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Most wanted man 01

A Most Wanted Man

Denken und Wünschen fallen dann in eins zusammen. Wissen Sie’s, oder glauben Sie’s? In jedem Dialog unter Insidern des Metiers gehört der Satz zur Routine. Dass konsequent gelogen wird, ist das einzig Klärende. Wahrheiten wären mehr als hinderlich, nämlich verwirrend. In diesem Sinn wirbelt A Most Wanted Man alles und jedes durcheinander, wovon sich der Film zu fabulieren anschickt.

Text: Pierre Lachat / 10. Dez. 2014

Wo es keine Kriterien dafür gibt, was unter einem Beweis zu verstehen sei, und damit auch keine Beglaubigung, da lässt sich Beliebiges behaupten. Kann niemand mehr das Geringste festlegen, müssen alle etwas erfinden. So wird die Welt ärmer an Fakten und reicher an Fiktionen. Und was für die Schreiberlinge und Cineasten von Berufs wegen gilt, wendet sich sowieso auf die Informanten, Agenten, Beschatter und sonstigen Träger von echten, gefälschten oder offenen Geheimnissen an. Bei den Munkelmäulern fragt sich zudem: Sind sie real, oder erheben sie die Illusionen, die sie selbst verkörpern, aus eigener gespenstischer Kraft zu unumstösslichen Gewissheiten?

Denken und Wünschen fallen dann in eins zusammen. Wissen Sie’s, oder glauben Sie’s? In jedem Dialog unter Insidern des Metiers gehört der Satz zur Routine. Dass konsequent gelogen wird, ist das einzig Klärende. Wahrheiten wären mehr als hinderlich, nämlich verwirrend. In diesem Sinn wirbelt A Most Wanted Man alles und jedes durcheinander, wovon sich der Film zu fabulieren anschickt. Er beruht auf dem 2008 erschienenen Roman von John Le Carré, dessen ursprüngliche Fassung das Drehbuch offenkundig aktualisiert.

Da wähnt das Publikum öfter, sich etwas eingeprägt zu haben: eine Figur oder eine Episode, von denen es sich berichten liesse. Drei Szenen weiter findet sich alles wieder aufgehoben: relativiert, dementiert, demontiert. Eben hat noch Entspannung geherrscht, da wird wieder Kalter Krieg gefeiert. Mit der rechten Hand bekämpfen die Gerne-Grossmächte zum Beispiel das, was jeweils als Terrorismus verteufelt wird, und zugleich hätscheln sie es it der linken.

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Sieht alles plötzlich anders aus als gedacht, dann einmal mehr nur für kurze Zeit. Die Übeltäter von gestern sind, wenigstens bis übermorgen, die Unschuldsengel von heute. Ähnlich verhält es sich mit den nützlichen Idioten von einst, die zu verlässlichen Zuschubsern und Hilfswilligen, ja Alliierten aufrücken. Was immer nach Verbrechen aussehen könnte, hat sich nie zugetragen; es wäre denn, sofern’s gerade passt, bei den Russen, Muslimen, Chinesen drüben, die als Feinde zu posieren haben, vorerst jedenfalls. Wechselnd und doch jederzeit braucht es mindestens einen griffigen Widersacher, der als Einziger verübt, was die Selbstgerechten bloss einfädeln.

Günther Bachmann nennt sich der Held. Er hat schon viele Rückschläge erlitten, die er seiner Kunst der Selbsttäuschung zuzuschreiben hat. Auch verfügt er über die Fertigkeit, es mit den einen zu vermasseln, die ihm helfen könnten, um Vorschub den andern zu gewähren, die ihn zugrunde richten werden. In Hamburg stationiert, bekommt er es mit einer Mischung von Hinterherschleichern westöstlicher, angeblich auch halbamtlicher Provenienz zu tun, zu denen er selber halbwegs gehört, und trampelt prompt in die Falle, die er andern stellt.

Ob Günther Bachmann einer ist, der jede Unbill überleben wird, fragt sich ernsthaft. Es ist eine Ungewissheit, die im Falle dieses einzelnen Films, A Most Wanted Man, entscheidend weit über Stoff, Handlung und Regie hinausgreift; im engeren Sinn betrifft es die Schauspielerei an und für sich und zuvorderst den Hauptdarsteller. Der geachtete Philip Seymour Hoffman ist noch während der Dreharbeiten im Alter von 46 Jahren an den Folgen einer Drogensucht gestorben. Nach Hoffmans vorzeitigem Tod, wird versichert, habe die Montage korrigiert werden müssen, um den Film doch noch vollenden zu können. Sollte da ein Doppel, auch animiert, ausgeholfen haben, ist im Ergebnis nichts davon zu sehen oder zu hören.

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Wenn nun die Endfassung etwas Phantomatisches annimmt, dann deshalb, weil Hoffman weniger den Helden spielt als vielmehr sich selbst: freilich in einer Verfassung, die das Leiden des Mimen unübersehbar macht. Dass es ihm versagt geblieben ist, alle seine Szenen durchzuspielen, kann so gesehen kaum verwundern. Übergewicht, Nervosität der Bewegungen, flackernder Blick, Kurzatmigkeit, kehlige Rauheit der Stimme, Schwankungen in Sprechweise und Akzent fügen sich zu einer rastlosen Erscheinung, die kaum noch Raum lässt für Energie und Wohlbefinden, wie sie Schauspieler mitbringen müssen.

Von ihresgleichen wird erwartet, dass sie sich mit ihrem Part identifizieren, mögen sie auch gelegentlich, aus plausibeln Gründen, davon absehen. Bei diesem einen Mal hat sich Hoffman offensichtlich allzu intim mit seinem andern Ich gleichgesetzt, sodass er in Bachmann nur wieder dem eigenen prekären Selbst begegnet, doch weniger vorsätzlich als umständehalber. Skript und Atmosphäre des Kinostücks könnten ihm allzu hoffnungslos düster und deprimierend vorgekommen sein, und ähnlich werden sie auch manchem Besucher erscheinen.

Ob Hoffmans drückendes Pensum seinen letzten Seufzer beschleunigt hat, darüber sollen die Rinnsteinpostillen spekulieren. «Horrorfilm macht Star den Garaus.» Hingegen dürfte es etlichen Zuschauern schwerfallen, sich dem augenfällig moribunden Protagonisten zuzuneigen, wohl aus einer vagen Angst vor psychischer Ansteckung. Kurzum, A Most Wanted Man fällt allzu intensiv aus, bis zum Griff nach Nieren und Nerven. Von Leben und Tod sollte das Kino bloss handeln und nichts davon in die Welt setzen. Solches geschieht zwar hier, ausnahmsweise, doch ohne unlauteren Vorsatz und ohne noch weiteren Schaden anzurichten. Der bereits eingetretene reicht aus.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 8/2014 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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