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Corn Island  /  Simindis Kundzuli

Jedes Jahr im Frühling, so heisst es sinngemäss im Prolog zu George Ovashvilis Corn Island, spüle die Schneeschmelze fruchtbare Erde aus dem Kaukasus in den Fluss Enguri, wo sich diese vorübergehend zu kleinen Inseln auftürme. Die armen Bauern der Region bepflanzen dann die Inseln in der Hoffnung, ihre Ernte einbringen zu können, ehe das Land wieder weggespült wird. In seinem Spielfilm erzählt der 51-jährige georgische Filmemacher von einem dieser Bauern.

Text: Stefan Volk / 04. Nov. 2015

Jedes Jahr im Frühling, so heisst es sinngemäss im Prolog zu George Ovashvilis Corn Island, spüle die Schneeschmelze fruchtbare Erde aus dem Kaukasus in den Fluss Enguri, wo sich diese vorübergehend zu kleinen Inseln auftürme. Die armen Bauern der Region bepflanzen dann die Inseln in der Hoffnung, ihre Ernte einbringen zu können, ehe das Land wieder weggespült wird.

Der 51-jährige georgische Filmemacher Ovashvili (The Other Bank / Gagma napiri) erzählt in seinem Spielfilm von einem dieser Bauern; dem alten, zähen, wettergegerbten Abga. In einem winzigen Holzbötchen macht Abga auf dem jungfräulichen Eiland fest, gräbt seine grobe Hand in die lockere Erde, vermisst die Insel mit langen Schritten. Was folgt, ist die Schöpfungsgeschichte eines Mikrokosmos. Und er sah, dass es gut war. Erster Tag. Gemeinsam mit seiner Enkelin Asida errichtet der alte Mann eine Hütte, gräbt die Erde um, pflanzt Mais an. Ovashvili schildert das gemächlich, wortlos, mit malerischen Panoramaaufnahmen, wunderschön fotografiert vom 76-jährigen ungarischen Kameramann Elemér Ragályi, der in seiner langen Karriere schon so unterschiedliche Filme wie Xavier Kollers Oscar-gekrönten Die Reise der Hoffnung oder Peter Kassovitz’ Jakob der Lügner ins Licht setzte. Verächtlich könnte man auch sagen: Ovashvili wälzt das lang und breit aus. Es gibt ja diese behäbigen, kunst- und selbstverliebten Streifen, die das Weniger-ist-mehr als Freischein zur Langeweile missverstehen. Corn Island gehört nicht dazu.

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Behutsam entfaltet Ovashvilis klug getaktete Dramaturgie mit wenigen gezielten und markanten Wendungen eine faszinierende Dynamik mit poetischer Sogkraft. Es dauert mehr als eine Viertelstunde, ehe das erste Wort fällt. Eine Hommage an den Stummfilm ist Corn Island trotzdem nicht. Von Anfang an kommt der Tonebene eine prägende Rolle zu. Erst durch das Schweigen tritt das elementare Rauschen von Wind und Wellen in den Vordergrund, verleiht der Klang eines Hammerschlags, die pointierte Akustik jedes einzelnen Handgriffs dem Geschehen eine meditative Atmosphäre, die so zeitlos und arkadisch entrückt wirkt, dass es nur ein kleiner Schritt zu sein scheint vom Fuss des Kaukasus hinüber etwa in die urtümliche Alpenwelt von Erich Langjahrs Dokumentarfilm Das Erbe der Bergler. Die Harmonie von Mensch und Natur allerdings wird in Corn Island bereits von dem Moment an unterhöhlt, in dem die pubertierende sommersprossige Enkelin Asida das erste Mal die Bildfläche betritt.

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Wie zuvor auch ihr Grossvater taucht die grazile Asida gleichsam aus dem Nichts auf. Woher sie kommt, wohin sie geht, wenn sie zwischendurch ins Boot steigt, bleibt im Ungefähren. Corn Island kennt nur diesen einen Schauplatz, dem das Freiluftkammerspiel seinen Titel verdankt. Klaglos geht Asida ihrem Grossvater zur Hand, aber ohne sein Lächeln zu erwidern. Wenn sich die Kamera an den Saum ihres Kleids heftet, während sie sich das Flusswasser aus den Gummistiefeln schüttet, lässt sich erahnen, dass die Veränderungen auf der Insel zugleich auch Asidas Erwachsenwerden symbolisieren. Kindlich kokett wippt sie als Kaukasus-Lolita auf einem Brett, das sie auf einen Stein gelegt hat. Ihr mürrischer Blick klart erst auf, als eine Gruppe von Soldaten in einem Patrouillenboot vorüberfährt. Die Männer winken, rufen ihr zu, und Asida flüchtet in die Hütte. Auch dieses Spannungsfeld von Neugier und Angst spiegelt sich in der Aussenwelt wider. Die Insel befindet sich im Grenzgebiet zwischen Georgien und Abchasien inmitten eines militärischen Konflikts. Die Lage spitzt sich zu, als Asida und Abga eines Tages einen verwundeten Soldaten im Maisfeld finden und ihn in ihrer Hütte verstecken. Fast zur gleichen Zeit setzt bei Asida die Menstruation ein.

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Hier die weibliche Natur, dort die männlich-grossväterliche Kultur und die militärische Unkultur: Es sind archetypische Sinn- und Rollenbilder, die Corn Island wachruft. Im Spiegel unserer modernen westlichen Zivilisation mag das überkommen, gar rückschrittlich wirken. Ovashvili kreiert mit seinem aussergewöhnlichen Coming-of-Age-Drama jedoch nicht nur eine märchenhafte und märchenhaft schöne Metaphorik, sondern zeichnet auch den Kreislauf eines realen Lebens, den Asida am Ende nur mit Gewalt durchbrechen kann.

Aber so konsequent das Finale furioso dramaturgisch sein mag, es trägt doch eine Spur zu dick auf. Am Ende verwandelt sich der knorrige Abga in eine Art zweiten Captain Ahab. Nicht dass Ilyas Salman den Vergleich mit Gregory Peck scheuen müsste. Gerecht wird er ihm allerdings auch nicht. Sollte Ovashvili die Rollen von Grossvater und Enkelin als archaische Stereotype angelegt haben, ist sein Plan grandios gescheitert. Wenn Salman und die kongeniale Kinodebütantin Mariam Buturishvili nämlich in einem versagen, dann darin, austauschbar zu erscheinen. Viel zu tief brennen sich einem ihre individuellen, eigenwilligen Gesichter und die unausgesprochenen Biografien, die sich darin abzeichnen, in die Netzhaut ein und – wenn man so mag – in die Seele.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 7/2015 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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