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Der Staat gegen Fritz Bauer

Ein Mann läuft mit der Aufarbeitung von NS-Verbrechen in seiner eigenen Behörde auf. Die tragische Geschichte mit wahrem Hintergrund.

Text: Doris Senn / 29. Sep. 2015

Ein sperriger Titel für ein kleines Meisterwerk. Der Staat gegen Fritz Bauer spielt im Jahr 1957 in Frankfurt am Main. Es ist die Ära Konrad Adenauers, der Deutschland aus der Kriegszerstörung ins Wirtschaftswunder führte. Es ist eine dumpfe, duckmäuserische, konservative Zeit. Viele aus der Funktionselite des NS-Regimes schafften es nahtlos in die Nachkriegsrepublik – und hatten alles Interesse, über die Vergangenheit Gras wachsen zu lassen. Nicht so Fritz Bauer, aus dem dänischen Exil heimgekehrter Jude und Generalstaatsanwalt in Hessen. Mit seinem Anliegen, die Geschichte aufzuarbeiten und Schuldige vor Gericht zu stellen, agiert er aber seit Jahren auf verlorenem Posten: Die untergebenen Staatsanwälte behindern seine Recherchen, Akten verschwinden, und man versucht, ihn kaltzustellen. So beschliesst Bauer, als er einen fundierten Hinweis auf den Verbleib von SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann erhält – ein Dossier unter vielen, die ihm am Herzen liegen –, auf eigene Faust zu handeln.

Die Tatsache, dass viele Nazis nach dem Krieg in Deutschland, Nord- und Südamerika ungeschoren davonkamen und hier wie dort einflussreiche Posten in Politik und Wirtschaft einnahmen, ist verbürgt. Ebenso das Engagement Fritz Bauers. In einer Archivaufnahme des damals brandneuen Fernsehens, die den Auftakt des Films bildet, spricht Bauer zur Jugend – und es wird klar, weshalb er zu einer Inspirationsquelle für die spätere Studentenrevolte wurde. Bauer ging insbesondere für seinen Beitrag am Zustandekommen der «Auschwitzprozesse» (1963–1968) in die Geschichte ein. Seine Rolle in der Eichmann-Entführung aus Argentinien durch den Mossad wurde postum bekannt und steht nun im Zentrum von Der Staat gegen Fritz Bauer.

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Das grosse Verdienst des Regisseurs Lars Kraume besteht im Aufdröseln der politischen Verstrickungen jener Zeit. Das mit 3,4 Millionen Euro eher geringe Budget für ein historisches Drama ist der Stimmung keinesfalls abträglich, im Gegenteil: Für einmal drängt sich nicht die ausgesuchte Farbskala der properen Kostüme in den Vordergrund, sondern, trotz dezenter Stilechtheit, Inhalt und Handlung. Und für einmal verzichtete man wohltuend auch auf das übliche Starangebot aus deutschen Landen und kreierte dafür einen neuen «Star»: den Hauptdarsteller Burghart Klaussner.

Klaussner, der schon mit Wolfgang Becker, Michael Haneke und Volker Schlöndorff gearbeitet hat, schlüpft hier in die Haut von Fritz Bauer – und tut dies meisterhaft. Mit ernster, aber nicht verbitterter Miene, den nach hinten gebürsteten, unbändigen schlohweissen Haaren, der 50er-Jahre-Brille und allgegenwärtiger Zigarette oder Zigarre, deren Rauch ihn und seine Umgebung einnebeln, gibt Klaussner den Fritz Bauer als sympathischen Antihelden in einer Zeit der Anpasser und Verwedler. Mit markigem Akzent, Bauer war Schwabe, lässt der Schauspieler den zurückhaltenden Humanisten wiederauferstehen, der humorvoll beharrlich, aber nie verbissen seinem Ziel nacheifert.

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An seiner Seite spielt Ronald Zehrfeld den Staatsanwalt Karl Angermann, der Bauers Enquête unterstützt. Er ist insgeheim schwul und führt damit noch einen zweiten Erzählstrang in die Geschichte ein: das Verbot der Homosexualität – und damit den ominösen Paragrafen 175. Dieser bestand seit 1872, wurde unter den Nazis verschärft, erlebte in der BRD zwei Reformen, um erst 1994 (!) nach der Wiedervereinigung mit der diesbezüglich liberaleren DDR aufgehoben zu werden. Angermanns Schwulsein deckt sich mit einer Facette von Bauers Persönlichkeit, waren dessen Besuche bei männlichen Prostituierten in Dänemark einschlägig aktenkundig, was im Juristenmilieu natürlich bekannt war. Angermann – verheiratet, zur guten Gesellschaft gehörend und bald Vater – macht das Versteckspiel, zu dem Homosexuelle damals gezwungen waren, ebenso ersichtlich wie die ständig lauernde Bedrohung, erpresst zu werden. Auch Zehrfeld brilliert in seiner Rolle. Wobei Kraume erfrischenderweise auf ein klischiertes Typecasting verzichtete und mithin anhand eines augenzwinkernden Details – die Vorliebe für extravagante Socken – ihrer beiden Schwulsein aufscheinen lässt.

So wirft der Regisseur einen zweifach aufschlussreichen Blick in die nicht allzu ferne Vergangenheit und schafft mit seinem Film nicht nur ein bravouröses Zeitbild, sondern setzt dank Klaussners brillanter schauspielerischer Leistung der Zivilcourage Bauers ein grossartiges Denkmal.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 6/2015 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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