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The Duke of Burgundy

Der britische Regisseur Peter Strickland weiss nur zu genau, dass die Gewalt des Masochismus vor allem auch Bildgewalt ist, und so ist The Duke of Burgundy, sein schwelgerisches Porträt einer masochistischen Liebesbeziehung, ein wahrhaft opulenter Film geworden, bei dem jedes noch so kleine Detail der Ausstattung mit Bedacht, genauer: mit fetischistischer Lust ausgesucht wurde.

Text: Johannes Binotto / 29. Apr. 2015

Es geht um Unterwerfung. Es geht darum, sich anzubieten. Der Masochismus bietet sich an. Auch und gerade den Bildern. Denn der Masochismus, so schreibt Gilles Deleuze in seinem langen Essay über die Erzählungen Leopold von Sacher-Masochs, ist nicht denkbar ohne den Fetischismus, der sich bekanntlich dadurch auszeichnet, dass er die Hüllen und Bilder der eigentlichen Sache vorzieht. Im Fetischismus gerinnt die Lust zu Posen und Inszenierungen, zu Tableaus, auf denen die Lust gebannt ist wie die Bewegung auf Fotopapier. «In den Romanen Masochs kulminiert alles Geschehen im Stillstand der Bewegung, im suspense», heisst es bei Deleuze. Diese Spannung des Suspense, der sich nicht zuletzt auch in den schmerzhaften Körperhaltungen zeigt, zu denen der Masochist sich zwingen lässt, wenn er gefesselt, gestreckt, gekreuzigt wird, diese Spannung ist selbst schon ein Bild, in dem sich eine ganze Dynamik der Lust eingeschlossen, ja gefesselt findet. Am Masochismus weidet sich das Auge.

Der britische Regisseur Peter Strickland weiss offenbar nur zu genau, dass die Gewalt des Masochismus vor allem auch Bildgewalt ist, und so ist The Duke of Burgundy, sein schwelgerisches Porträt einer masochistischen Liebesbeziehung, ein wahrhaft opulenter Film geworden, bei dem jedes noch so kleine Detail der Ausstattung mit Bedacht, genauer: mit fetischistischer Lust ausgesucht wurde. Und darum, dass die Details stimmen müssen, geht es auch in der Beziehung zwischen Cynthia und ihrer jüngeren Geliebten Evelyn, wenn letztere den Boden schrubben oder die Höschen ihrer Herrin waschen muss. Immer wird etwas vergessen, ein Wäschestück bleibt ungewaschen, was die Herrin sogleich zum Anlass nimmt, ihre Zofe zu züchtigen. Doch natürlich ist die scheinbare Unachtsamkeit selber gerade jenes Detail, das stimmen muss, den Anlass geben muss für ein genau definiertes erotisches Ritual. Und es ist Evelyn, die Zofe, und nicht etwa ihre angebliche Meisterin, die dieses Ritual bestimmt. Herrin und Dienerin – die Hierarchie ist in Wahrheit gerade umgekehrt. «War ich zu kalt?», fragt Cynthia denn auch ängstlich, wenn die beiden später ins gemeinsame Bett sinken. Dabei ist es doch gerade die Kälte, wie sie die gefrorene Venus im Pelzmantel bei Sacher-Masoch austrahlt, die begehrt wird. Der Masochistin Evelyn geht denn auch das Spiel noch lange nicht weit genug. Cynthia solle die verletzenden Worte das nächste Mal doch gefälligst mit mehr Überzeugung äussern, wird sie sich später beklagen. Und: Die Bestrafung wäre erregender, wenn man nicht vorher extra darum bitten müsste. Die masochistische Unterwerfung ist schmerzhaft, gewiss, doch vielleicht mehr für jene, die die Dominante zu verkörpern hat. Von Menschen in tatsächlichen sadomasochistischen Beziehungen weiss man, was für eine Disziplin dem Folterer jeweils abverlangt wird. So sind für diesen etwa Alkohol und Drogen tabu. Um sich wirklich dem Rausch der Schmerzen hingeben zu können, braucht es maximale Nüchternheit und Konzentration. Doch eben diese Konzentration wird für Cynthia mehr und mehr zur Belastung. Während sie vor dem Spiegel ihren bösen Text üben, die Perücke richten und in exquisite Dessous steigen muss, klopft Evelyn bereits ungeduldig an die Tür. Und als die Domina, von Rückenschmerzen geplagt, für einmal lieber in ihrem weiten Pyjama anstelle einer umständlichen Korsage herumläuft, macht ihr die Zofe das schnell zum Vorwurf. Wenn schliesslich die Herrin aus der Rolle fällt, ihren Text nicht mehr sprechen kann und sich weinend vor ihrem Opfer für ihr Versagen entschuldigt, wird man Zeuge der wohl grausamsten Verletzung im ganzen Film. Die Domina ist das wahre Opfer dieses Spiels, das sie nur aus Liebe zu ihrer Freundin mitmacht, und fühlt sich aufgespiesst wie die Schmetterlinge in den Vitrinen an der Wand. In ihren Träumen aber sieht sie die Motten davonfliegen, hinaus aus dem Gefängnis.

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Obwohl in einem ganz und gar traumartigen Universum angesiedelt, in dem keinerlei Männer existieren – nicht einmal der im Titel erwähnte Duke of Burgundy ist einer, wie man sich im Lexikon überzeugen kann –, ist Stricklands Film zugleich eine absolut universale Studie über die Sexualität in der Partnerschaft. Wie geht man damit um, den Partner zwar leidenschaftlich zu lieben, seine sexuellen Wünsche aber nicht teilen zu können? An welchem Punkt schlägt Liebesdienst in Selbstverleugnung um? Wie begegnet man den Alterserscheinungen des anderen Körpers? Das aussergewöhnliche Setting ist Schauplatz von ganz allgemeingültigen Fragen. Selbst die Tatsache, dass es sich beim Objekt dieser Studie um ein lesbisches Paar handelt, scheint nicht aussergewöhnlich, sodass hier sogar der Begriff der Homosexualität letztlich verfehlt scheint. Funktioniert dieser noch als Einschränkung und in Abgrenzung zu anderen Sexualitäten, so scheint es im Herrschaftsbereich des «Duke of Burgundy» überhaupt gar keine anderen als gleichgeschlechtliche Paarformen zu geben. Und auch die Obsessionen sind überall dieselben. Die Nachbarin nur ein paar Häuser weiter habe sich dasselbe Modell gekauft, meint eine Innendekorateurin beim Verkaufsgespräch für das neue Bett mitsamt integrierter Fesseltruhe. Das masochistische Ritual ist Alltagstrott. So erscheint unter Stricklands Blick das Ausgefallene bald ganz unspektakulär, während er mit seinen exquisiten Bildern bewusst das Spekulative zelebriert und auskostet. The Duke of Burgundy ist Dekonstruktion und Hommage zugleich.

Schon in Berberian Sound Studio hatte Peter Strickland das italienische Horror- und Giallo-Kino der siebziger Jahre in seine formalen Bestandteile zerlegt und im selben Zug gefeiert und so gelingt ihm auch hier eine verblüffende Kombination aus Pastiche und Neubewertung des erotischen Genrekinos. Der Vorspann mit seiner süsstraurigen Musik und der auf ihrem Fahrrad durch die Landschaft fahrende Evelyn erinnert unweigerlich an die ersten Minuten aus Massimo Dallamanos Giallo Cosa avete fatto a Solange?, und die alte Frau, die den Hof von Cynthias Anwesen wischt, wird von niemand anderem als Monica Swinn gespielt, jener Actrice, die besonders für ihre Rollen in den Softsexfilmen des unlängst verstorbenen Jess Franco bekannt geworden war. In der Tat stand am Anfang von The Duke of Burgundy denn auch die Idee, das Remake eines Jess-Franco-Films zu machen. Strickland wird dieser Aufgabe gerecht und macht zugleich doch etwas ganz anderes. Wiederholung – mit einem Dreh.

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Die Wiederholung, das ist auch der buchstäbliche Dreh- und Angelpunkt der masochistischen Phantasie. In Leopold von Sacher-Masochs «Venus im Pelz» dreht sich die Spirale einer unablässig wiederholten Erniedrigung so lange, bis auch der Leser nicht mehr weiss, was denn nun gilt. «Ich habe alles nur getan, um deine Phantasie zu erfüllen, nur deinetwegen», versichert dort Wanda ihrem Severin, wenn ihm das Spiel zu grausam wird. Doch sobald er sich beruhigt hat, lacht sie ihn aus und behauptet, ihn auch damit wieder nur zum Narren gehalten zu haben. «Früher träumtest du, der Sklave zu sein, jetzt bildest du dir ein, ein freier Mensch, ein Mann, mein Geliebter zu sein, du Tor!» Die Schraube dreht sich. Ich erniedrige dich, weil ich dich liebe, erniedrige ich dich, weil ich dich liebe, erniedrige ich dich … Auch The Duke of Burgundy endet, wie er angefangen hat. Wieder fährt die eine zum Haus ihrer Geliebten. Mit der Hand an der Tür schliesst sich der Kreis. Wird nun alles anders, oder bleibt es gleich? Was tut mehr weh?

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 3/2015 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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