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Yalom's Cure

Die Schweizer Dokumentarfilmerin Sabine Gisiger widmet ihren jüngsten Film einem der einflussreichsten Psychotherapeuten der USA: Irvin Yalom. Der achtzigjährige Psychiater und Autor kann auf rund fünfzig Jahre therapeutische Tätigkeit zurückblicken.

Text: Doris Senn / 24. Sep. 2014

Die Schweizer Dokumentarfilmerin Sabine Gisiger widmet ihren jüngsten Film einem der einflussreichsten Psychotherapeuten der USA: Irvin Yalom. Der achtzigjährige Psychiater und Autor kann auf rund fünfzig Jahre therapeutische Tätigkeit zurückblicken. Er entwickelte insbesondere die Freud’sche Psychoanalyse weiter. Dabei verlegte er den Fokus vom Einzelschicksal und dem individuellen Patienten hin zum Menschen an sich und seiner Suche nach dem Sinn des Lebens, seiner Auseinandersetzung mit dem Tod. Mit Yaloms Worten: «Welcome to the human race.» Entsprechend prägte er den Begriff der «existenziellen Psychotherapie» und initiierte gleich zu Beginn seiner Lehrtätigkeit die Gruppen- anstelle der Einzeltherapie.

Sabine Gisiger (Motor Nasch, 1995, Do It, 2000, oder Guru – Bhagwan, His Secretary & His Bodyguard, 2010) nähert sich dem Startherapeuten und Bestsellerautor auf einer sehr persönlichen Ebene: Sie rollt seine Familiengeschichte auf, zeichnet seinen Werdegang nach, lässt Yalom über Therapieansätze referieren – etwa dass er sich als «Guide» für Menschen versteht, die er weniger als Patienten denn als Reisende auf dem Weg der Selbsterkundung sieht – und zeigt den sympathischen Senior, der oft mit Strohhut durch die Landschaft radelt, im Kreise seiner vielköpfigen Familie in seinem Haus in Südfrankreich. So charakterisiert sich Yalom’s Cure weniger als kritische Auseinandersetzung mit seiner Forschung und seinem Wirken, sondern vielmehr als Hommage an Yalom als Mensch und Therapeut und als filmisches Porträt, das sich durch eine stille Heiterkeit auszeichnet.

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Dazu tragen auch die zahlreichen Anekdoten bei, mit der der Film den Lebensweg Yaloms absteckt. So etwa erzählt Irvin, wie seine ungebildete Mutter, unfähig, die Bücher ihres erfolgreichen Sohnes zu lesen, am Duft der neu gedruckten Exemplare schnupperte, während seine Ehefrau, die Historikerin Marilyn Yalom, die gemeinsamen Jugendjahre aufleben lässt und schildert, wie sie ihre Freiheit auskostete, während Irvin sich ganz auf diese seine grosse Liebe zu ihr konzentrierte. Überhaupt ist ihre lebenslange enge Beziehung ein wichtiges und prägendes Element für Yaloms Entwicklung, seine Therapietätigkeit und sein Forschen. Da mag man mit einem Schmunzeln zur Kenntnis nehmen, dass das “Vorbild” der Eltern keinen grossen Einfluss auf die Lebensgestaltung der vier Kinder hatte, die samt und sonders geschieden sind …

Für ihr Filmporträt verwebt Sabine Gisiger stimmig verschiedenstes Bildmaterial: Nebst den Interviews nutzt sie Archivaufnahmen – etwa historische Bilder von Ellis Island um 1920, als Yaloms Eltern, die jüdisch-polnischer Abstammung waren, um die Aufnahme in die USA ersuchten, oder aus dem Amerika der vierziger und fünfziger Jahre, als Irvin und Marilyn studierten und sich kennenlernten. Sie ergänzt diese mit Sequenzen aus den Homemovies der Familie sowie mit Symbolbildern, wenn es um eher abstrakte Konzepte aus der Psychotherapie geht: das Abtauchen in Meerestiefen als Metapher für das Unbewusste, lautlos vorüberziehende Schiffssilhouetten im gleissenden Licht, hoch fliegende Papierdrachen oder grüne Felder, durch die der Wind streicht.

Nicht zuletzt diese Bilder sorgen für den visuellen Echoraum, wenn Yalom mit seiner warmen und rauen Stimme über das Leben, die Liebe, den Menschen reflektiert. Sie sorgen für eine schwebende Atmosphäre, die den Film dem dokumentarischen Duktus entheben und eine Leichtigkeit verleihen, die sich im deutschsprachigen Titel des Films wiederfindet, der zugleich auch treffend den Inhalt des Films selbst umreisst, nämlich «Yaloms Anleitung zum Glücklichsein».

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 6/2014 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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