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Die geliebten schwestern 01

Die geliebten Schwestern

Dominik Graf ist ohne Zweifel der versierteste deutsche Genre-Regisseur, sowohl für das Kino als auch für das deutsche Fernsehen, mit grossem Interesse für die Konventionen des Thrillers und der Möglichkeiten, sie zu erweitern. Dass er sich nun um eine vergangene Zeit kümmert, um Friedrich Schiller und die grosse Liebe, um Sturm und Drang, ist zunächst eine Überraschung, ein Kontrast, den man aber nicht fürchten muss.

Text: Michael Ranze / 30. Juli 2014

Dominik Graf ist ohne Zweifel der versierteste deutsche Genre-Regisseur, sowohl für das Kino als auch für das deutsche Fernsehen, mit grossem Interesse für die Konventionen des Thrillers und der Möglichkeiten, sie zu erweitern, und das bereits über dreissig Jahre, seit Das zweite Gesicht (1982), besonders aber seit Die Katze (1987) oder Spieler (1989). Mit seiner Serie Im Angesicht des Verbrechens setzte er neue Massstäbe im Fernsehen bezüglich Spannung, Handlungsführung und Milieus. Dass er sich nun um eine vergangene Zeit kümmert, um Friedrich Schiller und die grosse Liebe, um Sturm und Drang, ist zunächst eine Überraschung, ein Kontrast, den man aber nicht fürchten muss. Denn wie Graf sich in Die geliebten Schwestern auf die deutsche Klassik einlässt, mit einer schwebenden Leichtigkeit und beiläufigen Klugheit, ist faszinierend. Die dreistündige Fassung, die während der diesjährigen Berlinale zu sehen war, hat Graf für den Kinoeinsatz um dreissig Minuten gekürzt und dabei den Rhythmus leicht verändert – ohne die Handlungsvignetten anzutasten.

Wir schreiben das Jahr 1787, es ist Herbst. Charlotte von Lengefeld reist von Rudolstadt an der Saale nach Weimar, zu ihrer Patentante Frau von Stein. Unter ihren Fittichen soll die junge Frau Manieren lernen, vielleicht eine gute Partie machen. Ihre ältere Schwester Caroline hingegen ist eine Zweckheirat eingegangen, um die Familie zu unterstützen. Und dann fragt jemand die am Fenster stehende Charlotte nach dem Weg. Es ist Friedrich Schiller. Ein kleiner Flirt, ein kecker Wortwechsel – der Zuschauer weiss sofort um die gegenseitige Anziehung von Mann und Frau. Caroline beantwortet derweil heimlich einen Brief Schillers, den sie auf Charlottes Sekretär gefunden hat. Sie lädt den Dichter nach Rudolstadt ein, und weil die Schwestern geschworen haben, alles miteinander zu teilen, kommen sich die drei allmählich näher. Bis Schiller den Schwestern seine Liebe gesteht. Folge: eine Ménage à trois, die nur deswegen kein Aufsehen erregt, weil Charlotte Schiller heiratet. Doch dann wird Caroline schwanger, das fragile Beziehungsgeflecht droht zu reissen.

Die geliebten schwestern 02

Friedrich Schiller einmal nicht als Starautor, sondern als Mittelpunkt eines Liebesdreiecks – das ist zunächst ein moderner Gedanke, im Handeln und im Fühlen, ohne Streit, ohne Konkurrenz, ohne Eifersucht, und weil solch eine ungewöhnliche, eigentlich sogar unmögliche Liebe geheim bleiben muss, haben sich die Liebenden, in einer der schönsten Ideen des Films, einen Code ausgedacht, mit dem sie ihre Briefe verschlüsseln. Dreiecke, Kreise, ein doppelter Strich – der Sprache kommt hier etwas Zeichenhaftes zu. Sie verbindet und eint, sie schützt und teilt mit. Graf hat einen Film über Worte gemacht, übers Schreiben und Sprechen, und so sieht er seinen Figuren dabei zu, wie sie ihre Briefe verfassen oder laut vorlesen, sie kuvertieren und austauschen.

Doch auch die Bilder sind übervoll, mit liebevoll beobachteten Details, mit genauer Ausstattung, mit ausgesuchten Kostümen, vor allem aber mit viel Licht, einer Idylle gleich. Ein heller, freundlicher, lebensbejahender Film ist so entstanden, voller Sehnsucht und Versprechen. Doch da ist noch mehr – Graf stellt Bezüge zur Französischen Revolution her, zur Entwicklung des Buchdrucks, zum kulturellen Klima in Weimar. Vor allem ist dies aber ein grosser Schauspielerfilm. Wenn Hannah Herzsprung und Henriette Confurius dem nach einer Rettungsaktion klatschnassen Florian Stetter die Kleider ausziehen und ihn mit ihren Körpern wärmen, schauen sie sehr überrascht über ihre Courage, ein wenig verlegen auch, vor allem aber verliebt. «Den Film zu drehen, war eine Freude», sagt Graf. Ihn zu schauen ist es noch mehr.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 5/2014 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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