos Ruiz Zafón. Del Toros Weltenretter sind so depressiv wie Batman in Christopher Nolans The Dark Knight: «Keine Zeit zum Feiern, keine Zeit zum Trauern!», verkündet der grimmige Einsatzleiter Pentecost, und auch wenn Raleigh und Mako in der letzten Szene zwischen Meereswogen ein wenig Privatsphäre suchen wie weiland Pierce Brosnan und Michelle Yeoh in Tomorrow Never Dies, bleibt die Erotik stumpf wie der Blick eines Meeresungeheuers. «Es ist eine Liebesgeschichte ohne Liebesgeschichte», erklärt der Regisseur, «sie enthält alle nötigen Elemente der Liebe, ohne bei der Liebe selber anzukommen.» Damit erweist sich Pacific Rim als Kind einer Zeit, die dem Geniessen den Zahn der Ambivalenz ziehen will. Mit dem slowenischen Philosophen Slavoj Žižek gesprochen: «In allen Bereichen haben wir zunehmend das Ding ohne sein Wesen: Bier ohne Alkohol, Fleisch ohne Fett, Kaffee ohne Koffein …»

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 5/2013 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

Weitere Empfehlungen

Kino

05. Dez. 2012

Elena

Elena unterscheidet sich stark von den beiden früheren Filmen des Regisseurs, vor allem aufgrund seines stark zeitgemäss gezeichneten, russischen sozialen Hintergrunds. Die Hauptfigur Elena – eine ehemalige Krankenschwester, die einen reichen Patienten heiratet und wie ein Dienstmädchen für ihn sorgt – pendelt zwischen zwei Welten.

Kino

01. Juli 1993

Big Bang

Warum es statt etwas nicht einfach nichts gebe, so lautet, lapidar, der erste Kommentarsatz des Dokumentarfilms Big Bang. Matthias von Gunten versteht es, von seinem doch recht lehrhaften Thema eine ganz und gar nicht lehrhafte Darstellung zu geben.