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Body 01

Body / Ciało

In Body hält Małgorzata Szumowska die Ereignisse in der Schwebe zwischen physischer Evidenz und spiritueller Flüchtigkeit, zwischen Tragik und Komik.

Text: Tereza Fischer / 16. Dez. 2015

Nicht nur einmal reibt man sich bei Body leicht verwundert die Augen. Noch im Schwarzbild setzt am Anfang ein erbärmliches Quietschen von Scheibenwischern ein, es begleitet die Fahrt des Staatsanwalts zu einem Tatort. Ein Mann hat sich an einer idyllischen Stelle an der Weichsel erhängt, der Tod wurde bereits festgestellt. Man schneidet den Unglücklichen auf Geheiss des Staatsanwalts los, der Körper plumpst schwer vom Baum. Während die Beamten noch über Einzelheiten diskutieren, erhebt sich der Mann hinter ihrem Rücken und wankt davon Richtung Fluss. Ein Toter, dessen Körper noch funktioniert? Ein Wunder? Oder doch nur schlampige Untersuchung?

In Body hält Małgorzata Szumowska die Ereignisse in der Schwebe zwischen physischer Evidenz und spiritueller Flüchtigkeit, zwischen Tragik und Komik. Sie kehrt auch zu einem Thema zurück, das ihr persönlich nahe ist: der frühe Tod der Eltern. Schon in 33 Szenen aus dem Leben (2008) hatte eine dysfunktionale Familie mit existenziellen Krisen zu kämpfen. Hier aber findet die polnische Regisseurin zu einem leichten, komischen und dennoch nicht ganz unernsten Ton. Hatte sie noch in Elles (2011) schwerblütig und auch nicht überzeugend die Prostitution und in Im Namen des … (2013) zwar feinfühlig, mit aufblitzendem Humor, aber doch mit feierlichem Ernst einen schwulen Priester in den Mittelpunkt gestellt, so zeichnet sie ihre Figuren nun liebe und vor allem humorvoll.

Der Staatsanwalt, der rundliche zynische Herr Janusz, ist täglich mit menschlichen Grausamkeiten beschäftigt, weiss sich aber mit seiner fast erwachsenen und an Bulimie leidenden Tochter Olga nicht zu helfen. Der Charakter der Figuren und ihre Beziehung werden anfangs über das Essverhalten und damit das Verhältnis zu ihrem Körper gezeichnet. Er kann immer und alles essen, auch nach dem Anblick verstümmelter Körper (der uns netterweise erspart bleibt). Und er säuft, verdrängen kann er gut. Olga hingegen schluckt die Wut auf den Vater, dem sie die Schuld für den Tod der Mutter gibt, um sie dann zusammen mit der in nächtlichen Anfällen verschlungenen Schokolade wieder rauszukotzen. Mit komischen Verrenkungen kann sie die Aufmerksamkeit des Vater nicht fesseln, nur die Würggeräusche aus dem Badezimmer lassen ihn ihre Wut spüren. So kommt es, dass er Olga, die sich körperlich am liebsten auflösen würde und einen Selbstmordversuch unternimmt, ein weiteres Mal in eine Klinik bringt.

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Dort arbeitet die Therapeutin Anna, die selbst vor Jahren ihr Kind verloren hat – den Mann danach wohl auch. Die Leere füllt sie mit einer Dogge namens Fred aus, an die sie sich im Bett kuscheln kann. Was sie im Leben hält, ist die Hilfe, die sie anderen anbietet. Im strahlend weissen Therapieraum der Klinik ermuntert sie ihre magersüchtigen Patientinnen, den eigenen Körper und damit sich selbst und die eigenen Gefühle zu spüren: Tanzen geht ein bisschen, schreien ist schon schwieriger. Als sich alle vor den an die Wand gemalten Körperumrissen versammeln, analysiert eine Patientin Annas Umriss: Es ist das Bild einer alten Frau, denn Anna versteckt ihren Körper unter unförmigen Kleidern. Dennoch sehnt sie sich nach Liebe und Körperlichkeit. Maja Ostaszewska spielt diese Abkehr vom eigenen Körper hin zur spirituellen Seite herrlich mit einem verklärten, etwas gezwungenen Lächeln und zurückhaltender Überzeugungskraft. Anna, die auch als Medium den Menschen hilft, über den Verlust der Liebsten hinwegzukommen, bringt es tatsächlich fertig, den zynischen Atheisten Janusz zu verunsichern und einen Moment daran glauben zu lassen, dass seine Frau in der Wohnung spukt.

Die Toten sind körperlos und dennoch präsent: Zum einen geschieht Unerklärliches, wenn eine Zimmertür plötzlich offen steht oder die Lieblingsmusik der Toten aus der Stereoanlage ertönt. Zum anderen blicken sie den Hinterbliebenen reell von Fotografien entgegen. Auf ihnen wird jeder zum Gespenst, bemerkte Roland Barthes, der nach dem Tod seiner Mutter auf Lichtbildern von ihr den Resonanzraum für Liebe und Tod fand. In Body sind die Figuren mit ihrem Verlust und ihrem Leid allein, die Fotografie bleib lange ihr einziges Gegenüber. So starrt Janusz immer wieder die Bilder von Leichen an, als könnte er darin die Wahrheit entdecken, als könnten sie mit ihm sprechen.

«Es gibt viel Gleichgültigkeit gegenüber Schmerz und Leid in Polen», erklärt Anna ihre heilende Hingabe. Die katholische Kirche kann diese Funktion in der polnischen Gesellschaft offensichtlich nicht (mehr) übernehmen. Immer wieder streut Szumowska gesellschaftskritische Seitenhiebe in den Plot ein, kurze Anklagen gegen den Hass auf Schwule oder das Abtreibungsverbot, konzentriert sich aber aufs Private.

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Szumowska und ihr Koautor Michał Englert haben den titelgebenden Körper zum alles durchdringenden Prinzip erhoben. Die Regisseurin beweist aber auch sonst viel Gestaltungswillen, wenn sie etwa das Essen immer wieder isoliert von oben zeigt. Solche formalen Spielereien können etwas bemüht wirken, wenn sich aber die Räume um Janusz dank der Kamera von Englert verengen, die gestaffelten Elemente den Bewegungsraum des Rationalisten aufs Minimum reduzieren, findet sie zu subtileren Stilmitteln. Sie hält die Erzählung in einem steten Tempo, lässt sie nie ins Tragische oder Exaltierte kippen und würzt sie gleichmässig mit skurrilen Momenten osteuropäischen Humors. Dabei hält sie Realismus und Phantastik bis zum Schluss in der Schwebe. Ob Anna wirklich ein Medium ist oder ob sie sich das einbildet, bleibt offen. In einer unauffällig eingestreuten Szene sitzt Anna frühmorgens zu Hause und schreibt blind und schnell auf ein Blatt Papier. Hat sie einen privaten Moment mit jemandem aus dem Totenreich, oder übt sie die Kunst des blind Schreibens für eine überzeugende Séance-Performance? Am Ende versuchen Vater und Tocher mit Annas Hilfe mit der Mutter im Jenseits zu kommunizieren – und finden im gemeinsamen Lachen ihre eigene Art, sich zu verständigen.

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Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 8/2015 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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