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My name is salt 01

My Name Is Salt

My Name Is Salt ist, wenn wir die Filmemacherin Farida Pacha selbst zu Wort kommen lassen, «ein beobachtender Dokumentarfilm über Menschen, die nach Perfektion streben, über ihre Hingabe zur Arbeit».

Text: Walt R. Vian / 24. Sep. 2014

Ausgetrockneter Boden, unter der brütenden Sonne zu brüchigen Erdschollen geworden. Akustisch unterlegt ist diese erste Einstellung mit Geräuschen von quellendem Wasser. Dann: angeschnitten im Bild ein Boot auf der ausgetrockneten Erde, in der Tiefe des Bildes am Horizont erkennbar ein weiteres Boot. Schnitt. Vier verlassen wirkende Boote in einer endlos scheinenden Ebene. Ein indisches Saiteninstrument setzt ein. Schnitt. Im gleissenden Licht noch einmal zwei Boote, dazwischen ein verdorrter Strauch. Insert: «The struggle towards the heights is enough to fill a man’s heart.» Albert Camus, The Myth of Sisyphus.

Ein Gefährt nähert sich im flirrenden Licht aus der Tiefe des Bildes. Nahaufnahme eines Mannes, der an einer Zigarette zieht, den Rauch ausbläst und einen weiteren Zug nimmt. Der Mann wartet neben einem Motorrad auf den Traktor, der sich – auch akustisch – nähert. Auf der vollen Ladung des Anhängers sitzen fünf Personen. Der Mann steigt aufs Motorrad und folgt dem inzwischen an der Kamera vorbeigefahrenen Gefährt. Der Filmtitel wird eingeblendet. Nun fährt die Kamera oben auf der Ladung mit. Bei zwei Hütten wird der Anhänger entladen, und dann fährt der Traktor mit dem leeren Anhänger weg.

My Name Is Salt ist, wenn wir die Filmemacherin Farida Pacha selbst zu Wort kommen lassen, «ein beobachtender Dokumentarfilm über Menschen, die nach Perfektion streben, über ihre Hingabe zur Arbeit». Und: «Im Film beobachten wir nur, es gibt keine Interviews und keine Voice-over. Er ist geprägt durch einen lyrischen Stil, bleibt dabei aber einfach und nüchtern.»

Die nun folgende Sequenz versteht aber nur, wer den Film zum zweiten Mal sieht oder sich vorab informiert hat. (Die Marketingstrategie stellt die Dramaturgie des Films auf den Kopf.) Eine lehmige Masse wird von Hand ausgehoben und zu Erdhaufen aufgeschüttet. Löcher werden in die Wüste gegraben. «Hast du’s gefunden?», fragt die Frau den Mann im ausgehobenen Loch. Sie graben etwas aus, das wie Schläuche aussieht, dann Kanister, schliesslich ein schweres Gerät, das sich als Pumpe herausstellt.

Aber gemach, die Auflösung erfolgt zum Ende hin – erzählt wird linear, was dramaturgisch möglich, aber nicht zwingend ist, denn ein “beobachtender” Dokumentarfilm baut ja primär nicht auf Spannung auf. Wir beobachten, wie die Pumpe Wasser pumpt, wie die Leute kochen und essen, wie Trinkwasser gebracht wird, die Kinder zur Schule gehen und – vor allem – wie auf den angelegten Salzfeldern gearbeitet wird. Der denkende Beobachter kann sich in etwa folgenden Reim auf das Gesehene machen: Salzhaltiges Grundwasser wird auf die angelegten Felder gepumpt und kristallisiert mit der sorgfältigen, fachmännischen und ausdauernden Bearbeitung mithilfe der brennenden Sonne zum kostbaren Salz.

My name is salt 02

Die ruhige Kamera von Lutz Konermann entspricht der stoischen Ruhe, mit der hier gearbeitet und gelebt wird. Keine unmotivierten Schwenks, keine verwackelte Kamera, keine überflüssigen Unschärfen. Einstellungen mal aus grösserer Distanz, mal näher am Geschehen. Einstellungen, die die Bezeichnung Einstellung verdienen. Ich kann mich Leslie Felperin anschliessen, die in «The Hollywood Reporter» schrieb: «Every one of Konermann’s shots is damn near perfectly composed and balanced.»

Vor lauter Schönheit und Harmonie könnte man beinahe vergessen, ausblenden, übersehen, wie hart das Leben da draussen in der Wüste sein muss. Die ökonomischen Bedingungen dieser Salzgewinnung drängen sich nie in den Vordergrund. Bei einem Anruf eines Salzhändlers erfahren wir, dass der Zeitplan nicht eingehalten wird, und damit auch, dass es bei aller Bedächtigkeit der ausgeführten Arbeiten auch einen Zeitdruck gibt. Wenn die Salzkruste zu dünn ist, das Feld erneut geflutet werden muss, wird mehr Öl für die Pumpe verbraucht, und das drückt – wie man sich ausmalen kann – auch auf den Lohn. Nachdem dann die Lastwagen mit dem Salz, der Ernte monatelanger Anstrengung, abgefahren sind, sagt der Familienvater und Teamchef fast nebenbei: «Next year we won’t work for such a low price.» Und fügt nach einer Pause hinzu: «We can hardly cover the cost of the crude oil we are burning.»

Pumpen, Schläuche und Kanister werden vergraben, der Anhänger des Traktors mit den restlichen Habseligkeiten beladen. So wie sie gekommen sind, fahren die Menschen, die wir beobachtet haben, wieder weg. Schnitt auf die Boote, die in der ausgetrockneten Wüste liegen.

Und nun folgt die Auflösung in einem Insert: «After eight months of living in the desert, 40 000 families in India move back to their villages.» Und dann: «Year after year, the monsoon washes their salt fields away as the desert turnes into sea.» Und: «And still they will return, striving to make the whitest salt on earth.»

Nun schwimmen die Boote im Wasser – eins dieser Boote mit einem Segel zieht vorbei. Sobald das Wasser versickert ist, die Boote wieder in der Wüste liegen, werden sie – wir wissen es inzwischen –, die Salzfamilien, wiederkommen, ihnen bleibt gar keine andere Wahl – mit erfülltem Herz oder der Faust in der Tasche.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 6/2014 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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