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Jimmys hall 01

Jimmy's Hall

Irland 1922: Jimmy Cralton, ein junger Bauer und Arbeiter und bekennender Sozialist, emigriert während des Unabhängigkeitskriegs wegen seiner politischen Überzeugung in die USA und kehrt erst zehn Jahre später wieder zurück, um seiner verwitweten Mutter beizustehen. Die repressive politische Lage lässt ihn einen Kampf gegen die von Geld und Glauben gebildete geistige Diktatur wagen.

Text: Erwin Schaar / 30. Juli 2014

Der Konsument der täglichen Nachrichten ist gefordert, Contenance zu bewahren angesichts der gewalttätigen Auseinandersetzungen in so vielen Teilen der Welt. Meist sind die Konflikte auch von Menschen angezettelt, deren Machtwille mit religiösem Fanatismus eine Kumpanei eingeht. Wer in Ken Loachs Jimmy’s Hall eine entspannende Distanz von der alltäglichen Realität sucht, wird eine Geschichte erzählt bekommen, die zwar vor vielen Jahrzehnten spielt und ihn nicht in seinem aktuellen Lebensgefühl tangieren dürfte, trotzdem wird sie Emotionen gegen Ungerechtigkeit wecken und die Meinung stärken, dass Menschen dumm und destruktiv sein können, auch wenn sie sich für gebildet oder religiös elaboriert halten.

Ken Loach, ein Meister der Inszenierung von Menschen und Schauplätzen, hat mit seinen 78 Jahren einen emotionalisierenden Stil so überzeugend internalisiert, dass es keinerlei avantgardistischer Spässchen bedarf, um die Essenz einer Geschichte trotz der Verlagerung in die Vergangenheit auch für die Gegenwart einsichtig zu machen. Unwillkürlich leidet man mit, verspürt Wut gegen die Ignoranz und Blödheit der Selbstgerechten.

Irland 1922: Jimmy Cralton, ein junger Bauer und Arbeiter und bekennender Sozialist, emigriert während des Unabhängigkeitskriegs wegen seiner politischen Überzeugung in die USA und kehrt erst zehn Jahre später wieder zurück, um seiner verwitweten Mutter beizustehen. Die repressive politische Lage, ein Produkt der Landbesitzer und der katholischen Kirche, lässt Jimmy einen Kampf gegen die von Geld und Glauben gebildete geistige Diktatur wagen. Ein einst als politischer Mittelpunkt dienender Versammlungsraum, die Pearse-Connolly-Hall, wird durch seine Aktivitäten wieder mit Musik, Tanz, Literaturlesungen und Boxtraining belebt. Sie soll einen Hort der ersehnten Freiheit symbolisieren. Das aus Amerika mitgebrachte Grammofon vermittelt über die Musik etwas von der Freiheit, bringt die Bewohner des Dorfes und der Umgebung dazu, ihre eigene Musik wiederzuentdecken und sich im Tanz freudig zu verausgaben. Der swingende Chicago-Jazz, die irische Volksmusik, die hingebungsvoll tanzenden Menschen sind ein zeichenhaftes Ritual: «Ich habe immer die “Danseuses” von Degas im Hinterkopf, die beim Betrachter den Eindruck erwecken, dass man sich in einer Theaterloge seitlich daneben befindet. Degas’ Blickrichtung verläuft nicht auf der Höhe des Orchestergrabens, von dem aus man die Bühne frontal sehen kann, sondern er richtet seinen Fokus leicht über den Tänzerinnen aus, sodass man plötzlich nicht nur die Bühnenkünstler wahrnimmt, sondern auch die Kulissen.» (Loach)

Jimmys hall 02

Der autoritäre, von inquisitorischem Geist geprägte Pfarrherr, der die “Kommunisten” zum Teufel jagen möchte, wird zumindest der Haltung Craltons eine gewisse Achtung zollen. Loach ist bemüht, Charaktere zu zeichnen; auch bei Apologeten der Freiheit wie Cralton. Bei der politischen und kapitalistischen Upperclass kann oder eher mag Loach eine abwägende Darstellung nicht mehr gelingen. Den Ausbeutern steht die Ignoranz ins Gesicht geschrieben.

Cralton hat seine Liebe Oonagh bei seiner Emigration zurückgelassen. Heute hat sie zwei Kinder und einen braven Ehemann. Ihr und Craltons Verzicht wird in einer Tanzszene, getragen von einer diffizilen Erotik, zu einem Bekenntnis der Tragik menschlicher Beziehungen. Erfüllung und Verzicht in einem. Die Regression wird den Kampf gewinnen. Das Zeichen der Emanzipation wird brennen und ihr Propagandist als “illegaler Einwanderer” ausgewiesen. Ein trauriger Abschied vom Gerechtigkeitsgefühl.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 5/2014 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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