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The Hateful Eight

Quentin Tarantino hat eine wohlbekannte Vorliebe für zynische Exploitationfilme, die krude Sozialkritik in reisserische Genregeschichten verpacken und damit oft genau das zelebrieren, was sie anzuklagen vorgeben. Dank seiner Fähigkeit, einprägsame Figuren zu kreieren und klischierte Erzählkonventionen zu reflektieren, transzendieren seine Filme ihre zuhauf zitierten Vorbilder jedoch meist um Längen. Mit The Hateful Eight, der sich um rassistische Gräueltaten während und nach dem Sezessionskrieg dreht, gelingt ihm dies hingegen nicht immer gleich gut.

Text: Oswald Iten / 17. Jan. 2016

Quentin Tarantino hat eine wohlbekannte Vorliebe für zynische Exploitationfilme, die krude Sozialkritik in reisserische Genregeschichten verpacken und damit oft genau das zelebrieren, was sie anzuklagen vorgeben. Dank seiner Fähigkeit, einprägsame Figuren zu kreieren und klischierte Erzählkonventionen zu reflektieren, transzendieren seine Filme ihre zuhauf zitierten Vorbilder jedoch meist um Längen. Mit The Hateful Eight, der sich um rassistische Gräueltaten während und nach dem Sezessionskrieg dreht, gelingt ihm dies hingegen nicht immer gleich gut.

Instabile Allianzen

Alles beginnt damit, dass Samuel L. Jackson als schwarzer Kopfgeldjäger Major Marquis Warren (benannt nach dem Western-Produzenten Charles Marquis Warren) um eine Mitfahrgelegenheit in der Kutsche von John «The Hangman» Ruth bittet. Bereits im ersten Satz gibt sich Ruth als überzeugter Liberaler zu erkennen, der Warren politisch korrekt als «black fella» anspricht und sich von der Strahlkraft eines an Warren gerichteten Briefs von Abraham Lincoln blenden lässt. Dies hindert ihn freilich nicht daran, der an ihn geketteten Mörderin Daisy Domergue nach Lust und Laune die Nase zu brechen.

Doch obwohl sich die beiden Kopfgeldjäger sofort verstehen, lässt der von Kurt Russell gespielte Yankee den Schwarzen zur Sicherheit vom Kutscher entwaffnen. Sein Misstrauen scheint berechtigt, als plötzlich ein zweiter Anhalter namens Mannix im verschneiten Niemandsland auftaucht. Um seine Vormachtstellung jedoch zu behalten, verbündet John Ruth sich mit Warren gegen den nach einem TV-Detektiv benannten Südstaaten-Marodeur, den er nur wegen des aufziehenden Schneesturms mitfahren lässt.

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In Anlehnung an die Ausgangslage von Agatha Christies «And then there Were None» (aka «Ten Little Niggers») spielt der von Walton Goggins hinreissend bauernschlau verkörperte Mannix mit einer Enthüllung über Warrens unrühmliche Rolle im Bürgerkrieg sogleich seinen ersten Trumpf aus. Schon bevor die Schicksalsgemeinschaft beim Zwischenhalt in «Minnie’s Haberdashery» auf vier weitere undurchsichtige Männer stösst, wird deshalb klar, dass wir unsere Sympathien in Ermangelung eines moralischen Helden immer wieder neu verteilen müssen.

Die wahren Konfliktlinien zwischen den Veteranen verlaufen nämlich um einiges komplizierter, als es die vom süffisanten Engländer Oswaldo Mobray vorgeschlagene Teilung des Raums in eine Süd- und eine Nordstaatlerhälfte erahnen lässt. John Ruth beispielsweise befürchtet, dass einer der Anwesenden seine Gefangene befreien möchte, weshalb er vor dem Essen alle jene entwaffnet, denen er nicht traut. Damit zitiert Kurt Russell seine Rolle in John Carpenters eiskaltem Huis clos The Thing, von dem sich Tarantino erklärtermassen inspirieren liess.

Krieg der Worte

Mit der korrekten Vermutung, dass Warren seinen Lincoln-Brief als eine Art Eintrittsticket in die Gesellschaft der Weissen selbst verfasst hat, zerstört Mannix die Allianz der beiden Kopfgeldjäger nachhaltig. Gleichzeitig entlockt er dem Afroamerikaner jedoch die provokative Kernaussage von Tarantinos Film, dass Schwarze nur sicher sein könnten, wenn Weisse entwaffnet seien; dass der Bürgerkrieg im Prinzip also nie aufgehört habe.

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So ist Tarantinos schärfste Waffe denn auch nach wie vor das Wort. Seine Figuren erhalten ihre Konturen nämlich nicht durch Taten, sondern durch das, was sie in scheinbar belanglosen Dialogen freiwillig oder unfreiwillig von sich preisgeben. Selbst Warrens unplausibler Lincoln-Brief überzeugt die Leser nur dank der präzisen Wortwahl. Der Filmemacher erlaubt deshalb auch keinem Schauspieler ausser Samuel L. Jackson, den theaterartigen Sprachrhythmus seiner oft ironischen Kunstdialoge zu verändern.

Mit wohlgewählten Worten bringt der Major schliesslich sogar den rassistischen Südstaatengeneral Smithers dazu, ihm von seinem verschollenen Sohn zu erzählen. Blitzschnell nutzt Warren diesen wunden Punkt in perfider Weise, um sich selbst zum Unhold zu stilisieren und damit Smithers’ Hass so weit zu entfachen, dass er ihn in vermeintlicher Notwehr für seine Gräueltaten bestrafen kann. Während Warrens Provokation intradiegetisch von Demian Bichirs dilettantischer Stille-Nacht-Interpretation umrahmt wird, bebildert Tarantino ausgerechnet diesen Monolog eines offensichtlich unzuverlässigen Erzählers mit einer ambivalent subjektiven Rückblende, die von Ennio Morricones unentrinnbarer Filmmusik begleitet wird.

Mit dieser Suspense-Sequenz zum Schluss der ersten Hälfte erfüllt Tarantino die Publikumshoffnung auf ausführlich zelebrierte Gewaltphantasien erst in letzter Minute. Nach der Pause führt er persönlich im Stil des allwissenden Erzählers einer Fernsehserie ein weiteres Suspense-Element ein, in dessen Folge The Hateful Eight tatsächlich zu einem Whodunit mit Samuel L. Jackson in der Hercule-Poirot-Rolle wird.

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Die Präzision von Agatha Christies einfallsreich konstruierten Rätseln erreicht Tarantino damit freilich nicht. Dazu sind seine treffsicher platzierten Überraschungswendungen schlicht zu wenig originell. Zudem schleppt er zu viel unausgearbeitetes Personal mit. Dies ist wohl eine Folge der Umkehrung seines üblichen Schreibprozesses: Nach eigenen Angaben entdeckte er das Innenleben der Figuren von The Hateful Eight auch selbst erst während der Arbeit an den Dialogen.

Erzählspiele

Dafür will er uns mit der Konzentration auf einen einzigen Schauplatz die Möglichkeit bieten, wie im Theater die Bewegungen aller Figuren im Raum verfolgen zu können. Da leuchtet der medienwirksame Rückgriff auf das speziell breite Ultra-Panavision-Bildformat durchaus ein, sind so doch dank der hochauflösenden 70mm-Bilder auch in grossen Totalen noch genügend Details zu erkennen.

Leider kompromittiert Tarantino diese verheissungsvolle Prämisse zumindest in der hierzulande verfügbaren konventionellen Schnittversion des Films so sehr, dass selten die Möglichkeit besteht, das Verhalten der Figuren im Hintergrund wirklich mitzuverfolgen (wobei auch die ungeschnittenen Totalen der Roadshow-Version die Überraschungsmomente wohl kaum mit relevanten Hintergrundhandlungen gefährden). Überdies scheint der simple Grundriss von «Minnie’s Haberdashery» eher ungeeignet für dyna­mische Weitwinkelkompositionen, wie sie etwa in Steven Spielbergs Filmen die Machtverhältnisse zwischen den Figuren vermitteln.

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Tarantino und sein Kameramann Robert Richardson greifen deshalb hauptsächlich auf ihr charakteristisches Einstellungsvokabular mit Zweieransichten im Profil und fast frontalen Schuss-­Gegenschuss-Schnittfolgen zurück. Immerhin nutzt Richardson die historischen Kameraobjektive für ungewohnt weich leuchtende Glanzlichter und samtene Hauttöne.

Offensichtlicher spielt der Regisseur seine Macht als übergeordneter Erzähler aus, indem er die Linearität des Plots mit einer scheinbar redundanten Rückblende aufbricht, deren objektiver Status indes eine letzte ironische Wendung vorbereitet und uns mit unseren voreiligen Schlüssen zur Hautfarbe der abwesenden Saloonbesitzerin konfrontiert. Gleichzeitig lässt er uns mit der erneuten Ankunft einer Kutsche zwei parallel verlaufende Sequenzen miteinander vergleichen: Was in der ersten Variante als rationales Rätsel funktionierte, erleben wir diesmal im Wissen, worauf die Szene hinausläuft, als emotional aufgeladenen Suspense.

Zwar beschert Tarantino der geschundenen Jennifer Jason Leigh als Daisy Domergue schlussendlich doch noch eine Sternstunde und unterläuft die Erwartungen ein letztes Mal, indem er uns die kathartische Wunscherfüllung seiner letzten drei Rachephantasien weitgehend verweigert. Trotzdem wird man das Gefühl nicht los, so manches schon kompakter in Reservoir Dogs (1992) oder Inglourious Basterds (2009) gesehen zu haben. Weil selbst die Rassismusdiskussion in der zweiten Hälfte nur noch selten über politisch inkorrekte Unterhaltung hinauskommt, wirkt Tarantinos selbstreferenzieller achter Film eher wie eine ausgedehnte Fingerübung, deren Ganzes kleiner erscheint als die Summe der höchst unterhaltsamen einzelnen Teile.

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Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 1/2016 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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