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The Homesman

The Homesman ist nach dem Immigrantendrama The Three Burials of Melquiades Estrada (2005) der zweite Kinofilm, bei dem der Hollywoodstar Tommy Lee Jones Regie geführt hat. Es ist auch so etwas wie ein Western, in dem es antizipierend und metaphorisch um die Kehrseiten des American Dream geht. Das Besondere: Er ehrt die Pionierinnen, die wenig gemein haben mit den Damen”, denen man im Genre als Staffage maskuliner Heldenfiguren begegnet.

Text: Michael Lang / 10. Dez. 2014

In den unwirtlichen Territories in Nebraska, im Mittleren Westen der USA, bewirtschaftet Mary Bee Cuddy um 1850 eine Farm. Die Frau um die dreissig ist klug, apart, empathisch. Was ihr fehlt, ist ein Mann, um eine Familie zu gründen. Dass sie eine gute Partie wäre, bezweifelt zwar keiner, aber ihre emanzipierte, selbstbewusste Art weckt bei den derben Sturköpfen in der Gegend mehr Angst denn Begierde. Mary Bee (Hilary Swank, grandios) beweist ihre Sozialkompetenz, als im Bezirk überforderte Mütter den Verstand verlieren: Eine hat ihr Baby in den Lokus geworfen, die andere drei Kinder durch Diphterie verloren, die letzte wird von Dämonen heimgesucht und kann die Töchter nicht mehr versorgen. Der Dorfpfarrer hat die Idee, die Verwirrten in den zivilisierten Nachbarstaat Iowa in die fürsorgliche Obhut einer Methodistengemeinde zu bringen. Das wird keine Kaffeefahrt, weil die Frauen unberechenbar handeln und selbstzerstörerisch veranlagt sind. Doch das schreckt Mary Bee nicht, und sie übernimmt den Auftrag.

The Homesman ist nach dem Immigrantendrama The Three Burials of Melquiades Estrada (2005) der zweite Kinofilm, bei dem der Hollywoodstar Tommy Lee Jones Regie geführt hat. Der Plot fusst auf einem Roman von Glendon Swarthout, der schon die Vorlage für Don Siegels Spätwestern the Shootist (1976) lieferte. The Homesman ist auch so etwas wie ein Western, in dem es antizipierend und metaphorisch um die Kehrseiten des American Dream geht. Das Besondere: Er ehrt die Pionierinnen, die wenig gemein haben mit den “Damen”, denen man im Genre als Staffage maskuliner Heldenfiguren begegnet.

Die wackere Mary Bee weiss natürlich, dass der mehrwöchige Trip mit Maultieren, Kistenwagen und verzweifelten Passagieren an Bord ohne Assistenz nicht machbar ist. Nachdem sie dem abgewrackten Deserteur George Briggs das Leben gerettet hat, ringt sie ihm als Gegenleistung die Zusage ab, sie zu begleiten. Und ködert ihn schlau mit einem Erfolgshonorar.

Tommy Lee Jones spielt George gleich selber, anfangs etwas comicartig, dann immer plausibler: Der Kauz mausert sich nämlich vom Hallodri zum loyalen Musketier, ist zur Stelle, wenn marodierende Kiowa-Indianer zu besänftigen sind, und ist sich nicht zu schade, intime Pflegeleistungen zu erbringen. Einsichtig, dass zwischen Mary Bee und George bald mehr als nur zweckgemeinschaftliche Gefühle aufkeimen: Eines Abends ergreift sie die Initiative für ein Tête-à-Tête; eine Schlüsselszene, die in einen Schicksalsschlag mit gravierenden Konsequenzen ausufert und mit grosser Zärtlichkeit und Sensibilität in Szene gesetzt wird.

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Unübersehbar, dass sich The Homesman an Filmen von John Ford und John Huston orientiert. Und am Werk von Clint Eastwood, der mit seinem lakonischen Erzählstil das zeitgenössische US-Filmschaffen befruchtet (Jones hat unter seiner Regie in Space Cowboys von 2000 mitgewirkt). The Homesman ist überdies homogen besetzt und die Kameraarbeit von Rodrigo Prieto (Babel, The Wolf of Wall Street) vorzüglich: Der Mexikaner weiss Gefühlsmomente elegant in stimmungsvolle Naturbildkompositionen zu hüllen. Gelungen auch Marco Beltramis Soundtrack, der Motive der amerikanischen klassischen Musik und der Folklore in String- und Pianomelodien einfliessen lässt.

Im Western scheinen Actionszenen unverzichtbar, doch in diesem spröden Kammerspiel im weit offenen Gelände sind sie wohltuend rar. Nur einmal lässt es Jones krachen: George bittet in einem abgelegenen schicken Hotel um Kost und Logis für seine entkräfteten Begleiterinnen, was der irische Direktor schnöde ablehnt. Pech für ihn, denn die frauenfeindliche Attitüde und Gefühlskälte bringt den Haudegen George in Rage: In einem Akt von Selbstjustiz erteilt er dem Grosskotz eine Lektion, die jedem Italowestern selig gut angestanden wäre.

Das passt zu The Homesman, dem in seiner Anmutung etwas Irritierendes, Sprunghaftes, Unausgegorenes anhaftet: Mal ist er Abenteuerfilm, mal schwarze Komödie, mal Melodrama. Ob das der mangelnden Routine des regieführenden Schauspielers Jones geschuldet ist? Partiell vielleicht. Aber eher spiegelt sich da die Mentalität eines beherzten Künstlers, der als Geschichtenerzähler eine anarchische Haltung einnimmt und nicht vorrangig den kommerziellen Erfolg anpeilt. Bis zum Schluss: Als endlich die schmucke, friedliche Methodistenpfarrei erreicht ist, steht die gutmenschliche Pfarrersgattin (Meryl Streep in einem prächtigen Gastauftritt) bereit wie eine Glücksfee. Und, wie im Märchen, wirken die schwer gebeutelten Frauen entspannter, und man ist sich fast sicher, dass ihre Odyssee des Leidens endet.

Doch was ist mit George? Auch er scheint ergriffen, möchte am liebsten selbst in diesem Garten Eden bleiben. Doch als hätte die Pfarrersgemahlin das erahnt, entlässt sie den Fremden prosaisch mit den Worten: «Sie können jetzt gehen!» Eine famose, (selbst)ironische Auflösung, weil ein harmonisches Finale zum narzisstischen George nicht gepasst hätte; seine Zukunft bleibt das Ungewisse.

Übrigens: Man schliesst den verqueren George so ins Herz wie im Rückblick den zwittrigen Film mit all seinen Schwachstellen. Und warum? Weil der von Machoallüren sonst nie ganz freie Mime und Regisseur Tommy Lee Jones wunderlich wunderbar, versponnen und augenzwinkernd von der (nicht bloss historisch verorteten) Magie des weiblich Unergründlichen fabuliert. Und unübersehbar einiges davon begriffen hat.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 8/2014 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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